Westdeutsche Zeitung: Nötige Einmischung der Christen =
Von Ekkehard Rüger
(ots) - Es ist schwer zu sagen, womit der deutsche
Protestantismus mehr Probleme hat: mit dem wachsenden christlichen
An- alphabetismus; mit spirituellen Sehnsüchten, die durch
Kirchentraditionen nicht mehr befriedigt werden; oder mit dem
Vorwurf, Religionen seien als Friedensstifter überfordert und
stattdessen oft selbst Ursache von Gewalt. Keines dieser Probleme ist
mit dem Kirchentag in Dresden gelöst. Aber das unerwartet große
Christentreffen im überwiegend konfessionslosen Sachsen hat sie in
einer Ernsthaftigkeit diskutiert, die jenseits aller Klischees einer
belanglos-naiven Massenveranstaltung zum Wohlfühlen liegt.
Schwarz-Weiß-Denken war in Dresden spürbar weniger zu entdecken als
auf Kirchentagen früherer Jahrzehnte. Die Diskussion zwischen dem
EKD-Ratsvorsitzenden Nikolaus Schneider und Verteidigungsminister
Thomas de Maizière zur Vereinbarkeit von Friedensethik und
Verteidigungspolitik war ein eindrückliches Beispiel dafür. Im
Bewusstsein, dass Schuld durch Tun wie durch Unterlassen entstehen
kann, rangen zwei Christen um ihre Haltung zum Einsatz von Gewalt und
um differenzierte Antworten auf die schwierigen Fragen von Krieg und
Frieden. Aber auch die Notwendigkeit des verstärkten Einbindens des
Islam in den christlichen Dialog mit dem Judentum, die Energiewende
und das Verhältnis zwischen Bürgern und Staat haben vielen
Veranstaltungen ihren Stempel aufgedrückt. Was macht evangelischen
Glauben aus? Und welche Verantwortung erwächst daraus für das
gesellschaftliche Leben? Mit diesen Fragen hat der Kirchentag die
Evangelische Kirche daran erinnert, dass zu viel Nabelschau dem
christlichen Auftrag im Wege steht. Der verzagte Blick auf sinkende
Mitgliederzahlen mag aus der Innensicht verständlich sein. Aber zu
einem besseren Leben hilft er weder den Christen noch der Welt, in
der sie leben. Doch die Sehnsucht nach Orientierung ist groß. Der
Erfolg des Kirchentags hat bestätigt, dass diese Orientierung auch
weiter im Christentum gesucht wird. In Dresden ist es der Kirche an
vielen Stellen gelungen, fundiert Position zu beziehen, ohne sich in
Selbstgerechtigkeit zu verlieren. So verstanden, ist christliche
Einmischung in die gesellschaftliche Diskussion nicht nur berechtigt,
sondern auch nötig.
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Datum: 05.06.2011 - 18:57 Uhr
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