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Bundesgerichtshof zu Vertragsbedingungen eines Gasversorgungsunternehmens

ID: 156715

Bundesgerichtshof zu Vertragsbedingungen eines Gasversorgungsunternehmens


(pressrelations) -
Der Bundesgerichtshof hat heute ein brandenburgisches Gasversorgungsunternehmen zur Unterlassung der Verwendung von insgesamt fünf Klauseln in seinen Allgemeinen Geschäftsbedingungen verurteilt.
Das beklagte Gasversorgungsunternehmen verwendet seit April 2007 für Grundversorgungskunden neben der Gasgrundversorgungsverordnung (GasGVV)* "Ergänzende Bedingungen ? zur GasGVV" und für Sonderkunden "Besondere Bedingungen für die Belieferung von Haushalts- und Nicht-Haushaltskunden in Niederdruck außerhalb der Grundversorgung". Der klagende Verbraucherschutzverband verlangt die Unterlassung der Verwendung von insgesamt fünf darin enthaltenen Klauseln. Das Klauselwerk lautet auszugsweise wie folgt (die vom Kläger beanstandeten Klauseln sind in Kursivdruck wiedergegeben):
"A. Ergänzende Bedingungen zur GasGVV
?
IX. Einstellung der Versorgung
1. E. ist u. a. bei Nichterfüllung der Zahlungsverpflichtung trotz Zahlungserinnerung gemäß § 19 Abs. 2 GasGVV berechtigt, die Gasversorgung vier Wochen nach Androhung einzustellen zu lassen [Klausel Nr. 1]. Die Wiederinbetriebnahme erfolgt in diesen Fällen regelmäßig erst dann, wenn die offenen Gaslieferungsforderungen und die Kosten der Versorgungseinstellung und der Wiederinbetriebnahme in voller Höhe beglichen wurden.
2. Eine in nicht unerheblichem Maße schuldhafte Zuwiderhandlung des Kunden gegen die GasGVV im Sinne von § 19 Abs. 1 GasGVV liegt vor, wenn der Kunde grob fahrlässig oder vorsätzlich handelt [Klausel Nr. 2].
?
X. Preisänderungen
1. Änderungen der allgemeinen Preise und der ergänzenden Bedingungen werden gemäß § 5 Abs. 2 GasGVV jeweils zum Monatsbeginn und erst nach öffentlicher Bekanntgabe wirksam, die mindestens sechs Wochen vor der beabsichtigten Änderung erfolgen muss [Klausel Nr. 3].
2. Im Falle einer Änderung nach Abs. 1 steht dem Kunden nach § 5 Abs. 3 GasGVV ein Sonderkündigungsrecht zu. Das Sonderkündigungsrecht muss innerhalb einer Frist von sechs Wochen ab Veröffentlichung der Preisänderung gemäß § 5 Abs. 3 GasGVV ausgeübt werden. Ist der neue Lieferant nicht in der Lage, die Versorgung des Kunden unmittelbar nach dem Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Kündigung aufzunehmen, gelten die allgemeinen Preise bzw. Ergänzenden Bestimmungen dem Kunden gegenüber weiter. Dies gilt maximal für den Zeitraum, den der neue Lieferant ab dem Zeitpunkt des Vertragsschlusses im Rahmen eines üblichen Wechselprozesses benötigt, um die Belieferung aufzunehmen. Als üblicher Zeitraum gelten maximal zwei Monate. Erfolgt nach Ablauf dieser Frist keine Versorgung durch den neuen Lieferanten, fällt der Kunde in die Ersatzversorgung [Klausel Nr. 4].




