Beweiserleichterungen im Arzthaftungsrecht: Aufklärungsrüge und Dokumentationsversäumnisse
Astrid Maigatter-Carus, Patientenanwältin aus Euskirchen, klärt auf: Indizien für eine unwirksame Patientenaufklärung
(IINews) - Euskirchen – Erleidet ein Patient im Zuge einer ärztlichen Behandlung einen Schaden und entschließt er sich dann dazu, gegenüber dem verantwortlichen Arzt Schadensersatzansprüche geltend zu machen, wird er feststellen, dass er bei der Durchsetzung dieser Ansprüche in der Regel auf massive Schwierigkeiten stößt. Dem Geschädigten obliegt nämlich die volle Beweislast, d.h. er muss den Beweis dafür erbringen, dass dem Arzt bei seiner Behandlung ein Fehler unterlaufen und dass dieser Fehler verantwortlich für die gesundheitliche Schädigung des Patienten geworden ist.
Dass in der juristischen Auseinandersetzung alle Vorteile auf der Ärzteseite liegen, da diese gegenüber dem geschädigten Patienten über einen massiven Wissens- und Informationsvorsprung verfügt, hat auch die Rechtssprechung erkannt. Im Interesse der sog. „Waffengleichheit“ im Arzthaftungsrecht hat die Rechtsprechung deshalb Konstellationen herausgearbeitet, aus denen sich Beweiserleichterungen zugunsten der Patientenseite ergeben. Zu nennen sind hier insbesondere der sog. „grobe Behandlungsfehler“ sowie die Aufklärungsrüge oder auch Dokumentationsversäumnisse.
Andrea Moersdorf, geschäftsführende Inhaberin von Moersdorf Consulting ist selbst Mutter einer behinderten Tochter, die wegen eines Arztfehlers viel zu früh in der 25. Schwangerschaftswoche geboren wurde und heute mehrfach behindert ist. Moersdorf führt zu diesem komplexen Thema das Interview mit Astrid Maigatter-Carus.
Andrea Moersdorf:
Frau Maigatter-Carus, Gegenstand unseres Interviews sollen zunächst auch Gründen der Übersichtlichkeit die Aufklärungsrüge und die Dokumentationsversäumnisse sein. Zum groben Behandlungsfehler werden wir im nächsten Teil unserer Gesprächsreihe Stellung nehmen.
Kommen wir zur Aufklärungsrüge, was genau verbirgt sich dahinter?
Astrid Maigatter-Carus:
Zunächst ist festzuhalten, dass auch der gebotene, fachgerecht durchgeführte ärztliche Heileingriff den Tatbestand der Körperverletzung erfüllt. Dieser entfällt nur beim Vorliegen einer wirksamen Einwilligung des Patienten in den Eingriff.
Daraus folgt: Das Fehlen einer Einwilligung des Patienten oder deren Unwirksamkeit stellt eine Verletzung des Behandlungsvertrags dar und begründet die Haftung des Arztes.
Anders formuliert: Bei fehlender Einwilligung ist die Haftung des Arztes auch dann begründet, wenn der Eingriff an sich völlig fehlerfrei und kunstgerecht durchgeführt worden ist. Der Arzt sollte also unbedingte Sorge dafür tragen, dass er einen Patienten nur dann behandelt, wenn dieser zuvor in den Eingriff eingewilligt hat.
Die wirksame Einwilligung setzt eine Aufklärung des Patienten durch den Arzt voraus. Ist keine bzw. eine unzureichende Aufklärung erfolgt, kann der Patient die Aufklärungsrüge erheben.
Andrea Moersdorf:
Frau Maigatter-Carus, worüber konkret ist der Patient denn überhaupt aufzuklären?
Astrid Maigatter-Carus:
Nach der Rechtsprechung ist es ausreichend, wenn über die mit der ordnungsgemäßen Durchführung des Eingriffs verbundenen spezifischen Risiken „im Großen und Ganzen“ aufgeklärt wird. Es muss zumindest ein „zutreffendes, allgemeines Bild“ von der Schwere und Richtung des konkreten Risikospektrums vermittelt werden.
Andrea Moersdorf:
Frau Maigatter-Carus, diese Formulierungen sind wenig aussagekräftig. Welche Beispiele haben Sie für uns?
Astrid Maigatter-Carus:
Beispielsweise sollte der behandelnde Arzt insbesondere hinzuweisen auf
●das schwerste möglicherweise in Betracht kommende Risiko;
●die Mortalitäts-, also die Sterberate;
●mögliche Funktionsbeeinträchtigungen wichtiger Organe;
●seltene Risiken, wenn sie bei ihrer Realisierung die Lebensführung des Patienten schwer belasten;
●Behandlungsalternativen, wenn für eine medizinisch sinnvolle und indizierte Therapie mehrere Behandlungsalternativen zur Verfügung stehen, die zu jeweils unterschiedlichen Belastungen des Patienten führen oder unterschiedliche Risiken und Erfolgschancen bieten;
●allgemeine Operationsrisiken;
●die fehlende Dringlichkeit des Eingriffs;
●die Möglichkeit, die Operation aufzuschieben;
●das Vorliegen einer nur relativen Indikation.
