Die Eurozone - ein zweites Japan?
Wenn man sich die wirtschaftlichen Schwierigkeiten Europas und der USA heute betrachtet, drängt sich einem unweigerlich der Vergleich mit Japan in den letzten 25 Jahren auf. Besteht also die Gefahr, dass die westliche Welt in eine ähnliche Abwärtsspirale hineingerät mit vergleichbar negativen Folgen?
(IINews) - Zur Erinnerung: Japan war bis Anfang der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts eines der am schnellsten wachsenden Länder der Welt. Bedingt durch eine expansive Geldpolitik kam es dann ab Mitte der 80er Jahre zu einem beispiellosen Boom, der den japanischen Leitindex Nikkei225 fünf Jahre später auf rund 40.000 Punkte empor katapultierte und Immobilien drastisch verteuerte. Heute – über 20 Jahre später – steht der Index bei unter 10.000 Punkten. Die Langfristfolgen waren dramatisch: Nach dem Platzen dieser Blasen Anfang der 90er Jahre herrscht in Japan seit nunmehr 20 Jahren Dauerkrise. Das wirtschaftliche „Drehbuch“ dafür ist schnell erzählt. Viele Immobilien und Aktien wurden von Banken direkt gehalten oder wurden von ihnen durch Kreditvergabe finanziert. Der Einbruch der Preise - insbesondere im Immobiliensektor - führte dann zu weitreichenden Konsequenzen. Notleidende Kredite ließen Banken kollabieren und verschuldete Immobilienbesitzer zu Sparmaßnahmen – sprich Konsumverzicht – greifen. Doch fiel der Wert der mit Krediten finanzierten Immobilien schneller als die einsetzende Entschuldung. In der Konsequenz verschlechterte sich die Vermögenssituation der Immobilienbesitzer über Jahre hinweg immer weiter und die Japaner begannen deshalb noch mehr zu sparen. Die rückläufige Nachfrage drückte auf die Güterpreise und führte dazu, dass der Kauf vor allem teurer und langlebiger Wirtschaftsgüter weiter hinausgezögert wurde. Dieser Teufelskreis aus Entschuldung, Konsumverzicht, Nachfragerückgang und fallenden Preise beherrschte die japanische Wirtschaft über 20 Jahre lang. Einzig der Staat stemmte sich gegen den Einbruch der Binnennachfrage mit der Folge, dass die Verschuldung des japanischen Staates von unter 70% des Bruttoinlandsproduktes Ende der 80er Jahre auf über 200% in 2011/2012 geradezu explodierte.
Ist ein solches Deflationsszenario auch für Europa und die USA vorstellbar?
Die letzten Jahre waren – ähnlich wie in Japan – gekennzeichnet durch zunächst einbrechende Aktienmärkte und einem deutlichen Rückgang der zuvor spekulativ überhitzten Immobilienpreise in Ländern wie den USA, England oder Spanien. Hinzu kamen kollabierende Banken und eine extrem zögerliche Konsumnachfrage. Als letztes akzeptierten auch die Regierungen eine deutliche Erhöhung ihrer Verschuldung, um die Wirtschaft zu stabilisieren. Eine also durchaus vergleichbare Situation mit Japan – mit einem wesentlichen Unterschied: Die Regierungen und die Notenbanken in den USA und in Europa haben deutlich schneller und deutlich aggressiver auf den wirtschaftlichen Einbruch reagiert als die Japaner Anfang der 90er Jahre. Darüber hinaus gibt es das klare Bekenntnis der Notenbanken, eine Deflation mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu bekämpfen. Dies zeigt sich denn auch in den Inflationsraten: In Europa liegt sie aktuell stabil bei fast 2,5% und in den USA bei knapp unter 2%, während sie in Japan bereits Mitte der 90er Jahre negativ war. Die weiterhin hohe Verschuldung und damit einhergehend der langwierige Prozess der Schuldenreduzierung lässt für die USA und auch für England deshalb für die nächsten Jahre ein unterdurchschnittliches Wirtschaftswachstum erwarten, jedoch ohne die zusätzlichen negativen Konsequenzen einer Deflation. Gefährlicher ist die Situation allerdings in der Eurozone.
Zwar ist die Situation in der Eurozone nur bedingt mit der japanischen Situation vergleichbar. Insbesondere die Immobilienblase ist in der Eurozone auf wenige Länder beschränkt und kein gesamteuropäisches Phänomen. Unter diesem Aspekt sind die Voraussetzungen für die Eurozone deutlich besser als für Japan der 90er Jahre. Vergleichbar hingegen ist die Verschuldungssituation des Staates. Vor der Krise 2007/2008 betrug die Verschuldung in der Eurozone bezogen auf das Gesamtbruttoinlandsprodukt rund 68% und stieg in den letzten Jahren auf fast 90% des BIP an. Während Japan eine steigende Verschuldung in Kauf nahm, um die Wirtschaft zu stabilisieren, geht Europa den entgegengesetzten Weg: Staatlicher Sparzwang zur Haushaltskonsolidierung. Der staatliche Nachfragerückgang kommt jedoch in einer Phase, in der viele Länder der Eurozone mit unterschiedlichen Problemen zu kämpfen haben. Die einen leiden unter hoher privater oder staatlicher Verschuldung (Spanien bzw. Italien), die anderen leiden unter erheblichen Strukturproblemen (Frankreich). Gemeinsam haben diese, dass sie in den letzten 10 Jahren durch steigende Löhne ihre Wettbewerbsfähigkeit gegenüber Deutschland – dem Land, mit den geringsten Lohnsteigerungen – eingebüßt haben. Dieser Unterschied muss sich ausgleichen. Entweder über steigende Preise in Deutschland oder über den schmerzhaften deflationären Weg der fallenden Preise in der restlichen Eurozone. Demnach verbleibt – neben der Europäischen Zentralbank - von den großen und damit bedeutsamen Ländern der Eurozone nur noch Deutschland, das in der aktuellen Situation die notwendigen Impulse für eine wirtschaftliche Gesundung geben kann.
