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Neue Mittel gegen Infektionskrankheiten / Erreger kennen keine Grenzen / Sprecher des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung Krönke im Interview mit bmbf-online (BILD)

ID: 962996


(ots) -
Erreger kennen keine Grenzen und Resistenzen gegen Medikamente
nehmen rapide zu. Auch auf dem fünften Weltgesundheitsgipfel in
Berlin ist die Herausforderung an die Medizin durch
Infektionskrankheiten ein Schwerpunktthema. "Infektionskrankheiten
gehören heute zu den häufigsten Todesursachen weltweit", sagt
Professor Dr. Martin Krönke. Er ist Direktor des Instituts für
Medizinische Mikrobiologie, Immunologie und Hygiene an der Uniklinik
Köln und Sprecher des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung.
Unter dem Stichwort Translation etabliert das DZIF neue Strukturen,
um Erkenntnisse aus der Forschung möglichst schnell zum Patienten zu
bringen. Im Interview mit bmbf-online spricht Krönke über den
steinigen Weg von der Grundlagenforschung in die medizinische Praxis
und erklärt, warum immer neue Infektionskrankheiten auf uns zukommen.
Im globalen Kampf gegen Krankheitserreger dränge die Zeit, neue
Verfahren in der Diagnostik, Prävention und Therapie zu entwickeln.
Erste Erfolge gebe es dabei bereits.

bmbf-online: Herr Professor Krönke, ob Tuberkulose oder Grippe -
wie groß ist die Gefahr, die für uns von Infektionskrankheiten
ausgeht?

Krönke: Im letzten Jahrhundert wurden mikrobielle
Infektionserreger schon als besiegt erklärt. Leider war das eine
fatale Fehlinterpretation zu einer Zeit, in der die pharmazeutische
Industrie kontinuierlich neue Antibiotika in die klinische Anwendung
brachte. Die Begeisterung über große Wirksamkeit von Antibiotika war
jedoch verfrüht. Infektionskrankheiten gehören heute zu den
häufigsten Todesursachen weltweit. Insbesondere in den
Entwicklungsländern sterben vor allem Kleinkinder an
Infektionserkrankungen der Atemwege und des Magen-Darm-Traktes.

bmbf-online: Wie kommt es, dass immer neue Infektionskrankheiten
auf uns zukommen?





Krönke: Bedingt durch den Klimawandel werden den Überträgern von
Krankheitserregern neue Lebensräume geschaffen. Ein Beispiel ist die
Asiatische Tigermücke. Sie breitet sich gerade auch in Europa aus und
kann das West-Nil-Virus von Vögeln auf Menschen übertragen. Auch
durch das Vordringen in bislang vom Menschen unbesiedelte Regionen
kommen Menschen immer wieder mit unbekannten neuen Erregern in
Kontakt. Bei der Rodung des brasilianischen Urwalds wurden so schon
über 200 neue Viren isoliert. Deren Krankheitspotential ist noch
völlig ungeklärt. Durch die Mobilität können gefährliche
Krankheitserreger wie die in Süd-Ost Asien und Saudi-Arabien neu
aufgetretenen Corona-Viren, SARS und MERS, sogenannte Pandemien
auslösen - das kann jederzeit zu einem Problem werden, das die ganze
Welt betrifft.

bmbf-online: Stimmt es, dass diese Krankheiten immer schwerer
verlaufen und dass es der Pharmaindustrie immer weniger gelingt, neue
wirksame Medikamente dagegen zu entwickeln?

Krönke: Ja, das ist richtig: Die medizinische Behandlung von
Infektionskrankheiten gestaltet sich auch bei uns in Deutschland
immer schwieriger. Das liegt daran, dass viele bakterielle
Infektionserreger ausgeprägte Resistenzen gegen die gängigen
Antibiotika entwickelt haben. Bei einigen lassen sich bereits heute
schon keine wirksamen Antibiotika mehr finden. Das ist ganz besonders
brisant, wenn man bedenkt, dass es der Pharmaindustrie seit 1980
nicht mehr gelungen ist, wirklich neue Substanzklassen für
Breitband-Antibiotika in die Klinik zu bringen.

bmbf-online: Was ist denn eigentlich die Ursache dafür, dass immer
mehr Erreger gegen Antibiotika resistent sind?

