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Trotz Arbeit in Armut (BILD)

ID: 928655


(ots) -
Sie hatte ein gutes Einkommen, einen guten Job und war in der
Gesellschaft anerkannt. Wenngleich sie einigermaßen gut situiert war,
hat sie aber nie ein Leben in Saus und Braus geführt. Doch trotz der
Odyssee, die für sie begann, hat sie ihren Lebensmut nicht verloren.
Die 41-jährige Karin M. und ihre sechsjährige Tochter Mia können
nicht aus eigener Kraft und ohne die Hilfe der Tafel des
Albert-Schweitzer Familienwerkes Brandenburg ihren täglichen
Ernährungsbedarf decken. Dafür reicht das Geld nicht. Sie ist dankbar
für die Unterstützung - wie so viele.

Das Albert-Schweitzer-Familienwerk Brandenburg e.V. ist Träger von
vier "Tafel"-Projekten mit vier zusätzlichen Ausgabestellen im Land
Brandenburg. Über 17.600 Menschen wenden sich regelmäßig hilfesuchend
an diese Tafeln, darunter mehr als 4.000 Kinder. "Diese Zahlen
sprechen für sich, Tendenz steigend", meint Margitta Behnke,
Geschäftsführerin des Verbandes der Albert-Schweitzer-Kinderdörfer
und Familienwerke. Sie spricht von "bedrückenden Schicksalen von
Menschen, die immer weiter in ein gesellschaftliches Abseits gedrängt
werden und trotz Arbeit die Tafel für ihr Überleben in Anspruch
nehmen müssen." Laut der jüngsten Erhebung des Statistischen
Bundesamtes arbeiten über sechs Millionen Menschen im
Niedriglohnsektor, das entspricht jedem fünften Arbeitnehmer. "Das
ist die bittere Realität", so Behnke weiter.

Wenn Karin M. ihre Lebensgeschichte erzählt, treibt es ihr nicht
die Tränen in die Augen, verbittert ist sie auch nicht. Doch Knall
auf Fall kann sich einiges urplötzlich ändern. Das hat sie selbst
erlebt. Manchmal sind es Kleinigkeiten, die das Kartenhaus
zusammenfallen lassen. Das kann jedem passieren.

Es ist eine typische Wendegeschichte. Zu DDR-Zeiten hatte sie für
sich den Traumberuf gefunden. Sie arbeitete als Glasveredlerin. Dann




fiel der Eiserne Vorhang, auch für sie persönlich. Waren die eigenen
Erwartungen an Hoffnungen geknüpft, so musste sie selbst schnell
feststellen, dass sie enttäuscht wurden. "Nach dem Mauerfall hatte
ich nur Jobs mit einer Befristung von einem Jahr. Verlängert wurden
sie nicht. Meine Lebensplanung war dementsprechend stark
eingeschränkt. Entmutigen lassen habe ich mich dennoch nicht. Ich
wollte und konnte das verkraften", sagt sie rückblickend.

Die 90er Jahre stehen für die Bewohner im Osten der Republik als
Synonym für einen Findungsprozess, der für manche dennoch mit
Ernüchterung behaftet ist. Infolge der umstrittenen
Arbeitsmarktreform im Jahr 2002, subsumiert auf den Begriff Hartz IV,
sind in Ost wie West die finanziellen Hilfsleistungen auf ein Minimum
zurückgeschraubt worden. Auch für Karin M.. Zunächst heiratete die
heute 41-Jährige, ihre Tochter Mia wurde geboren. Das Glück schien
ihr wieder hold zu sein. Mitnichten. Die Ehe scheiterte, wenngleich
der Kontakt zu ihrem damaligen Mann nach wie vor gut ist und sie von
ihm zu einem gewissen Grad finanziell unterstützt wird. Seit 2007 hat
sie wegen der Geburt ihrer Tochter keine Chance mehr auf dem
Arbeitsmarkt. "Kinder sind für viele Arbeitgeber abschreckend. Ich
sei nicht flexibel genug, so die Begründung, die ich mir immer
anhören muss. Ich frage mich, in was für einer Gesellschaft wir
leben." Mit Gelegenheitsjobs hält sie sich und Mia seither über
Wasser. Doch das Geld reicht hinten und vorn nicht. 390 Euro darf sie
laut der Hartz-IV-Behörde dazuverdienen. Kein einziges
Bewerbungsangebot hat die nahe Spremberg in einer kleinen Ortschaft
lebende Frau seither erhalten. Bei einem Lebensmitteldiscounter
arbeitet sie dreimal pro Woche - stundenweise, je nach Bedarf. "Das
ist unbefriedigend. Ich will mehr arbeiten, erhalte aber keine
Unterstützung vom Arbeitsamt. Verträge werden kurzzeitig befristet
verlängert, dann steht man wieder auf der Straße", befürchtet sie.
Die Marotte von einigen Arbeitgebern ist oftmals identisch. Statt
eine Festanstellung zu gewährleisten, wird nur die Aussicht dahin
offeriert. Zumeist gibt es am Ende keine Verlängerung, stattdessen
wird jemand neu eingestellt - natürlich befristet. "Es ist ein
Kreislauf, aus dem ich nicht herauskomme. Ich fühle mich ausgebeutet,
der Staat schafft keine Möglichkeiten."