Andrea Moersdorf:
Gibt es auch Bereiche oder Themen, über die der Arzt den Patienten nicht aufklären muss?
Astrid Maigatter-Carus:
Richtig, die gibt es. Nicht aufzuklären ist über
●die statistische Häufigkeit eines Risikos bzw. das ungefragte Nennen von Prozentzahlen;
●die Tatsache, dass die nachteilige Wirkung eines Medikaments zwar diskutiert, aber nicht ernsthaft in Betracht gezogen wurde;
●die Durchführung der Operation durch einen Anfänger;
●die Möglichkeit eines Behandlungsfehlers.
Andrea Moersdorf:
Frau Maigatter-Carus, ich habe gehört, der Zeitpunkt der Aufklärung spielt ebenfalls eine Rolle, können Sie uns dies näher erläutern?
Astrid Maigatter-Carus:
Das stimmt, der Zeitpunkt der Aufklärung ist von großer Bedeutung. Diese muss so rechtzeitig erfolgen, dass der Patient noch die Möglichkeit hat, sich innerlich frei zu entscheiden. In der Regel ist der zeitliche Abstand von einem Tag ausreichend. Eine Aufklärung am Vorabend der Operation reicht nicht aus.
Wichtig ist auch, dass der Patient sich zum Zeitpunkt der Aufklärung in einem Zustand befindet, in dem er der Aufklärung folgen kann. Die Aufklärung eines durch Beruhigungsmittel beeinträchtigten Patienten ist also fehlerhaft.
Probleme kann es auch geben bei einer Aufklärung, die unter der Geburt erfolgt. Der BGH hat hierzu ausgeführt, dass eine Aufklärung – z.B. über alternative Entbindungsmethoden – bereits zu einem Zeitpunkt vorgenommen werden muss, zu dem die Patientin sich noch in einem Zustand befindet, in dem diese Problematik mit ihr besprochen werden kann.
Andrea Moersdorf:
Wie ist es mit der Art und Weise der Aufklärung, gibt es hierzu bestimmte Regeln, die der Arzt zu beachten hat?
Astrid Maigatter-Carus:
Die Aufklärung muss persönlich durch einen Arzt erfolgen, d.h. es muss ein Gespräch zwischen Arzt und Patient stattfinden. Es reicht nicht aus, wenn der Patient einen vorgedruckten Aufklärungsbogen zum Durchlesen und Unterschreiben erhält.
Die Aufklärung muss nicht schriftlich erfolgen, sie wird aber in der Regel dokumentiert, da die Beweislast für die ordnungsgemäße Aufklärung dem Arzt obliegt.
Andrea Moersdorf:
Abschließend Frau Maigatter-Carus, was hat es mit der eben zitierten Dokumentation der Aufklärung auf sich?
Astrid Maigatter-Carus:
Das Aufklärungsgespräch kann, muss aber nicht handschriftlich dokumentiert werden. Häufig wird das Aufklärungsgespräch mit Hilfe eines vorgedruckten Aufklärungsbogens geführt. Die Unterschrift des Patienten ist dabei nicht erforderlich, wird aber aus Beweisgründen in der Regel verlangt.
Andrea Moersdorf:
Vielen Dank für das Gespräch, Frau Maigatter-Carus!
Wir setzen unsere Gesprächsreihe mit Rechtsanwältin Astrid Maigatter-Carus aus Euskirchen im kommenden Monat fort. Die Interviews der Informationsreihe von Astrid Maigatter-Carus können Interessierte direkt bei der Rechtsanwältin anfordern.
Fragen und Kontakt
Rechtsanwältin
Astrid Maigatter-Carus
Irmelsgasse 50 - 53881 Euskirchen
Tel.: 0 22 55 / 950 960
Fax: 0 22 55 / 950 961
Mail: ra(at)maigatter-carus.de
www.maigatter-carus.de
Interessierte Betroffene oder Angehörige können darüber hinaus weitere Informationsschriften zum Thema Behandlungsfehler und Behinderung kostenfrei anfordern.
Rechtsanwältin Astrid Maigatter-Carus studierte Rechtswissenschaften in Bonn und Koblenz, ist verheiratet und Mutter zweier Kinder.
Seit 1994 engagiert sie sich erfolgreich als Patientenanwältin. Im Fokus ihrer Arbeit steht der Mensch als Patient und seine Angehörigen. Astrid Maigatter-Carus betreut und vertritt Patienten, die durch Arztfehler geschädigt wurden, persönlich gegenüber den behandelnden Ärzten und Krankenhäusern sowie deren Haftpflichtversicherungen.
Astrid Maigatter-Carus ist ausschließlich im Bereich des Arzthaftungsrechts mit dem Schwerpunkt Geburtsschadensrecht tätig. Seit 2009 rundet der Fachanwalt für Medizinrecht ihr Profil ab.
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