Nahrungsmittelspekulation: Schäuble vollzieht Kurswechsel bei EU-Verhandlungen zu Finanzmarktregulierung - foodwatch veröffentlicht vertrauliches Ministeriumspapier
(ots) - Die Bundesregierung hat bei den EU-Verhandlungen
zur Finanzmarktregulierung einen Kurswechsel vollzogen. Anders als
bislang vertreten, macht sich der deutsche Finanzminister Wolfgang
Schäuble nun gegen wesentliche Ausnahmeregeln und Schlupflöcher
stark, die einer effektiven Eindämmung der Nahrungsmittelspekulation
im Wege stehen würden. Das geht aus einem vertraulichen
Positionspapier hervor, das die Verbraucherorganisation foodwatch
heute veröffentlicht hat. Das vertrauliche Papier wurde vom
Bundesfinanzministerium Ende August an die anderen EU-Regierungen
verbreitet. Es trägt keinen Briefkopf, foodwatch konnte seine
Echtheit jedoch in einer Korrespondenz mit dem Ministerium
verifizieren.
Seit einigen Wochen laufen die so genannten "Trilog"-Verhandlungen
zwischen Europäischem Finanzministerrat, Europaparlament und
EU-Kommission über eine Reform der Finanzmarktrichtlinie MiFID. Noch
im Juni hatte Wolfgang Schäuble einem Entwurf des Ministerrats
zugestimmt, der weitreichende Ausnahmeregeln für Finanzspekulanten
enthält und die Nahrungsmittelspekulation kaum begrenzen würde. Davon
weicht er nun ab; in dem Papier vertritt sein Ministerium eine
deutlich schärfere Haltung und will wesentliche Ausnahmen verhindern.
"Herr Schäuble muss erklären, dass die neue Linie aus dem Papier
tatsächlich gilt - wenn die Bundesregierung ernsthaft etwas gegen
exzessive Nahrungsmittelspekulation tun will, darf sie dahinter nicht
zurückfallen", erklärte foodwatch-Geschäftsführer Thilo Bode. Er
kritisierte jedoch die wenig nachvollziehbare Verhandlungstaktik:
"Der Öffentlichkeit hat sich der Bundesfinanzminister zwar schon
immer als energischer Kämpfer gegen Agrarspekulation präsentiert. Im
Widerspruch dazu hatte er aber einem völlig untauglichen
Gesetzentwurf zugestimmt, der den Zockern ein 'Weiter so' erlauben
würde - nur um zwei Monate später dann doch Forderungen nach einer
schärferen Regulierung in die Verhandlungen einzubringen. Ich hoffe,
Herr Schäuble weiß: Das Thema ist zu ernst, um nur zu bluffen."
Der von den EU-Finanzministern mit ausdrücklicher Zustimmung
Schäubles vorgelegte Gesetzentwurf enthält so viele Schwachstellen
und Ausnahmeregelungen, dass er die Spekulation mit
Grundnahrungsmitteln praktisch nicht begrenzen würde. An den meisten
entscheidenden Punkten hat sich das Bundesfinanzministerium dem
vertraulichen Papier zufolge nun neu positioniert und der Haltung von
Nichtregierungsorganisationen wie foodwatch oder Oxfam angeschlossen.
Im Kern geht es um die Einführung umfassender Positionslimits ohne
Ausnahmeregeln, mit der die Zahl der zu rein spekulativen Zwecken
abgeschlossenen Warenterminverträge auf Agrar-Rohstoffe begrenzt
würde:
- Das Schäuble-Ministerium will jetzt die Positionslimits auch für
den bisher weitgehend unregulierten "Schattenhandel" außerhalb
der Rohstoff-Börsen (OTC-Handel) durchsetzen - im
EU-Finanzministerentwurf beziehen sich die Positionslimits
dagegen nicht explizit auf den außerbörslichen Handel.
- Die Höhe der Positionslimits soll dem Positionspapier aus dem
Bundesfinanzministerium zufolge von der Europäischen
Aufsichtsbehörde ESMA für alle Länder verbindlich festgesetzt
werden. Im EU-Ministerentwurf sollen dies die Nationalstaaten
selbst festlegen dürfen - was als Instrument der Standortpolitik
einen Unterbietungswettbewerb um möglichst laxe Obergrenzen zur
Folge hätte.
- Anders als im Gesetzentwurf vorgesehen, sollen die
Positionslimits nicht mehr nur auf einzelne Händler, sondern
konzernübergreifend auf ganze Gruppen von Händlern angewandt
werden ("aggregierte Positionslimits"). Dadurch könnte
verhindert werden, dass Konzerne wie die Deutsche Bank
Positionslimits einfach umgehen, indem sie ihre
Investmentgesellschaften und deren Rohstofffonds als separate
Händler mit jeweils einem eigenen Limit betrachten.
Sollte dieser Kurswechsel ernst gemeint sein, so wäre dies nach
Auffassung von foodwatch ein Schritt in die richtige Richtung, dem
allerdings weitere folgen müssten. Denn ein weiterer, entscheidender
Knackpunkt sind aus Sicht der Verbraucherorganisation die nach wie
vor unzureichenden Transparenz-Vorgaben für Banken und
Finanzdienstleister bei der Berichterstattung an die
Aufsichtsbehörden. "Die europäischen Aufsichtsbehörden müssen zeitnah
und umfassend Informationen über den weit verzweigten Handel mit
Rohstoffderivaten erhalten. Nur dann können die unmoralischen
Wett-Geschäfte auf die Preise von Lebensmitteln effektiv reguliert
und die fatalen Folgen für die Ärmsten der Welt gemindert werden",
kritisierte Thilo Bode.
Mit einer heute gestarteten E-Mail-Aktion unter www.foodwatch.de
können Bürgerinnen und Bürger Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble
auffordern, auf europäischer Ebene eine wirksame Eindämmung der
Agrar-Spekulation durchzusetzen.
Link:
- E-Mail-Aktion an Wolfgang Schäuble:
www.foodwatch.de/hungerwetten-stoppen
Redaktionelle Hinweise:
- Internes Positionspapier aus dem Bundesfinanzministerium:
bit.ly/18kvox5
- Hintergrundpapier von foodwatch zu den Verhandlungen über die
Finanzmarktregulierung: bit.ly/14XVntL
- Ausführlicher foodwatch-Report "Die Hungermacher" über die
schädlichen Auswirkungen der exzessiven Spekulation mit
Nahrungsmitteln zum Download:
www.foodwatch.de/report-spekulation
Pressekontakt:
foodwatch e.V.
Martin Rücker
E-Mail: presse(at)foodwatch.de
Tel.: +49 (0)30 / 24 04 76 - 2 90
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Datum: 01.10.2013 - 11:00 Uhr
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