Werder Bremen-Presseservice: Interview mit Thomas Eichin: "Ich kann mit derängstlichen Erwartungshaltung nichts anfangen"
(ots) - Vier Tage vor dem Nordderby beim Hamburger SV nimmt
sich Werders Geschäftsführer Sport, Thomas Eichin, in diesem
Interview die Zeit, um auf die letzten Wochen und Monate
zurückzuschauen. Er gibt Einblick in seine Analyse der gegenwärtigen
Lage und macht Mut. Er sieht Werder auf dem richtigen Weg und
beschreibt die wichtigsten Zwischenstationen. Er erklärt, warum sich
die Unterstützung der Grün-Weißen weiterhin lohnen wird.
Herr Eichin, vor dem Nordderby schreibt die Süddeutsche Zeitung
von den "verglühenden Nordlichtern" und vergleicht das Duell am
Samstag mit den Derbywochen im Jahr 2009, als sich die beiden Teams
in vier Wochen im Halbfinale des DFB-Pokals, des UEFA-Cups und in der
Bundesliga gegenüberstanden. Das Ergebnis dieses Vergleichs ist
unschwer zu erraten?
Thomas Eichin: Ich habe es nicht gelesen, aber ich kann es mir
vorstellen. Es interessiert mich auch nicht. Die Derbywochen sind
vier Jahre her. Das ist eine Ewigkeit im Fußball. Wenn ich aber
solche Höhepunkte im Weser-Stadion wieder erleben will, muss ich mich
der Aktualität stellen.
Und die heißt, HSV gegen Werder, Vierzehnter gegen Fünfzehnter!
Thomas Eichin: Das ist richtig. Aber sie heißt auch auf Seiten von
Werder Bremen: Neubeginn, eine andere Weichenstellung, damit auch
Umstellung, Experimente, neue, frische Gesichter, die ihre Chance
suchen, bekannte Gesichter, die sich mit diesem Aufbruch
hundertprozentig identifizieren. Inbegriffen sind bittere
Rückschläge, wie am Wochenende, aber es werden auch Lichtblicke
dazugehören. Da bin ich mir ganz sicher. Vielleicht schon am Samstag
in Hamburg.
Aber nach dem 0:3 gegen Frankfurt fehlt die Fantasie dafür. Viele
Fans haben eher das Gefühl, es herrscht Stillstand oder sogar
Rückschritt.
Thomas Eichin: Mit dieser fast schon ängstlichen Erwartungshaltung
kann ich nichts anfangen. Man kann über dieses Spiel richtig sauer
sein, aber diese Untergangsstimmung, dieses negative Denken hier im
Umfeld bringt niemanden weiter. Klar war das, was wir gegen Frankfurt
gesehen haben, schlecht. Wir haben da erlebt, was wir prognostiziert
haben. Nämlich dass es ein mühsamer Weg wird. Aber auf diesen Weg
sind wir gerade erst eingebogen. Und ich finde, dass wir bis zur
Partie gegen Gladbach ordentlich unterwegs waren.
Wie meinen Sie das genau, können sie diesen Weg beschreiben?
Thomas Eichin: Wir machen seit drei Monaten nichts anderes, aber
ich nenne gerne noch mal die Zwischenstationen. Wir haben einen neuen
Trainerstab gesucht, der nicht durch die Ergebnisse der letzten drei
Jahre belastet ist und sich einem Aufbruch unter völlig neuen
finanziellen Rahmenbedingungen stellt. Wir haben mit Sokratis und De
Bruyne zwei Topspieler abgeben müssen, die Mannschaft in der
Vorbereitung auf den Prüfstand gestellt und den Kader in einer
aufreibenden Transferperiode weiter verschlankt. Wir haben
mittlerweile ein Team, dass den Etat mit zig Millionen Euro weniger
belastet als die Mannschaft vor drei Jahren, mit der sich Werder auch
erst am vorletzten Spieltag vor dem Abstieg gerettet hat. Dieses
Abspecken war leider absolut nötig, damit Werder Bremen auch ohne
Europapokaleinnahmen funktioniert. Wir haben uns bei der
Talenteförderung völlig neu aufgestellt. Neue Trainer, neue
Strukturen. Wir haben das Scouting professionalisiert. Davon
profitieren wir aber erst später. Wir haben Vollgas gegeben und erste
Höhen und Tiefen erlebt. Das Pokalaus, die Partien gegen Gladbach und
Frankfurt. Aber wir haben auch sechs Punkte aus den ersten beiden
Spielen geholt. Bei einem Aufsteiger, aber auch gegen den FC
Augsburg, der danach drei Siege in Folge feierte.
Das hört sich nicht nach Zweifel an.
Thomas Eichin: Warum auch, ich bin von unserem Weg überzeugt. Wer
nach fünf Spieltagen den Kopf in den Rasen steckt, verliert die
Richtung aus den Augen. Vielleicht geht noch nicht alles auf, aber es
ist auch längst nicht alles ausgereizt. Nils Petersen wird wieder
wichtige Tore für uns schießen, Elia wird damit anfangen, di Santo
wird die Rotsperre wegstecken und das Publikum von seinen Qualitäten
überzeugen, Garcia war noch gar nicht auf dem Platz - wir haben noch
29 Spieltage vor uns. Der Weg ist noch weit, aber wir werden uns
immer besser auf ihn einstellen.
Werden sich auch die Fans mit dem Weg identifizieren?
Thomas Eichin: Da bin ich mir sicher. Es werden auch wieder andere
Auftritte von diesem Team zu sehen sein. Es wird sich
weiterentwickeln. Junge Spieler werden mehr Verantwortung übernehmen.
Ein Luca Caldirola wird weiter wachsen. Wenn ich sehe, mit welcher
Geschwindigkeit er deutsch lernt, dann bekomme ich einen Eindruck,
wie er sich mit Werder identifiziert. Ich freue mich schon darauf,
dass er mit seiner Art immer dominanter auf dem Platz wird.
Wer weiß, vielleicht ist er mal einer, den die Fans in 15 Jahren
mit Tränen in den Augen bei einem Abschiedsspiel im Weser-Stadion
verabschieden.
Thomas Eichin: Auch das ist möglich. Auch ein Torsten Frings war
in seinen ersten Jahren Teil des Teams, dass um den Klassenerhalt
gekämpft hat, auch er hat sich bei Werder im Zuge des Umbruchs 1999
weiterentwickelt, ist gereift, hat sich nach und nach mehr
Verantwortung genommen. Und das ist doch genau das Spannende. Wer
jetzt ins Stadion kommt, kann die Entwicklung mitverfolgen und
unterstützen. Wer jetzt ins Stadion kommt, wird sicher Spieler
scheitern sehen, aber er wird auch Zeuge, wie der eine oder andere
Stern aufgeht. Wer jetzt ins Stadion kommt, kann sagen, er war von
Anfang an dabei.
Zurück zum Anfang unseres Gesprächs: Es wird also neue
"Werder-Nordlichter" am Fußballhimmel geben?
Thomas Eichin: Es gibt keine Garantien im Fußball. Vielleicht ist
da etwas in den letzten Jahren verglüht oder abgekühlt. Aber wir
setzen gerade alles in Bewegung, um wieder Funken zu entfachen.
Interview: Michael Rudolph
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Datum: 17.09.2013 - 13:44 Uhr
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