Balance bietet bäuerlichen Betrieben beständige Basis
(IINews) - Bäuerliche Familienwirtschaften überlebten in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, da sie Anforderungen der regulierten Marktwirtschaft mit der Nutzung eigener Ressourcen ausbalancieren konnten. Zu diesem Ergebnis kommt ein Projekt-Team des Wissenschaftsfonds FWF, das sich mit der Entwicklung der Landwirtschaft in diesem Zeitraum in Niederösterreich befasste. Die soeben in einer Fachzeitschrift veröffentlichten Ergebnisse zeigen eindrücklich, dass der Agrarstrukturwandel im Nachkriegsösterreich in anderer Form verlief als oftmals vermutet – statt zu "wachsen oder weichen", nutzten viele bäuerliche Familien die Stärke selbstkontrollierter Ressourcen, passten sich an und machten weiter.
"Get big or get out" – so brachte es ein Landwirtschaftsminister der USA in den 1950er-Jahren auf den Punkt: die scheinbar alternativlose Expansion landwirtschaftlicher Betriebe in den Industrienationen. Denn nur Größe würde die Arbeitsproduktivität erlauben, die ein Fortbestehen in einer industriellen Welt erfordere. Im Rahmen eines Projekts des Wissenschaftsfonds FWF hat ein Team des Instituts für Geschichte des ländlichen Raumes nun gezeigt, dass es dann doch auch anders ging.
Bauernschlau
Denn obwohl internationale Statistiken eine Konzentration des Grundbesitzes in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg belegen, hielt sich in Österreich die Abnahme der Betriebszahlen in Grenzen – bei moderatem Wachstum der durchschnittlichen Betriebsfläche. Offensichtlich gelang es zahlreichen bäuerlichen Betrieben zu überleben, ohne groß wachsen zu müssen. Wie dies möglich war, untersuchte der Projektleiter PD Ernst Langthaler mit seinem Team (Dr. Rita Garstenauer, Mag. Ulrich Schwarz und DI Sophie Tod) für den Zeitraum zwischen den Jahren 1945 und 1985 in Niederösterreich. Dabei stieß das Team auf Ergebnisse, die gängige Modelle zum Agrarstrukturwandel in Frage stellen. Dazu PD Langthaler: "Zwischen den Extremen 'Wachsen' und 'Weichen' fanden viele BäuerInnen Manövrierräume. Sie ließen sich auf eine zunehmend technikbasierte Landwirtschaft ein, ohne die Stärken der betrieblichen Diversifizierung und selbst kontrollierten Ressourcennutzung aufzugeben."
Die ForscherInnen konnten aus einer Vielzahl von Betrieben Kriterien identifizieren, die einen solchen Mittelweg durchaus erfolgreich werden ließen: ein im Vergleich mit anderen Betrieben verhältnismäßig moderater Kapitaleinsatz und die Nutzung vielfältiger Einkommensmöglichkeiten. Als Beispiele gelten die Gruppen der "Getreideanbauer" und "Mischwirtschafterfamilien", die Vieh und Land in äußerst vielseitiger Form nutzten. Beide verschlossen sich dabei keinesfalls einer zunehmenden Technisierung, doch blieb der Kapitaleinsatz für Betrieb und Familie durchaus verkraftbar.
Balanceakt
Wesentlich für das Fortbestehen war aber die Fähigkeit, die Anforderungen der dem Betrieb vor- und nachgelagerten Märkte mit einer Kontrolle der eigenen Ressourcenbasis auszubalancieren. Denn während der Zukauf von Technologien und der Verkauf erwirtschafteter Produkte von Kräften des Marktes beeinflusst wurden, konnte die Erfüllung betrieblicher und familiärer Bedürfnisse von diesen Kräften teilweise entkoppelt werden. Dazu PD Langthaler: "Viele Strategien kamen zum Einsatz, um die Abhängigkeit von externen Marktkräften zu reduzieren und so das Fortbestehen auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten zu sichern: der flexible Arbeitseinsatz von Familienmitgliedern – insbesondere der weiblichen –, das Zurückschrauben der Ansprüche, die Bereitschaft zum Nebenerwerb und das Nutzen lokaler und regionaler Netzwerke zum Beispiel." Aber auch die Vermeidung von Pflanzen- oder Tiererkrankungen sowie von Schäden an mechanischen Geräten durch die nötige Sorgfalt wie auch die überschaubare Kreditaufnahme, die Produktvielfalt und der Direktvertrieb spielten dabei eine wichtige Rolle.
Die umfassende Arbeit des Teams um PD Langthaler stützte sich auf drei Säulen: die Analyse der Diskurse einer populären Bauernzeitung, die Analyse von Agrarsystemen mittels Betriebsstatistiken in den Regionen Mank und Mödling sowie die Rekonstruktion von Landwirtschaftsstilen von vier Familienbetrieben mithilfe von Mehrgenerationen-Interviews.
Insgesamt zeigen die veröffentlichten Ergebnisse dieses FWF-Projekts, dass der vielfach prognostizierte "Untergang des Bauerntums" entweder so nicht eingetreten ist – oder aber eine Frage der Definition von "Bauer" und "Landwirt" ist. Zumindest für die untersuchten Fälle gilt: Das geschickte Austarieren von Marktabhängigkeit und Ressourcenautonomie erlaubt das Fortbestehen bäuerlicher Familienbetriebe auch unter widrigen Bedingungen.
Buchbeitrag: Vier Aufsätze in Historische Anthropologie 20 (2012) H. 3, 276–426
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Datum: 08.07.2013 - 10:42 Uhr
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