Rat der EKD nimmt Stellung zur Debatte um eine Novellierung des§218 StGB / Expert*innen-Papier soll differenziertenöffentlichen Diskurs befördern und evangelische Perspektive eintragen
(ots) - Mit einem heute veröffentlichten Diskussionspapier nimmt die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) Stellung zur aktuellen Debatte zum Schwangerschaftsabbruch. Das von einer Arbeitsgruppe des Kammernetzwerks der EKD erarbeitete Papier trägt zentrale Aspekte und Überlegungen eines evangelisch-ethischen Beitrags zur gesellschaftlichen Diskussion. Zugleich versteht sich die Schrift als Impuls für eine konstruktive Weiterentwicklung der gesetzlichen Regelungen.
„Aus Sicht des Rates gehört die Regelung des Schwangerschaftsabbruchs zu den schwerwiegendsten ethischen Herausforderungen“, so die EKD-Ratsvorsitzende, Bischöfin Kirsten Fehrs. Dies gelte aber nicht nur für den Gesetzgeber, sondern auch für die Zivilgesellschaft. „Ziel ist der effektive Schutz des Lebens, der sowohl dem ungeborenen Leben als auch der schwangeren Frau gilt,“ so die Ratsvorsitzende. „Regelungen allein des Schwangerschaftsabbruches greifen dabei viel zu kurz. Der Fokus bei einer gesetzlichen Neuregelung sollte sich auf Aspekte konzentrieren,die einem effektiven Schutz des Lebens dienen. Zivilgesellschaftliche und staatliche Akteure sind aufgefordert, zu einem kinder- und familienfreundlicheren Gesellschaftsklima beizutragen. Das braucht eine intensive, differenzierte und öffentlich geführte Diskussion“, betont Fehrs.
Auf der Grundlage des Expert*innenpapiers hat der Rat der EKD in seiner jüngsten Sitzung auch eine Stellungnahme zum Gesetzentwurf zur Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs der Abgeordneten Ulle Schauws (Grüne), Carmen Wegge (SPD) u. a., verbschiedet, der am heutigen Mittwoch auf der Tagesordnung des Rechtsausschusses des Bundestags steht. Darin hält der Ratder EKD fest:
1. Aus Sicht der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) handelt es sich bei dem Schwangerschaftskonflikt um einen unauflösbaren Konflikt: Dem Anspruch des Ungeborenen, geboren zu werden, steht der Anspruch an das eigene Leben gegenüber, dem sich die Schwangere ebenso verpflichtet sieht. Beide Ansprüche gelten für sie unbedingt, und beide können aus einer christlichen Perspektive als Gottes Gebot verstanden werden. Es gehört zur Freiheit des Menschen, mit unterschiedlichen, konkurrierenden Ansprüchen konfrontiert zu werden. Gott entlässt den Menschen in die Freiheit, sich zwischen solchen Ansprüchen vor seinem Gewissen verantworten zu dürfen – sich aber auch verantworten zumüssen. Jede gesetzliche Regelung muss sicherstellen, dass beide Ansprüche gleichberechtigt berücksichtigt werden.
2. Die einzigartige Situation eines Schwangerschaftskonflikts erfordert Respekt vor der Freiheit und der Verantwortungsfähigkeit der Schwangeren. Daher muss die Schwangere letztlich selbst entscheiden und selbst entscheiden können. Diese Entscheidung muss sie vor ihrem Gewissen treffen. Niemand kann ihr darum diese Entscheidung abnehmen und niemand darf sie ihr abnehmen. Freiheit, Verantwortung und auch die Möglichkeit, dabei schuldig zu werden, bilden für die evangelische Ethik eine Einheit. Sie sind Grundbestandteile des evangelischen Menschenbildes. Eine verantwortete Entscheidung ist dabei nach evangelischer Überzeugung möglich, weil der Unausweichlichkeit der Schuldübernahme die GnadeGottes gegenübersteht. Aus menschlicher Perspektive mögen konkurrierende Ansprüche als unauflösbares Dilemma erscheinen. Als Christ:innen sind wir aber sicher, dass im Horizont der eindeutigen Gewissheit von Gottes liebender Zuwendung eine verantwortliche Entscheidung möglich wird.
3. Aus evangelischer Perspektive ist daher ausdrücklich zu begrüßen, dass die vorgeschlagene Neuregelung einen moralisierend-belehrenden Ton vermeidet und jeder Stigmatisierung von Frauen entgegenzutreten versucht. Die rechtliche Struktur spiegelt diese Haltung wider und ist aus evangelischer Perspektive im Grundsatz zustimmungsfähig.