Zwei Wege – eine Lösung
„Deutschland hat prinzipiell in meinen Augen zwei Möglichkeiten, zur Gesundung der Eurozone beizutragen und gleichzeitig eine Deflation abzuwenden. Die erste – weniger effektive – sind höhere Staatsausgaben. Weniger effektiv, weil es sich ein relativ hoch verschuldetes Deutschland eigentlich nicht leisten kann und zudem die Länder mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten davon nur indirekt profitieren. Die zweite wesentlich bessere Maßnahme wären deutlich steigende Löhne. Zum einen würden die meisten Länder der Eurozone ihre Wettbewerbsfähigkeit relativ zu Deutschland verbessern – mithin würden die Angebotskräfte in diesen Ländern gestärkt. Zum anderen würde der positive Nachfrageeffekt höherer Löhne in Deutschland den meisten Ländern der Eurozone zu einer Zunahme der Exporte verhelfen. Beides zusammen genommen würde zwei Effekte nach sich ziehen: Die öffentliche Verschuldung könnte über höhere Steuereinnahmen zurückgeführt werden und die Eurozone baut ihre über zehn Jahre aufgebauten Divergenzen langsam wieder ab", ist Prof. Dr. Bernd Rieger, Fondsinitiator bei Epinikion, überzeugt.
Glaubt man den aktuellen Zahlen, so ist die Eurozone von diesem Szenario aktuell weit entfernt. So ist in Deutschland die Inflationsrate mit aktuell rund 1,7% immer noch deutlich niedriger als im Rest der Eurozone mit 2,4% - Deutschland gewinnt also gegenüber dem Rest Europas weiterhin an Wettbewerbsfähigkeit, was zum Teil - aber nicht nur - an der Lohnentwicklung und zum Teil an den mittlerweile deutlich niedrigeren Finanzierungskosten liegt. Hingegen ist die Inflationsrate in so wichtigen Ländern wie Italien mit rund 3% deutlich, die spanische und die französische dagegen mit knapp 2% nur leicht über der Deutschlands. Dies stellt mithin auch das größte Risiko für die Eurozone dar.
Deutschlands Stärke ist die große Gefahr
Sollte die wirtschaftliche Dominanz Deutschlands gegenüber seinen Partnern in der Eurozone nicht bald der Vergangenheit angehören, so steigt die Gefahr einer Deflation erheblich. Die Länder der Eurozone können dann ihre Wettbewerbsfähigkeit gegenüber Deutschland nur über eine relative Lohnsenkung erreichen. Die wiederum wirkt für sich genommen schon deflationär. Hinzu kommen der dadurch ausgelöste reale Anstieg der Schulden und ein Rückgang der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage. Davon wäre selbstverständlich dann auch Deutschland negativ betroffen und auch hierzulande käme es zu den bereits skizzierten negativen Effekten. Eine deflationäre Spirale käme in der gesamten Eurozone in Gang an deren Ende ein Ergebnis stünde, das jedoch weitaus schlimmer wäre als das in Japan.
„Zusammengefasst bleibt festzuhalten: Der Schlüssel für oder gegen Deflation in der Eurozone liegt hauptsächlich in den Händen Deutschlands und der Europäischen Zentralbank. Gelingt es nicht, die Finanzierungskosten außerhalb Deutschlands zu senken und gleichzeitig die Löhne in Deutschland deutlich zu steigern, ist eine Deflation mit allen ihren negativen Konsequenzen kaum mehr zu vermeiden. Es ist also nicht die Inflation, die aktuell das größte Kopfzerbrechen bereiten sollten, sondern eindeutig die Deflation", so die Befürchtung von Prof. Rieger.
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Die Epinikion SARL wurde 2007 von Prof. Dr. Bernd Rieger und Hans Wechs gegründet und ist derzeit Portfolioverwalter für drei Investmentfonds. Prof. Dr. Bernd Rieger war als Senior Economist einer internationalen Fondsgesellschaft für die Entwicklung quantitativer Prognosemodelle verantwortlich. Seit 2004 hat er eine Professur für Betriebswirtschaft mit Schwerpunkt Finanzwirtschaft an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg.
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Datum: 21.08.2012 - 13:20 Uhr
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