B. Besondere Bedingungen für die Belieferung von Haushalts- und Nicht-Haushaltskunden in Niederdruck außerhalb der Grundversorgung
?
IV. Preisänderungen und Sonderkündigungsrecht
1. Änderungen der Sonderpreise E. Klassik und E. Komfort werden entsprechend § 5 GasGVV jeweils zum Monatsbeginn und erst nach öffentlicher Bekanntgabe wirksam, die mindestens sechs Wochen vor der beabsichtigten Änderung erfolgen muss [Klausel Nr. 5]. Das Änderungsrecht der E. nach Satz 1 bezieht sich beim Sonderpreis Komfort auf beide Preisbestandteile, d. h., sowohl auf den zugrunde liegenden E. Klassik-Preis als auch auf den Rabatt. Im Falle einer Preis- oder Rabattänderung steht dem Kunden entsprechend § 5 Abs. 3 GasGVV ein Sonderkündigungsrecht zu. Bezüglich der Voraussetzungen und Folgen einer solchen Kündigung wird auf Ziffer X. Absatz 2 der Ergänzenden Bedingungen zur GasGVV verwiesen.
?"
Das Landgericht hat der Klage mit Ausnahme von Klausel Nr. 3 stattgegeben. Das Oberlandesgericht hat das erstinstanzliche Urteil geändert und der Klage auch hinsichtlich Klausel Nr. 3, nicht aber hinsichtlich Klausel Nr. 4 stattgegeben. Auf die Revision des klagenden Verbandes hat der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs der Klage auch im Hinblick auf Klausel Nr. 4 stattgegeben. Die Revision der Beklagten hatte hingegen keinen Erfolg.
Die für die Gasversorgung außerhalb der Grundversorgung geltende Preisanpassungsklausel (Klausel Nr. 5) benachteiligt die Sonderkunden der Beklagten unangemessen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs stellt zwar eine Preisanpassungsklausel in einem Sonderkundenvertrag, die das in § 5 der Gasgrundversorgungsverordnung (GasGVV)* geregelte gesetzliche Preisan-passungsrecht unverändert übernimmt, keine unangemessene Benachteiligung dar (vgl. Urteil des Bundesgerichtshofs vom 15. Juli 2009 ? VIII ZR 56/08, Pressemitteilung Nr. 152/2009). Hier handelt es sich aber nicht um eine inhaltlich mit § 5 GasGVV übereinstimmende Preisanpassungsklausel. Denn die unveränderte Übernahme des gesetzlichen Preisanpassungsrechts muss auch die in § 5 Abs. 2 Satz 2 GasGVV geregelten Mitteilungspflichten des Gasversorgungsunternehmens erfassen (u. a. briefliche Mitteilung der beabsichtigten Änderungen an den Kunden). Diese Pflichten sind auch gegenüber Sonderkunden von wesentlicher Bedeutung, weil auch diese ein Interesse daran haben, rechtzeitig und zuverlässig in einer Weise über Preisänderungen informiert zu werden, die gegebenenfalls einen zügigen Lieferantenwechsel ermöglicht. In Klausel Nr. 5 wird aber nur der erste Satz von § 5 Abs. 2 GasGVV inhaltlich wiedergegeben. Deshalb ist nach der maßgeblichen kundenfeindlichsten Auslegung davon auszugehen, dass die in Satz 2 der Vorschrift enthaltene Regelung über die Mitteilungspflichten nicht gelten soll. Aus den gleichen Gründen ist Klausel Nr. 3, die für den Bereich der Grundversorgung gilt, wegen Verstoßes gegen die in diesem Bereich zwingende Vorschrift des § 5 Abs. 2 Satz 2 GasGVV unwirksam.
Der Bundesgerichtshof hat ferner entschieden, dass die Klauseln Nr. 1, 2, 3 und 4, die für die Belieferung von Grundversorgungskunden und Ersatzversorgungskunden gelten, zum Nachteil der Kunden von zwingenden Vorschriften der GasGVV abweichen. Darin liegt eine unangemessene Benachteiligung der Kunden, die zur Unwirksamkeit der Klauseln führt. Die Abweichung von den Vorschriften der GasGVV ergibt sich zum Teil daraus, dass deren Regelungsgehalt in den Ergänzenden Bedingungen der Beklagten nur unvollständig wiedergegeben wird. So beschränkt sich Klausel Nr. 1 auf die Wiedergabe von § 19 Abs. 2 Satz 1 GasGVV, nach der der Grundversorger insbesondere bei der Nichterfüllung einer Zahlungsverpflichtung trotz Mahnung berechtigt ist, die Grundversorgung vier Wochen nach Androhung unterbrechen zu lassen. Keine Erwähnung findet hingegen die einschränkende Regelung des § 19 Abs. 2 Satz 2 GasGVV, nach der dies unter anderem dann nicht gilt, wenn die Folgen der Unterbrechung außer Verhältnis zur Schwere der Zuwiderhandlung stehen. Klausel Nr. 4 weicht von dem in § 5 Abs. 3 GasGVV gewährleisteten Schutz in der Übergangszeit bei einem Versorgerwechsel zum Nachteil des Kunden ab.