4. Die EKD kann die Grundentscheidung mittragen, den Schwangerschaftsabbruch auf Verlangen der Frau in allen Fällen zwar weiterhin strafrechtlich, aber nicht wie bisher im Strafgesetzbuch, sondern in weiten Teilen im Schwangerschaftskonfliktgesetz zu regeln. Den Schwangerschaftsabbruch gegen oder ohne den Willen der Schwangeren weiterhin im Strafgesetzbuch zu regeln, hält sie für unabdingbar.
5. Das Instrument, mit dem sichergestellt werden kann, dass die Ansprüche des Ungeborenen sowie der Schwangeren gleichermaßen berücksichtigt werden, ist die psychosoziale Beratung. Sie muss daher verpflichtend und Gegenstand einer solchen strafrechtlichen Regelung sein. Die Beratung dient der Sicherung, dass die Schwangere über die nötigen Kenntnisse verfügt, eine verantwortliche Gewissensentscheidung zu treffen. Den im Gesetzentwurf vorgeschlagenen verpflichtenden Charakter unterstützt die EKD daher vollumfänglich. Ein rechtlich abgesichertes, niederschwelliges, wohnortnahes, flächendeckendes, kostenfreies und qualifiziertes psychosoziales Beratungsangebot für Schwangere und ggf. ihre Partner ist aus evangelischer Sicht ein zentrales und unerlässliches Moment gesellschaftlicher Verantwortung. Gleichzeitig sind die im Gesetzentwurf enthaltenen Revisionen im Blick auf die Formulierung von Beratungszielen zustimmungsfähig, ebenso wie die Anregung, durch den Einsatz digitaler Formate und eine optimierte Finanzierung die Zugänglichkeit der Beratung zu verbessern. Den völligen Verzicht auf eine Wartefrist zwischen Beratung und Eingriff halten wir hingegen für nicht adäquat. Wir plädieren für die bei sonstigen schwerwiegenderen medizinischen Eingriffen übliche Wartezeit von in der Regel 24 Stunden. Bedenklich ist zudem, die Schwangere bis hin zur Geburt und losgelöst von der Beratung aus jeder rechtlichen Verpflichtung zu entlassen, wie das der Entwurf beinhaltet.
6. Kirche, Staat und Gesellschaft dürfen sich nicht ihrer Verpflichtung entledigen, ein Umfeld zu schaffen, das die Entscheidung für das Austragen einer Schwangerschaft erleichtert, und so die Konfliktsituation aufzulösen helfen. Die flankierende Verbesserung der Situation von Kindern und Eltern, gerade auch in nicht alltäglichen Familienkonstellationen, ist sehr zu begrüßen und zu unterstützen. Ergänzend sollten – in enger Abstimmung zwischen Bund und Ländern, staatlichen und freigemeinnützigen Trägern – auch Präventionsanstrengungen unternommen werden: durch eine niederschwellige,diversitäts- und kultursensible Sexualaufklärung, durch die kostenlose Verfügbarkeit von Verhütungsmitteln als Teil der Gesundheitsleistungen, durch eine intensivierte psychosoziale Beratung im Rahmen der Pränataldiagnostik sowie durch eine bessere Armutsprävention gerade bei Alleinerziehenden und Familien mit mehreren Kindern.
7. Fazit: Die Regelung des Schwangerschaftsabbruchs gehört zu den schwer-wiegendsten ethischen Herausforderungen. Dies gilt nicht nur für den Gesetzgeber, sondern auch für die Zivilgesellschaft. Auf eine so anspruchsvolle Grundsatzfrage lässt sich in einer pluralen Gesellschaft keine einmütige Antwort finden. Immer wieder neu müssen Kompromisse geschlossen werden. Der vorliegende Gesetzentwurf schreibt zwar in evangelischer Perspektive weitgehend zustimmungsfähig den bereits bestehenden Kompromiss fort. Bei der gesetzlichen Neuregelung sollte allerdings der Fokus nicht ausschließlich auf der Regelung des Schwangerschaftsabbruchs liegen, sondern zusätzlich auf die Aspekte gerichtet werden, die einen effektiven Schutz des Lebens ermöglichen, indem sie zu einem kinder- und familienfreundlichen Klima beitragen.
Das weitere Ausloten solcher Kompromisse braucht eine intensive, differenzierte undöffentlich geführte Diskussion. Die EKD wird das Ihre zu einem solchen sachlichen Diskurs beitragen und das Gespräch sowie den theologischen Austausch mit allen Positionen und Gruppierungen suchen. Vor diesem Hintergrund appelliert die EKD auch an alle Entscheidungsträger*innen, ihrer Verantwortung bei diesem sensiblen Thema in besonderer Weise gerecht zu werden.
Das Diskussionspapier sowie die Stellungnahme des Rates zum Gesetzentwurf sind abrufbar unter www.ekd.de/schwangerschaftsabbruch.
Hannover, 18. Dezember 2024
Pressestelle der EKD
Carsten Splitt
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Datum: 18.12.2024 - 09:03 Uhr
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