Lübcke-Mord: Panne beim Verfassungsschutz
(ots) - Der Verfassungsschutz in Hessen hat nach Recherchen des NDR wichtige Erkenntnisse zu rechtsextremistischen Aktivitäten von Markus H., mutmaßlicher Helfer im Mordfall Walter Lübcke, nicht weitergeleitet. In der Folge konnte der Neonazi legal Waffen besitzen. Der Verfassungsschutz räumt nun ein, die Informationen nicht an die Waffenbehörde übermittelt zu haben.
Markus H., der wegen Beihilfe zum Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Lübcke angeklagt ist, hatte sich 2015 vor dem Verwaltungsgericht Kassel eine Waffenbesitzkarte erstritten und durfte somit legal Schusswaffen besitzen. Der Grund für die Entscheidung des Gerichts: Der Verfassungsschutz hatte keine aktuellen Hinweise auf rechtsextremistische Umtriebe Markus H.s gemeldet. Dabei lagen der Behörde nach NDR Informationen Erkenntnisse vor.
Die Waffenbehörde der Stadt Kassel hatte dem Neonazi Markus H. zunächst eine Waffenbesitzkarte mit Hinweis auf seine rechtsextremistischen Aktivitäten verweigert. Markus H. klagte vor dem Verwaltungsgericht dagegen und bekam 2015 Recht. Das Gericht sah keine Anhaltspunkte für eine Unzuverlässigkeit. Hintergrund ist eine Regelung im Waffenrecht, nach der jemand nur als "unzuverlässig" gilt, wenn er innerhalb der letzten fünf Jahre verfassungsfeindliche Bestrebungen verfolgt hat. Trotz mehrfacher Nachfrage hatte das Landesamt für Verfassungsschutz in Hessen nur Informationen über Markus H.s rechtsextremistische Aktivitäten bis 2009 gemeldet.
In der Verfassungsschutz-Akte von Markus H. fand sich nach Recherchen des NDR jedoch auch noch ein Eintrag aus 2011. Damals hatten die Verfassungsschützer einen rechtsextremistischen YouTube-Kanal analysiert, den sie Markus H. zurechneten. Dort registrierten die Staatsschützer antisemitische Videos und notierten, unter Markus H.s Freunden seien "zahlreiche Profile, die der rechtsextremistischen Szene zugeordnet werden können".
Der Waffenbehörde gemeldet hatte der Verfassungsschutz nur Erkenntnisse über Markus H. bis 2009, darunter Teilnahmen an Demonstrationen und Einträge in rechtsextremistischen Foren im Internet. So lagen dem Gericht keine Erkenntnisse im fraglichen Zeitraum zwischen 2010 und 2015 vor, sodass die Richterin dem Rechtsextremisten das Recht auf eine Waffenbesitzkarte zuerkennen musste. Die nicht weitergegeben Informationen hätten möglicherweise verhindern können, dass Markus H. legal Schusswaffen erwerben und mutmaßlich auch so Stephan E. unterstützen konnte. Stephan E. ist des Mordes an Walter Lübcke angeklagt.
Der Präsident des Landesamtes für Verfassungsschutz in Hessen, Robert Schäfer, räumt im Interview mit dem ARD-Politikmagazin "Panorama" (NDR) ein, dass die Erkenntnisse zu Markus H. aus 2011 nicht übermittelt wurden. Er habe keine Erklärung dafür. Ob es ein Fehler war, könne er heute nicht beurteilen, sagt Schäfer. "Richtig ist, dass wir das heute anders machen würden." Laut Schäfer würden die Waffenbehörden jetzt umfassender informiert werden. "Wir haben aus heutiger Sicht daraus Schlüsse gezogen."
"Heute würden wir das alles übermitteln", sagt Schäfer im "Panorama"-Interview. "Heute würden wir uns das genauestens anschauen und gucken, was kann man tun. Sonst würden wir unserem Anspruch, Extremisten dürfen keine legalen Waffen haben, nicht gerecht." Der Verfassungsschutz kümmere sich in den letzten Jahren verstärkt um die rechtsextremistische Waffenbesitzer. So gebe seine Behörde Erkenntnisse inzwischen sehr detailliert an die Waffenbehörde weiter, erklärt Schäfer. "Für uns ist ganz klar: Extremisten dürfen keine legalen Waffen haben."
Die Bundesanwaltschaft wirft Markus H. in ihrer Anklageschrift vor, Stephan E. an Waffen ausgebildet zu haben. So soll Markus H. mit Stephan E in einem Wald und in zwei Schützenclubs das Schießen trainiert haben. Auch soll Markus H. für Stephan E. ein Gewehr auf seine Waffenbesitzkarte eingetragen haben.
Stephan E. und Markus H. müssen sich vom kommenden Dienstag an vor dem Oberlandesgericht Frankfurt für die Tat verantworten. Die Stadt Kassel und die Anwälte von Markus H. wollten sich auf Anfrage nicht zu den Recherchen äußern.
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