Wenn sich Kratzer selbst heilen
(PresseBox) - Die Natur macht es vor: Hat man einen Kratzer auf der Haut, heilt die Wunde in der Regel von selbst. Geht ein Kratzer an einem Fahrzeug bis auf die Metalloberfläche, so muss in der Werkstatt nachgeholfen werden, damit der Defekt geschlossen wird und kein Rost entsteht. Bis 2006 durften verzinkte Karosseriebleche durch Chromatieren mit Chrom(VI)-Verbindungen vor Korrosion geschützt werden - ein Verfahren, das in gewissem Umfang eine "Selbstheilung" von Kratzern in der Schutzschicht ermöglicht. Seit dem weitgehenden Chrom(VI)-Verbot durch die EU-Altautorichtlinie im Jahr 2007 wird eine Alternative zu diesem Verfahren gesucht. Gemeinsam mit Projektpartnern aus der Fraunhofer- und der Max-Planck-Gesellschaft hat das Fraunhofer-Institut für Silicatforschung ISC, Würzburg, eine umweltfreundliche Lösung für den Korrosionsschutz auf Sol-Gel-Basis mit selbstheilenden Eigenschaften erarbeitet.
Durch Korrosion von Metallen entstehen der Volkswirtschaft jedes Jahr Schäden in Milliardenhöhe. In den Industrieländern rechnet man aktuell mit etwa 6 Prozent des Bruttonationaleinkommens, wenn man alle Folgekosten mit einbezieht, die beispielsweise durch Produktionsminderung oder Betriebsausfälle entstehen. Allein in Deutschland sind das 150 Milliarden Euro pro Jahr. Für eine nachhaltige Produktion ist die Verhinderung von Korrosion deshalb ein bedeutendes Thema.
Selbstheilender Korrosionsschutz - Schlüsselthema für die Automobilindustrie
Der Selbstheilungseffekt ist gerade für die Automobilindustrie von großer Bedeutung. Beispielsweise wird der Korrosionsschutz durch Tauchlackierung von ganzen Karosserien aufgetragen. Beim weiteren Zusammenbauen können insbesondere die Hohlräume in einzelnen Bauteilen vor der Lackierung nicht mehr nach feinen Rissen in der Korrosionsschutzbeschichtung überprüft werden - damit solche Mikrorisse nicht weiteren Schaden anrichten können, kommt an dieser Stelle eine selbstheilende Schicht in Frage. "Feine Risse in den Hohlräumen findet man nicht ohne weiteres. Und als Kunde sieht man nur die Oberfläche. Deshalb ist ein Korrosionsschutz mit Selbstheilungseffekt wichtig für die Haltbarkeit des Produkts" erklärt Dr. Gerhard Schottner, Leiter des Geschäftsbereichs Umwelt am Fraunhofer ISC und Gesamtkoordinator des Projekts ASKORR für die Fraunhofer-Gesellschaft.
Chrom-(VI)-Ersatzstoffe müssen in den neuen umweltfreundlichen Korrosionsschutzkonzepten eine Menge leisten. Sie müssen sich als Haftgrund für die spätere Lackierung bewähren, Umformprozesse überstehen und sie sollen kleine Defekte in Schichtverbunden möglichst schnell automatisch schließen und versiegeln, bevor ein größerer Schaden durch Korrosion entstehen kann
Für einen dauerhaften passiven Korrosionsschutz, der als Haftgrund aufgetragen wird und auch in anschließenden Umformprozessen eine stabile Schutzschicht bildet, gibt es bereits eine anwendungsreife umweltfreundliche Lösung auf der Basis hybrider Nanokomposite, die am Fraunhofer-Institut für Silicatforschung ISC entwickelt wurde. Sie bietet für viele Anwendungen eine sehr gute Schutzwirkung. Allerdings fehlte bislang noch der aktive Schutz: die Selbstheilung kleiner Defekte.