Krönke: Bakterien vermehren sich rasend schnell. Das ist, zusammen
mit dem Kommunikationsverhalten der Bakterien, die Hauptursache für
die schnelle Resistenzentwicklung. Wenn sich erst einmal ein
Antibiotika-Resistenzmechanismus bei auch nur bei einem einzigen
Bakterium etabliert hat, wird sich dieses Bakterium unter dem
Selektionsdruck des Antibiotikums in bester darwinistischer Manier
vermehren und in kürzester Zeit durchsetzen. Darüber hinaus sind
Bakterien in der Lage Resistenzmechanismen auf Nachbarzellen zu
übertragen - auch über Speziesgrenzen hinweg. Durch den großflächigen
Einsatz von Antibiotika beim Menschen, in der Veterinärmedizin und in
der Tierzucht leisten wir der Antibiotika-Resistenzentwicklung also
auch noch Vorschub. Auf lange Sicht spielt unser menschliches
Verhalten aber nur eine untergeordnete Rolle. Wir können die
Antibiotikaresistenz-Entwicklung von Bakterien zwar entschleunigen
oder auch beschleunigen, aber eben nicht verhindern. Doch auch wenn
in Zukunft viele oder sogar die meisten Antibiotika nicht mehr so gut
greifen werden: Kassandra-Beschwörungen einer Rückkehr zur
Präantibiotischen Ära scheinen mir trotzdem überzogen. In den
vergangenen Jahren ist auf dem Gebiet der Prävention von
Infektionskrankheiten viel passiert: Durch hygienische Maßnahmen und
neue Impfstoffe beherrschen wir Infektionserreger und bereits
erfolgte Infektionen mittlerweile wesentlich besser.

bmbf-online: Sie sind Vorstandsvorsitzender des Deutschen Zentrums
für Infektionsforschung. Angesichts der von Ihnen beschriebenen
Situation - wie kann das DZIF da helfen?

Krönke: Das DZIF ist eines von sechs neuen bundesweiten
Gesundheitszentren, die vom Bundesforschungsministerium ins Leben
gerufen wurden, um die Erkenntnisse der Grundlagenforschung schneller
und effizienter an den Patienten zu bringen. Das ist nun leichter
gesagt als getan. Der Weg von einer im Experimentalmodell wirksamen
Substanz zur klinischen Prüfung am Menschen ist lang, steinig, teuer
und extrem risikoreich. Die wenigsten Wirkstoffkandidaten erfüllen
die Kriterien, die für eine klinische Studie erfüllt sein müssen.
Diese als Translation bezeichnete Forschungsrichtung war bislang eine
Domäne der Pharmaindustrie. Zahlreiche vielversprechende
Wirkstoffkandidaten, die an Universitäten und
Großforschungseinrichtungen entdeckt, aber nicht von der
Pharmaindustrie aufgegriffen und entwickelt wurden, können nun
innerhalb des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung bis zur
ersten Prüfung am Menschen gebracht werden. Diese translationale
Forschungsförderung schließt eine bislang eklatante Lücke in der
Entwicklungskette und Wertschöpfung von neuen Wirkstoffen in
akademischen Einrichtungen.

bmbf-online: Warum ist es grundsätzlich wichtig, dass nicht nur in
den Unternehmen zu neuen Medikamenten geforscht wird, sondern auch an
Universitäten und Großforschungseinrichtungen?

Krönke: Pharmafirmen sind gezwungen Geld zu verdienen. So trivial
das anmutet, spielt dieser Aspekt für die Interessenslage eine große
Rolle. Während im DZIF der Wunsch nach neuen Therapiemöglichkeiten
für den kranken Menschen im Vordergrund steht, zwingt das Primat der
Wirtschaftlichkeit die Pharmaunternehmen, das Marktpotential eines
Wirkstoffkandidaten als entscheidendes Kriterium für dessen
Entwicklung zu berücksichtigen. Ein "return on investment" wird sich
am ehesten bei chronischen Krankheiten einstellen, von denen viele
Patienten betroffen sind. Durch die Förderung von translationaler
Forschung im DZIF können antimikrobielle Wirkstoffe bis zur frühen
klinischen Prüfung entwickelt werden - ohne vordergründiges
Profitdenken. Es ist also eine berechtigte Hoffnung, dass die
Universitäten und Großforschungseinrichtungen des DZIF zur
Erweiterung des Spektrums von Antiinfektiva beitragen können.

bmbf-online: Woran wird zurzeit konkret geforscht?

