Online-Glücksspiel: Bundesländer unterlaufen Spielerschutz

(ots) - Die deutschen Bundesländer haben mit den Anbietern von Online-Glücksspielen eine bisher geheim gehaltene Vereinbarung geschlossen, die wichtige gesetzliche Vorgaben zum Spielerschutz unterläuft. Das zeigen gemeinsame Recherchen des ARD-Magazins MONITOR (Donnerstag 21:45 Uhr in Das Erste) mit dem Journalistenteam “Investigate Europe” und ZEIT ONLINE. Fachleute und der Sucht- und Drogenbeauftragte der Bundesregierung zeigen sich entsetzt.
1,3 Millionen Menschen in Deutschland gelten als spielsüchtig; weitere 3,2 Millionen Menschen sind gefährdet. Online-Glücksspiele - zu denen auch Sportwetten zählen - stellen da-bei eine wachsende Gefahr dar, von der die Anbieter profitieren: Die Umsätze der Plattformen haben sich seit 2018 europaweit verdoppelt. Eine Expertenkommission der renommierten Medizin-Fachzeitschrift “The Lancet” warnte erst kürzlich vor einem “schnell wachsenden Problem für die öffentliche Gesundheit”.
Für die Regulierung von Glücksspiel-Angeboten sind in Deutschland die Bundesländer verantwortlich, die wiederum die Aufsicht der “Gemeinsamen Glücksspielbehörde der Länder” (GGL) übertragen und die gesetzlichen Vorgaben dazu im Glücksspielstaatsvertrag geregelt haben. Eine zentrale Vorgabe darin lautet, dass Kundinnen und Kunden anbieterübergreifend grundsätzlich maximal 1.000 Euro im Monat bei Online-Casinos und Wettanbietern einzahlen dürfen. Viele Suchtexperten halten schon dieses Limit für zu hoch. Trotzdem können Spielende noch weitaus mehreinzahlen. Dafür müssen die Anbieter jedoch die “wirtschaftliche Leistungsfähigkeit” ihrer Kunden überprüfen, um sicher zu stellen, dass sich niemand in den Ruin zockt. Die Richtlinie zum Glücksspielstaatsvertrag fordert als Nachweis etwa “Einkommensteuerbescheide oder andere Einkommensnachweise und Bankauszüge.”
Doch diese wichtige Vorgabe zum Spielerschutz haben die Landesinnenminister:innen im November 2022 praktisch außer Kraft gesetzt. Dies geschah durch eine bisher geheime Vereinbarung in einem gerichtlichen Vergleich mit Sportwettenanbietern, die gegen Vorgaben zum Spielerschutz geklagt hatten. Der Vergleich gilt heute flächendeckend in Deutschland und erlaubt es den Anbietern eine sogenannte Schufa-G-Abfrage als Vermögensnachweis zu akzeptieren, obwohl mit dieser speziell für die Glücksspielbranche entwickelten Prüfung weder das Einkommen noch das tatsächliche Vermögen der Spielenden erfasst wird. In einem Versuch konnte das Rechercheteam nachweisen, dass sogar ein Student mit einem Monatseinkommen von rund 1.000 Euro sein Einzahlungslimit auf 10.000 Euro monatlich hochsetzen konnte.
Suchtgefährdete Personen würden so noch schneller in den wirtschaftlichen Ruin getrieben, warnt der Suchtexperte Tobias Hayer von der Universität Bremen: “Es ist anzunehmen, dass gerade suchtanfällige Personen versuchen werden, von dieser Limiterhöhung Gebrauch zu machen."
Der Sucht- und Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Burkhard Blienert, zeigte sich auf Anfrage“richtig wütend” darüber, dass die von den Bundesländern erlassenen strikten Regeln fürs Glücksspiel “im Nachhinein klammheimlich wieder außer Kraft gesetzt werden”: Die Anbieter bekämen “einen Freifahrtschein, noch mehr Profit auf Kosten der Gesundheitund am Ende der Allgemeinheit machen zu dürfen.”
Der Staatsrechtler Prof. Christoph Degenhart regt eine verfassungsrechtliche Prüfung des Vorgangs an: “Vieles spricht dafür, dass das ungesetzlich ist”, sagte er.
Fast alle Landesregierungen verweisen auf Anfrage auf die Gemeinsame Glücksspielbehörde der Länder, die derzeit prüfe, ob die Praxis der Schufa-G-Abfrage den Vorgaben des Spielerschutzes gerecht werde. Der gerichtliche Vergleich mit den Anbietern sei erforderlich gewesen, um „strittige Rechtsfragen zu klären“. Die Frage, ob und warum mit der Vereinbarung der gesetzlich vorgeschriebene Spielerschutz ausgehebelt wurde, beantworteten die meisten Länder nicht, mit Ausnahme des Bremer Innensenators Ulrich Mäurer (SPD): Nach Einschätzung seiner Behörde „widerspricht die Zulassung von Schufa-G den Zielen des Glücksspielstaatsvertrags, das Entstehen von Glücksspielsucht zu verhindern“. Daraus folge, dass die Nutzung der Schufa-G-Abfrage „den Glücksspielanbietern unverzüglich zu untersagen“ sei.
Mehr zu diesem Thema in MONITOR am 06.03.2025 um 21:45 in Das Erste.
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