Sporthilfe-Experte und "Hall of Fame"-Mitglied Armin Hary im Interview / Der zweifache Olympiasiegerüber Handlungsbedarf in der Leichtathletik, Rekorde und die Ausnahmeerscheinung Usain Bolt
(ots) - Am Samstag, den 10. August startet die
Leichtathletik-Weltmeisterschaft 2013 in Moskau. Neun Tage lang
werden die Leichtathletik-Fans die Leistungen der besten Athleten der
Welt im Olympiastadion Luschniki verfolgen. Nach den Dopingfällen in
den vergangenen Wochen muss sich die Leichtathletik aber auch
vermehrt kritische Fragen gefallen lassen.
Herr Hary, haben Sie angesichts der immer wiederkehrenden
Doping-Meldungen noch Spaß an der Leichtathletik?
Wer einmal erfolgreich war, wird immer an ihr hängen. Die
Leichtathletik ist nicht nur die Königsdisziplin der Olympischen
Spiele, sie ist die Grunddisziplin aller Sportarten. Jedes Kind will
laufen, springen und auch werfen. Unbestritten allerdings ist, dass
die "Königin" zur Zeit tot krank ist, zerfressen vom Doping-Krebs.
Wenn wir nicht jetzt etwas unternehmen, etwas Grundsätzliches,
verkommt diese historisch, ethisch, kämpferisch und ästhetisch
wichtigste Sportart zum puren Zirkusrummel. Wenn saubere Athleten
keinen Spaß mehr an ihr haben, weil sie den Doping-Konkurrenten ewig
hinterherlaufen, wird schon den Kindern, erst recht den Jugendlichen
der Spaß an dieser Sportart genommen werden.
Sie haben vor kurzem eine Annullierung der Weltrekordzeiten im
Sprint gefordert, damit dieser wieder gesunden könne...
Dies war nur die notwendige Zuspitzung der Tatsache, dass jetzt,
nach Bekanntwerden der neuesten Perversitäten, der Zeitpunkt "da"
ist, etwas zu tun - Grundlegendes, wie ich eben schon sagte. Unser
Diskus-Olympiasieger Robert Harting fordert fünf Jahre für
Doping-Täter, m.E. können es auch zehn werden; das Mindeste aber ist,
Ausschluss jeglicher Doping-Täter von den Olympischen Spielen. Und
zwar für alle Zeiten. Betrüger dürfen nicht mehr in die Arenen
zurückkehren. Das setzt aber auch eine strikte Haltung der Verbände
voraus und nicht so eine lasche wie die der Briten, die dann doch
ihren Doping-Sprinter Dwain Chambers in London 2012 starten ließen.
Die Streichung der Rekorde wäre nur eine Folge dessen, dass acht der
zehn schnellsten Sprinter der Welt mittlerweile des Dopings überführt
sind.
Waren Ihnen persönlich Rekorde in Ihrer aktiven Zeit wichtig?
Rekorde sind wichtig in der Leichtathletik. Um mit Jesse Owens zu
sprechen: Sie sind schon deswegen da, um gebrochen zu werden - aber
doch nur von sauberen Athleten. Wo liegt denn sonst der Vergleich?
Schafft die Rekorde ab und lasst Doping-Monster ran. Und Sie werden
sehen, wie sich die Akzeptanz gen Null bewegt. Rekorde gehören zur
Historie - einer jeden Sportart. Dass für den Einzelnen unter
Umständen der Sieg höher steht als jeder Rekord, ist individuell
richtig und gilt mit Sicherheit für den Olympiasieger (daher das
strikte Verbot für Doping-Überführte, an OS teilzunehmen). Es gilt
auch für den Sensationssieger.
Aber noch mal: Da Sie mich fragen. Für mich übertrifft der
Olympiasieg alles. Olympiasieger ist man für immer und ewig. Alles
andere als der Olympiasieg wäre für mich eine große Enttäuschung
gewesen. Ich bin nach Rom gefahren, um zu gewinnen. Die Einstellung,
"dabei sein ist alles", hat mich nie überzeugt. Obwohl natürlich auch
die Teilnahme individuell ein toller Erfolg sein kann. Gar keine
Frage. Dennoch würde ich mich mehr darüber freuen, dass es nach gut
50 Jahren auch mal wieder einen deutschen Nachfolger für mich gäbe.
Die deutschen Sprinter sind zwar aktuell keine Medaillenkandidaten
über die 100 Meter, aber sie nähern sich Ihrer 10-Sekunden-Marke an.
Na gut - ein kompliziertes Thema: "Meine" Zehn-Sekunden-Marke hat
man heute ja schon mit elektronischen 10,15 Sekunden hauchweise
unterschritten. Dennoch ist ein Vergleich nahezu unmöglich: Schaut
man sich nur die Schuhe an, damals 390 Gramm schwer, heute nur noch
80 Gramm. Ich habe mir immer gewünscht, auch einmal auf einer
Tartanbahn zu laufen. Das ist etwas völlig anderes als auf Asche.
Tartan bringt - Minimum - zwei, drei Zehntel. Auch ein Usain Bolt,
für mich (bis zum Beweis des Gegenteils) eine Ausnahmeerscheinung,
würde sich auf Asche wahrscheinlich schwerer tun, allein weil er so
groß und so schwer ist.
Werden Sie die Weltmeisterschaften vom 10. bis 18. August in
Moskau verfolgen?
Ja, am Fernseher. Aber nicht nur die 100 Meter, mich interessieren
alle Laufdisziplinen. Und auch bei den technischen Disziplinen drücke
ich dem deutschen Team die Daumen. Ich hoffe nur, dass unsere
Athleten sauber sind. Das ist das Wichtigste. Aber für sie muss eben
mehr getan werden.
Armin Hary (* 22. März 1937 in Quierschied) gewann bei den
Olympischen Spielen 1960 in Rom die Goldmedaille über 100 Meter sowie
mit der 4x100-Meter-Staffel, zudem ist er zweifacher Europameister.
Der gebürtige Saarländer war der erste Sprinter, der die 100 Meter in
handgestoppten 10,0 Sekunden (1958 auf der Aschenbahn) lief. Er ist
damit der letzte Deutsche und letzte Europäer, der den
100-Meter-Weltrekord gehalten hat. Im Jahr 2011 wurde Armin Hary in
die Hall of Fame des deutschen Sports aufgenommen.
Hall of Fame des deutschen Sports
Die "Hall of Fame des deutschen Sports" ist ein Forum der
Erinnerung an Menschen, die durch ihren Erfolg im Wettkampf oder
durch ihren Einsatz für Sport und Gesellschaft Geschichte geschrieben
haben. Dazu gehören Athleten und Trainer ebenso wie Funktionäre und
Betreuer. Die im Jahr 2006 von der Stiftung Deutsche Sporthilfe
initiierte "Hall of Fame des deutschen Sports" soll dazu beitragen,
die mehr als hundertjährige Geschichte des deutschen Sports und
seiner Persönlichkeiten im Gedächtnis zu bewahren und Diskussionen
anzuregen. Weitere Informationen unter www.hall-of-fame-sport.de.
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Datum: 07.08.2013 - 11:00 Uhr
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