Dieser Herausforderung hat sich unter der Leitung des Fraunhofer ISC ein Projektteam aus der Grundlagen- und der anwendungsorientierten Forschung gemeinsam angenommen. Die beiden Fraunhofer-Institute ISC und IAP sowie die Max-Planck-Institute für Polymerforschung und für Eisenforschung entwickelten im Projekt ASKORR einen aktiven Korrosionsschutz auf Sol-Gel-Basis in Verbindung mit einer Wirkstoffverkapselung. "Die Kombination von Schutzschichten mit aktiven Wirkstoffcontainern ist ein großer Fortschritt hin zu einem schadenstoleranten, selbstheilenden Korrosionsschutz", erklärt Dr. Schottner.
Hybridpolymere Nanokomposite als Chrom(VI)-Ersatz
In dem neu entwickelten Verfahren werden als Chrom(VI)-Ersatz hybridpolymere Nanokomposite eingesetzt, die am Fraunhofer ISC entwickelt wurden. Durch geschickte Kombination spezifischer Verzinkung, hybrider Nanokompositwerkstoffe und neuer Wirkstoffcontainer werden aktive Schichtverbunde hergestellt, die Defekte oder Korrosionsphänomene ortsselektiv ausheilen können. Dabei werden Wirkstoffcontainer in der Nanokomposit- und der darunterliegenden Zinkschicht durch mechanische Beschädigung oder durch eine pH-Wert-Änderung aktiviert. Die im Untergrund des Lacks sitzenden Wirkstoffkomponenten werden innerhalb von Sekunden freigesetzt und bilden in Folge einer chemischen Reaktion eine feste Substanz. Somit ist eine ortsselektive Ausheilung gewährleistet. Die Verkapselung ermöglicht die mechanische oder chemisch getriggerte Freisetzung der Wirkstoffe gezielt bei der Entstehung von Mikrorissen und schützt gleichzeitig die funktionellen Inhaltsstoffe während der Verzinkung bzw. während der Herstellung der hybridpolymeren Schicht. Ebenso ermöglicht die Verkapselung die Langzeitspeicherung der funktionellen Komponenten. Eine große Herausforderung für die Wissenschaftler war es, die Wirkstoffcontainer mit sehr kleinem Teilchendurchmesser zu erzeugen, um sie in die Nanokomposit- und Zinkschichten einarbeiten zu können.
Das Selbstheilungsvermögen von Beschichtungen ist allerdings erst im Stadium der anwendungsnahen Grundlagenforschung. In etwa ein bis zwei Jahren, so schätzt Dr. Gerhard Schottner, werde die Anwendung marktreif sein. Am Fraunhofer ISC können die hybriden Nanokomposite auf die jeweiligen Anforderungen hin maßgeschneidert hergestellt werden.
Toxisch und krebserregend: Chrom(IV)-Verbindungen
Stahloberflächen erhalten durch Verzinken einen sehr guten Korrosionsschutz. Jedoch korrodiert - abhängig von Umwelteinflüssen - auch die Zinkschicht. Aus diesem Grund wird diese Schicht entweder sehr dick ausgelegt oder nochmals mit einer sogenannten Konversionsschicht, gefolgt von einer organischen Schicht, geschützt. Der beste Korrosionsschutz wird durch eine Konversionsbehandlung mit Chrom(IV)-Verbindungen - Chromatieren genannt - erreicht. Bis 2006 wurde der Korrosionsschutz durch das Chromatieren sehr verbreitet eingesetzt, z. B. auch bei Karosserieblechen oder Schrauben. Sechswertige Chrom-Verbindungen sind in der EU-Stoffrichtlinie als toxisch und krebserregend eingestuft. Seit 2007 müssen die Automobilhersteller nach der EU-Altfahrzeugverordnung ihre Produkte komplett Chrom(VI)-frei anbieten. Die Oberflächenbehandlung mit sechswertigem Chrom ist nur noch in Ausnahmefällen zugelassen. Aber auch hier rechnen Experten mit dem vollständigen Verbot dieser Ausnahmen.
