Berliner Morgenpost: Gigantisch ungerecht / ein Kommmentar von Theresa Martus zur UN-Klimakonferenz
(ots) - Vor knapp einem Jahr geriet ein Projekt in Lima unerwartet ins Schlaglicht der deutschenÖffentlichkeit: der Aufbau eines Radwegenetzes in der peruanischen Hauptstadt, finanziert per Zuschuss und Kredit über das Entwicklungsministerium. Und weil in Deutschland schon damals Haushaltskrise war, wurde das Projekt politisch bald ausgespielt gegen andere Vorhaben, deren Finanzierung auf der Kippe stand. Der Tenor der Debatte: Radwege in Peru, ach, dafür ist also Geld da?
Bestenfalls ein bisschen lächerlich, schlimmstenfalls totale Geldverschwendung. Unter diesem Generalverdacht steht im Moment die Entwicklungszusammenarbeit. Mittel für Klimafinanzierung in anderen Ländern schließt dieser Verdacht mit ein. Die Delegationen der Industriestaaten mussten bei der Klimakonferenz in Baku deshalb kaum Druck von zu Hause fürchten, mehr Geld auf den Tisch zu legen. Und so bleibt das Ergebnis - 300 Milliarden US-Dollar im Jahr - weit hinter dem zurück, was eigentlich nötig wäre. In ihrem Kern ist die Klimakrise die Geschichte einer gigantischen Ungerechtigkeit: Ein Teil der Welt (Europa, die USA, aber auch China und viele arabische Staaten) ist reich geworden mit dem Verbrennen von Kohle, Öl und Gas - und hat dabei das Auseinanderfallen des Klimasystems der Erde immer weiter befördert. Die Folgen spüren aber nicht nur die, die davon profitiert haben - die Folgen spüren alle. Afrika etwa als ganzer Kontinent ist für nur 3,2 Prozent der globalen Emissionen verantwortlich, erlebt einen deutlich höheren Anteil an Klimakatastrophen. Und es sind nicht nur die Fluten und die Dürren vor Ort, die ärmere Länder unter Druck setzen. Auch mittelbare Effekte - etwa Preissteigerungen bei Getreide wegen schlechter Ernten - treffen sie ungleich härter als Staaten, die über Reserven verfügen. Es wäre deshalb nur fair, wenn diejenigen, die an der Zerstörung verdient haben, einen Teil des eingenommenen Geldes zurückgeben für den Wiederaufbau und die Vorbereitung auf die nächsten Katastrophen.
Abstrakte Argumente für Gerechtigkeit sind in der internationalen Politik allerdings selten die mächtigste Antriebsfeder. Größere Erfolgsaussichten, etwas zu bewegen, hat da das reine Selbstinteresse: Jeder Euro oder Dollar, der in Klimaschutz und Klimaanpassung für arme Länder fließt, ist für westliche Länder eine gute Investition. Denn dass die Emissionen lokal sind, ihre Folgen aber global, das gilt auch in die andere Richtung. Wenn das Wirtschaftswachstum von Entwicklungs- und Schwellenländern genauso eng mit fossilen Brennstoffen verknüpft ist wie der Aufstieg der Industrienationen, dann kann sich die Welt verabschieden von jeder Aussicht auf ein auch nur halbwegs stabiles Klima. Und zwar überall. Reiche Länder haben deshalb genug Grund, schon aus Selbstschutz dafür zu sorgen, dass im globalen Süden Wind- und Solarkraft ausgebaut werden statt Kohlekraftwerke.
Die gute Nachricht ist: Sie müssen damit nicht warten, bis das nächste Mal eine Klimakonferenz festlegt, wie viel Geld es für die ärmsten Länder geben soll. Die gemessen an der Aufgabe spärlichen 300 Milliarden Dollar, auf die man sich in Baku geeinigt hat, sind kein Deckel, sondern ein Sprungbrett. Sie müssen das Geld nicht einmal allein aufbringen - nach dem Verursacherprinzip könnte man schließlich bei den Öl- und Gaskonzernen anklopfen, die in den vergangenen Jahrzehnten gut daran verdient haben, die Klimakrise anzufeuern. Nicht nur der ein oder andere Radweg ließe sich so finanzieren.
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