Verhafteter Anwalt: Hat die deutsche Botschaft in Ankara Warnungen ignoriert?
(ots) -
Sperrfrist: 04.03.2020 18:00
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Im Fall des in der Türkei inhaftierten Kooperationsanwalts gibt es schwere
Vorwürfe gegen deutsche Diplomaten. Der Jurist soll die deutsche Botschaft in
Ankara über eine mögliche Gefährdung durch dessen Tätigkeit informiert haben.
Das geht aus der Anklageschrift der türkischen Staatsanwaltschaft hervor, die
der NDR einsehen konnte. In einer darin zitierten E-Mail an einen
Botschaftsmitarbeiter hatte Anwalt Yilmaz S. Sicherheitsbedenken geäußert und
die Botschaft gebeten, beim türkischen Außenministerium eine Genehmigung für
seine anwaltliche Tätigkeit für die Deutschen einzuholen und sich von
Asylbewerbern Vollmachten ausstellen zu lassen. Der Rechtsvertreter von Yilmaz
S. bestätigte dem NDR die Bedenken seines Mandanten und erklärte: Die deutsche
Botschaft habe geantwortet, Yilmaz S. solle seine Tätigkeit wie bisher
fortsetzen.
S. führte schon seit Längerem an die Botschaft weitergeleitete Rechercheaufträge
des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) aus und überprüfte in der
Türkei Angaben von türkischen Asylbewerbern in Deutschland. Offenbar waren dem
Anwalt Bedenken gekommen, dass die türkischen Behörden aufgrund der veränderten
politischen Lage in der Türkei strenger gegen mögliche Rechtsverstöße vorgehen
könnten: "Wenn heutzutage Journalisten, Arbeitgeber und Politiker mit
ernsthaften Beschuldigungen öffentlich konfrontiert werden, kann man nicht
wissen, was und wem morgen in diesem Land etwas zustößt", so der Anwalt laut
Anklageschrift in seiner E-Mail.
Die Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen (Die Linke) sagte dem NDR: "Wenn sich
dieser Verdacht erhärtet hat, dann hat die deutsche Botschaft hier hochgradig
fahrlässig gehandelt." Die Politikerin fordert eine umfassende Aufklärung, weil
hier nicht nur der Kooperationsanwalt, sondern auch die Asylsuchenden in Gefahr
gebracht worden seien.
Die Staatsanwaltschaft in Ankara wirft Anwalt Yilmaz S. und vier weiteren
Angeklagten tatsächlich unter anderem vor, ohne Vollmacht von Betroffenen auf
geheime Daten in türkischen Justizdatenbanken zugegriffen zu haben und die
Ergebnisse dann an die deutsche Botschaft weitergeleitet zu haben. Das erfülle
den Tatbestand der rechtswidrigen Beschaffung geheimer Informationen zu
Spionagezwecken sowie der rechtswidrigen Aneignung und Weitergabe persönlicher
Daten. Yilmaz S. wird in der Anklage zudem beschuldigt, einen Justizangestellten
bestochen zu haben, um an vertrauliche Akten zu gelangen. Dem widerspricht der
Anwalt.
Kooperationsanwälte sollen vor Ort Angaben überprüfen, die Asylbewerber
gegenüber dem BAMF machen. So soll kontrolliert werden, ob tatsächlich ein
Asylgrund vorliegt. Wie der NDR aus Regierungskreisen erfuhr, arbeiteten 2019 in
30 Ländern Kooperationsanwälte für die Bundesrepublik.
Anwalt Yilmaz S. war am 19. September 2019 von den türkischen Behörden
festgenommen worden. Bei der Festnahme und bei anschließenden Durchsuchungen
wurden Akten von Asylbewerbern und Ausdrucke aus türkischen Datenbanken mit
deren Daten beschlagnahmt. S. gab im Zuge des Ermittlungsverfahrens an, er habe
diese Akten von der Botschaft bekommen.
Aus dem Auswärtigen Amt hieß es auf NDR Anfrage, man setze sich weiterhin
intensiv für eine Klärung der Vorwürfe und eine Aufhebung der Untersuchungshaft
ein. Weitere Angaben könne man aus Gründen des Schutzes der Persönlichkeit
Betroffener nicht machen.
Über die Vorwürfe gegen die deutsche Botschaft in Ankara berichtet der NDR am
Mittwoch, 4. März auf tagesschau.de und in den Radioprogrammen der ARD.
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