Von den ihr zur Verfügung stehenden 1.200 Euro inklusive der
Unterhaltszahlungen durch ihren ehemaligen Mann und Hartz-IV-Bezüge
muss alles einschließlich der Miete für die kleine Wohnung bestritten
werden. Darunter leidet auch ihre Tochter. Sie geht in die zweite
Klasse einer Grundschule. Niemand weiß, auch aus Schamgefühl, dass
sie zum Mittagessen mit ihrer Mutti zur Tafel der
Albert-Schweitzer-Familienwerke geht. "Das ist ein Glücksfall für
uns", sagt die 41-Jährige.

Jochen Brühl, Vorsitzender des Bundesverbandes Deutsche Tafel
e.V., sieht die Politik in der Pflicht: "Die Hilfe der Tafeln oder
gemeinnütziger Organisationen überhaupt ist kein Ersatz für
sozialstaatliche Leistungen. Bürgerschaftliches Engagement entbindet
den Staat nicht von der Fürsorgepflicht für seine Bewohner.
Gemeinnützige Initiativen können Armut nicht beseitigen, aber bei
einem Teil der Betroffenen ihre Folgen lindern. Daseinsvorsorge ist
Aufgabe des Staates - und muss es bleiben." Derzeit gibt es 912
Tafeln in Deutschland. Bundesweit unterstützen sie regelmäßig über
1,5 Millionen bedürftige Menschen mit Lebensmitteln - knapp ein
Drittel davon Kinder und Jugendliche.

Karin M. legt indes Wert auf gesunde Ernährung. Ohne das Angebot
der Tafel könnte sich die Kleinfamilie das nicht leisten. Einmal pro
Woche gelingt es ihr nach Spremberg zu fahren, um bei der Tafel
Grundnahrungsmittel zu erhalten. "Für mich, aber vor allem fürs Kind,
ist das wichtig - das Beste für Mia. Dafür stehe ich über meinem
eigenen Stolz", sagt sie. Ihre Tochter wird während der Arbeitszeit
mit einer Vier-Stunden-Genehmigung des Amtes betreut, zwei Stunden
vor, zwei nach der Schule. Wochenendausflüge zur Erholung sind nur
dann möglich, wenn sie nicht mit finanziellen Belastungen
einhergehen. In den Urlaub sind ist die kleine Familie schon lange
nicht mehr gefahren. "Ich muss meiner Tochter viel erklären. Warum
sie nicht so lange duschen kann, kaum Süßigkeiten oder nur kleine
Geburtstagsgeschenke als Aufmerksamkeit bekommen kann, weiß sie
mittlerweile."

Margitta Behnke ihrerseits hofft darauf, dass sich insbesondere
die Politik die Worte Albert Schweitzers zu Herzen nimmt: "Was der
Welt am meisten fehlt, sind Menschen, die sich mit den Nöten Anderer
beschäftigen".

Info: Das Albert-Schweitzer-Familienwerk Brandenburg e.V. ist ein
gemeinnütziger und mildtätiger Verein, der seinen Sitz in Spremberg
hat und seit 1996 vernetzte Hilfen für Kinder, Jugendliche und
Erwachsene aus einer Hand unter einem Dach anbietet.

Im Familienzentrum und im Albert-Schweitzer-Haus in Spremberg sind
eine Reihe von Beratungs- und Hilfsdiensten untergebracht wie z.B.
die interdisziplinäre mobile und ambulante Frühförder- und
Beratungsstelle, die Erziehungs- und Familienberatungsstelle, die
flexiblen Hilfen zur Erziehung, Einzelfallhelfer, die Projektleitung
Familienarbeit im Verbund (FIV), der offene Jugendtreff, die
Vermittlungsstelle Täter-Opfer-Ausgleich, die
Selbsthilfekontaktstelle (KISS), die Sozialakademie und die
Projektleitung Tafelarbeit. Außerhalb der Häuser sind unsere
Familientreffs in Tschernitz, Döbern, Groß Schacksdorf, Welzow und
Spremberg sowie die Praxis für Logopädie, die Schulsozialarbeit und
die Tagesgruppe "Ausweg" angesiedelt.

Das Albert-Schweitzer-Familienwerk fungiert darüber hinaus als
Träger von Kindertagesstätten in Graustein, Groß Luja, Sellessen /
Haidemühl und Schwarze Pumpe, des Hortes Sellessen/ Haidemühl sowie
über Tafeln für Bedürftige in Spremberg, Welzow, Cottbus, Drebkau und
Luckau. Im Schuljahr 2005/ 2006 hat der Betrieb der Grundschule
"Lausitzer Haus des Lernens" mit Hort in Spremberg erfolgreich
begonnen. Die Schule ist eine staatlich anerkannte Ersatzschule.



Pressekontakt:
Annett Häßler
Leiterin Öffentlichkeitsarbeit
ALBERT-SCHWEITZER-VERBAND der
Familienwerke und Kinderdörfer e.V.
Friedrichstr. 95 | PB 86
D - 10117 Berlin
T: +49 / 30 / 206 49 118
F: +49 / 30 / 206 49 119
E-Mail: annett.haessler(at)albert-schweitzer.de
Internet: www.albert-schweitzer-verband.de

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Datum: 19.08.2013 - 09:30 Uhr
Sprache: Deutsch
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