Krönke: Die Forschung im DZIF ist in vollem Gange und aus den
einzelnen Abteilungen werden die ersten Erfolge gemeldet. Es ist zum
Beispiel gelungen, das weltweit erste Nachweissystem für MERS, das
Middle East Corona Virus, zu etablieren. Außerdem wurde bereits ein
Impfstoffkandidat für MERS entwickelt und in einer klinischen Studie
konnte die Infektionsdosis der Malaria tropica definiert werden. Die
Forschungseinheit "Neue Antiinfektiva" ist dabei, eine Impfung gegen
multiresistente Staphylokokken zu entwickeln.

bmbf-online: Welche Rolle spielt für den Bereich der
Infektionsforschung die Kommunikation und Zusammenarbeit mit anderen
Partnern?

Krönke: Im Deutschen Zentrum für Infektionsforschung möchten wir
Strukturen schaffen, die es auch akademischen Institutionen erlauben,
die Erkenntnisse der Grundlagenforschung möglichst schnell an den
Patienten zu bringen. Diese Strukturen wird das DZIF generell
Forschungseinrichtungen auch außerhalb des DZIF zur Mitbenutzung zur
Verfügung stellen. Der enge Austausch und die Kooperation mit
nationalen und internationalen Partnern im akademischen und privaten
Bereich sind enorm wichtig. Denn nur so können wir uns den aktuellen
und den kommenden Herausforderungen der Infektionserreger stellen und
ihnen mit neuen Verfahren in der Diagnostik, Prävention und Therapie
entgegentreten.

Forschung für unsere Gesundheit im Webtalk:
http://www.bmbf.de/de/webtalks-gesundheitsforschung.php
Gibt es die pefekte Diät? Macht es Sinn, sein Erbgut analysieren
zu lassen? Was für Gefahren drohen, wenn Medikamente bei einigen
Menschen nicht mehr wirken? Auf diese und andere Fragen antworten
Experten in der neuen Webtalk-Serie "Forschung für unsere
Gesundheit"

Volkskrankheit Bluthochdruck http://www.bmbf.de/de/22827.php
Im Gespräch mit Professor Dr. Detlev Ganten, World Health Summit

Individualisierte Medizin http://www.bmbf.de/de/22825.php
Im Gespräch mit Professor Dr. Walter Rosenthal, MDC Berlin-Buch

Ernährungsforschung http://www.bmbf.de/de/22819.php
Im Gespräch mit Professor Dr. Annette Grüters-Kieslich, Charité
Universitätsmedizin Berlin

Antibiotika-Resistenzen http://www.bmbf.de/de/22817.php
Im Gespräch mit Professor Dr. Norbert Suttorp, Charité
Universitätsmedizin Berlin

Neue Forschungs-Strukturen durch das DZIF:

Am Deutschen Zentrum für Infektionsforschung arbeiten seit 2012
mehr als 150 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in 32
universitären und außeruniversitären Einrichtungen an sieben
Standorten zusammen. Das DZIF ist eines von sechs Deutschen Zentren
der Gesundheitsforschung, die vom Bundesministerium für Bildung und
Forschung zur Erforschung der wichtigsten Volkskrankheiten initiiert
wurden.

http://www.dzif.de/
http://www.gesundheitsforschung-bmbf.de/

Weltgesundheitsgipfel in Berlin:

Der World Health Summit bringt jedes Jahr rund 1.000 Vertreter aus
Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft nach Berlin,
um die drängendsten Aufgaben der globalen Gesundheitsversorgung zu
diskutieren. Der fünfte World Health Summit findet vom 20. - 22.
Oktober 2013 im Auswärtigen Amt in Berlin statt. Er steht unter der
Schirmherrschaft von Bundeskanzlerin Angela Merkel, Frankreichs
Staatspräsident François Hollande und EU-Kommissionspräsident José
Manuel Barroso.

http://www.worldhealthsummit.org



Pressekontakt:
Strategische Kommunikation / Internationale Presse
Frau Georgia Blum
Bundesministerium für Bildung und Forschung
Hannoversche Straße 28-30, 10115 Berlin
Telefon: +49 (0)30 1857-5491
E-Mail: ls4(at)bmbf.bund.de

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Datum: 16.10.2013 - 10:00 Uhr
Sprache: Deutsch
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Forschung & Entwicklung


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