Im Hinblick auf die Befugnis zur Unterbrechung der Grundversorgung ohne vorherige Androhung gemäß § 19 Abs. 1 GasGVV (Klausel Nr. 2) hat der Bundesgerichtshof klargestellt, dass eine von der Regelung vorausgesetzte "in nicht unerheblichem Maße schuldhafte" Zuwiderhandlung des Kunden nicht immer und unwiderleglich dann vorliegt, wenn der Kunde vorsätzlich oder grob fahrlässig handelt. Mit der Formulierung beschreibt die GasGVV nicht nur einen bestimmten Verschuldensgrad, sondern verlangt neben einem Verschulden des Kunden einen bestimmten Schweregrad der Zuwiderhandlung. Damit ist eine Unterbrechung der Grundversorgung ohne vorherige Androhung auch dann unzulässig, wenn es sich zwar um eine vorsätzliche oder grob fahrlässige Zuwiderhandlung des Kunden handelt, diese aber ? zum Beispiel im Hinblick auf ihre Auswirkungen für das Versorgungsunternehmen ? objektiv unerheblich ist.
* Gasgrundversorgungsverordnung (GasGVV)
§ 5 Art der Versorgung
(1) ?
(2) Änderungen der Allgemeinen Preise und der ergänzenden Bedingungen werden jeweils zum Monatsbeginn und erst nach öffentlicher Bekanntgabe wirksam, die mindestens sechs Wochen vor der beabsichtigten Änderung erfolgen muss. Der Grundversorger ist verpflichtet, zu den beabsichtigten Änderungen zeitgleich mit der öffentlichen Bekanntgabe eine briefliche Mitteilung an den Kunden zu versenden und die Änderungen auf seiner Internetseite zu veröffentlichen.
(3) Änderungen der Allgemeinen Preise und der ergänzenden Bedingungen werden gegenüber demjenigen Kunden nicht wirksam, der bei einer fristgemäßen Kündigung des Vertrages mit dem Grundversorger die Einleitung eines Wechsels des Versorgers durch entsprechenden Vertragsschluss innerhalb eines Monats nach Zugang der Kündigung nachweist.
§ 19 Unterbrechung der Versorgung
(1) Der Grundversorger ist berechtigt, die Grundversorgung ohne vorherige Androhung durch den Netzbetreiber unterbrechen zu lassen, wenn der Kunde dieser Verordnung in nicht unerheblichem Maße schuldhaft zuwiderhandelt und die Unterbrechung erforderlich ist, um den Gebrauch von Gas unter Umgehung, Beeinflussung oder vor Anbringung der Messeinrichtungen zu verhindern.
(2) Bei anderen Zuwiderhandlungen, insbesondere bei der Nichterfüllung einer Zahlungsverpflichtung trotz Mahnung, ist der Grundversorger berechtigt, die Grundversorgung vier Wochen nach Androhung unterbrechen zu lassen und den zuständigen Netzbetreiber nach § 24 Abs. 3 der Niederdruckanschlussverordnung mit der Unterbrechung der Grundversorgung zu beauftragen. Dies gilt nicht, wenn die Folgen der Unterbrechung außer Verhältnis zur Schwere der Zuwiderhandlung stehen oder der Kunde darlegt, dass hinreichende Aussicht besteht, dass er seinen Verpflichtungen nachkommt. Der Grundversorger kann mit der Mahnung zugleich die Unterbrechung der Grundversorgung androhen, sofern dies nicht außer Verhältnis zur Schwere der Zuwiderhandlung steht.
(3) Der Beginn der Unterbrechung der Grundversorgung ist dem Kunden drei Werktage im Voraus anzukündigen.
(4) Der Grundversorger hat die Grundversorgung unverzüglich wiederherstellen zu lassen, sobald die Gründe für ihre Unterbrechung entfallen sind und der Kunde die Kosten der Unterbrechung und Wiederherstellung der Belieferung ersetzt hat. Die Kosten können für strukturell vergleichbare Fälle pauschal berechnet werden; die pauschale Berechnung muss einfach nachvollziehbar sein. Die Pauschale darf die nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge zu erwartenden Kosten nicht übersteigen. Auf Verlangen des Kunden ist die Berechnungsgrundlage nachzuweisen. Der Nachweis geringerer Kosten ist dem Kunden zu gestatten.

Urteil vom 27. Januar 2010 ? VIII ZR 326/08
LG Potsdam - Urteil vom 13. November 2007 - 12 O 163/07
OLG Brandenburg ? Urteil vom 19. November 2008 - 7 U 223/07
(veröffentlicht in OLGR 2009, 275))
Karlsruhe, den 27. Januar 2010


Pressestelle des Bundesgerichtshofs
76125 Karlsruhe
Telefon (0721) 159-5013
Telefax (0721) 159-5501

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Datum: 27.01.2010 - 19:49 Uhr
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