Die Entwicklungen des Fraunhofer ISC im Bereich der Schutzschichten bieten Multifunktionalität bei geringem Ressourceneinsatz. Durch die Verwendung von Easy-to-clean-Schichten oder Korrosionsschutz auf Metall und Glas, oder von Barrierefolien für den Schutz von empfindlichen Produkten werden die Langlebig- und Beständigkeit der Produkte erheblich gesteigert. Für die Umwelt entsteht ein Mehrwert durch umweltfreundliche und ressourcenschonende Produktion der Beschichtungen. Ein weiterer Nutzen für Hersteller sowie Endkunden sind der Werterhalt und die Wertsteigerung der Produkte.
Die Fraunhofer-Gesellschaft ist die führende Organisation für angewandte Forschung in Europa. Unter ihrem Dach arbeiten 60 Institute an Standorten in ganz Deutschland. Mehr als 20 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bearbeiten das jährliche Forschungsvolumen von 1,8 Milliarden Euro. Davon fallen 1,5 Milliarden Euro auf den Leistungsbereich Vertragsforschung. Über 70 Prozent dieses Leistungsbereichs erwirtschaftet die Fraunhofer-Gesellschaft aus Aufträgen der Industrie und öffentlich finanzierten Forschungsprojekten. Internationale Niederlassungen sorgen für Kontakt zu den wichtigsten gegenwärtigen und zukünftigen Wissenschafts- und Wirtschaftsräumen.
Das Fraunhofer-Institut für Silicatforschung ISC in Würzburg erschließt als Materialforschungsinstitut im Kundenauftrag neue Werkstoffpotenziale - im Blick die effiziente und sichere Energienutzung, den nachhaltigen Umgang mit Ressourcen und eine bezahlbare Gesundheitsversorgung. Der Fokus liegt dabei auf nichtmetallischen anorganischen Materialien. Energie, Umwelt und Gesundheit sind die zentralen Themenkomplexe, denen sich das Fraunhofer ISC in seinen Projekten vorrangig widmet. Im Auftrag der Industrie werden neben Werkstoffen auch alle dazugehörigen Technologien und Verarbeitungsprozesse entwickelt. Das ISC ist bei der Entwicklung innovativer Werkstoffe seit Jahrzehnten ein kompetenter Partner für KMU und Großindustrie.
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Die Fraunhofer-Gesellschaft ist die führende Organisation für angewandte Forschung in Europa. Unter ihrem Dach arbeiten 60 Institute an Standorten in ganz Deutschland. Mehr als 20 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bearbeiten das jährliche Forschungsvolumen von 1,8 Milliarden Euro. Davon fallen 1,5 Milliarden Euro auf den Leistungsbereich Vertragsforschung. Über 70 Prozent dieses Leistungsbereichs erwirtschaftet die Fraunhofer-Gesellschaft aus Aufträgen der Industrie und öffentlich finanzierten Forschungsprojekten. Internationale Niederlassungen sorgen für Kontakt zu den wichtigsten gegenwärtigen und zukünftigen Wissenschafts- und Wirtschaftsräumen.
Das Fraunhofer-Institut für Silicatforschung ISC in Würzburg erschließt als Materialforschungsinstitut im Kundenauftrag neue Werkstoffpotenziale - im Blick die effiziente und sichere Energienutzung, den nachhaltigen Umgang mit Ressourcen und eine bezahlbare Gesundheitsversorgung. Der Fokus liegt dabei auf nichtmetallischen anorganischen Materialien. Energie, Umwelt und Gesundheit sind die zentralen Themenkomplexe, denen sich das Fraunhofer ISC in seinen Projekten vorrangig widmet. Im Auftrag der Industrie werden neben Werkstoffen auch alle dazugehörigen Technologien und Verarbeitungsprozesse entwickelt. Das ISC ist bei der Entwicklung innovativer Werkstoffe seit Jahrzehnten ein kompetenter Partner für KMU und Großindustrie.
Datum: 13.09.2013 - 09:01 Uhr
Sprache: Deutsch
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