BERLINER MORGENPOST: Zwei Welten, zwei Stile - Leitartikel von Hajo Schumacher
(ots) - Ist es nun Zufall, dass erstmals in der Historie
der Champions League zwei deutsche Klubs im Finale stehen? Eher
nicht. Fast zwangsläufig hat sich dieses Endspiel entwickelt. Gleich
mehrere Trends, zwischen Fußballverstand und Hass, führten diese
beiden Bundesligisten zum großen Showdown nach London. Da war das
konsequente Entwickeln der Talente nach der Schwächephase des
deutschen Fußballs rund um die Jahrtausendwende. Da war der Aufstieg
der Dortmunder vom Insolvenzfall zu internationaler Größe. Da sind
zwei großartige Trainer, sowie zwei ökonomisch ordentlich geführte
Vereine, die den Sprung vom semikriminellen Patensystem zum halbwegs
soliden Wirtschaftsunternehmen vollzogen haben. Und schließlich
herrscht ein ausgesprochen produktiver Kampf der Kulturen zwischen
Pott-Proll und Bussi-Proll. Denn so sehr sich Bilanzen, Honorare und
Spielstile angenähert haben, so fundamental unterscheiden sich die
Klubs: München und Dortmund, das sind zwei Welten, zwei Stile, zwei
Haltungen, die sich gegenseitig ebenso achten wie verachten. Genau
diese Spannung aber schafft jenen leistungsfördernden Druck, den
weder Psycho-Coach noch Millionen-Prämie je erzeugen könnte. Zwei
Gangs wollen zeigen, wer cooler, schneller, abgezockter spielt.
Nichts treibt Fußballprofis mehr an als elementarste Emotionen.
Borussia Dortmund und der FC Bayern - diese Teams repräsentieren
nicht nur Fußball, sondern auch die immensen kulturellen Unterschiede
dieses Landes: etablierter und frisch erarbeiteter Wohlstand, Plan
und Zufall, nervende Show-Demut und noch nervenderer Hochmut-Ernst.
Hier Siedlung, dort Seegrundstück, der eine verschweigt Schweizer
Geld, der andere plaudert über seine Haarverpflanzung. So gerät das
Champions-League-Finale auch zum Bekenntnis. Wie zuletzt bei der
Debatte um die Frauenquote können sich die Deutschen bis zum 25. Mai
nicht vor einer finalen Entscheidung drücken: Bist Du BVB oder FCB?
Unentschieden gibt es nicht. Bei allem Erfolg ist und bleibt der FC
Bayern ein Repräsentant des alten Deutschlands, mit Festanstellung
und Rundum-Versicherungen bis hin zum Reservekonto in der Schweiz.
Der BVB steht dagegen für das zeitgemäßere Deutschland, mit
Unsicherheiten, Umbrüchen, mit Wohlstand allenfalls als glücklichem
Moment. Tendenziell ist Bayern das Ich, der BVB das Wir. Was beide
Klubs darüber hinaus eint, das ist die Angst vor dem Tag, da alles zu
Ende sein könnte. Aus dieser Panik beziehen sie ihre Kraft. Wie immer
das Finale endet: Es ist ein Beweis für die Kraft des Wettbewerbes.
Dieses Endspiel haben sich beide gegenseitig zu verdanken. Wie Kohl
und Schröder, wie Tote Hosen und Ärzte, wie Michelle Hunziker und
Cindy aus Marzahn sind beide erfolgreich, aber nur einer ist cool.
Doch dieser Gegensatz ist auch auf wundersame Weise miteinander
verwoben. Klubs wie der BVB halten den seit Jahrzehnten
unangefochtenen FC Bayern immer wieder auf Trab, zugleich motiviert
der Größenwahn der Bayern jede Saison aufs Neue zuverlässig die
Fantasien der anderen, selten aber so nachhaltig wie im Fall der
Dortmunder.
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Datum: 02.05.2013 - 18:34 Uhr
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