Keine Beteiligung der Bürger
Bürger in Baden-Würrtemberg werden massiv unter Fahrverboten leiden. Das in Leipzig erwartet Grundsatzurteil betrifft alle Autofahrer in Deutschland mit einem Fahrzeug mit Verbrennungsmotor
(IINews) - Die Bürgerinitiative "Gegen Fahrverbot-Für freie Mobilität in Deutschland"hat einen öffentlichen Brief an das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig geschrieben. Die Bürgerinitiative bemängelt, dass sie, die betroffenen Bürger nicht am Verfahren beteiligt ist. In dem Schreiben werden auf ausschlaggebende Verfahrensfehler im Urteil des VGH Mannheim "BVerwG 7 C 3.39, Revision zu VGH Mannheim 1051977/18, hingewiesen. Die Bürgerinitiative bittet die Richter, die im Schreiben aufgeführten Verfahrensfehler einer juristischen Prüfung zuzuführen.
1. Anwendung § 47 Abs. 4a BImSchG
Der Paragraph 47 Abs. 4a des BImSchG besagt, dass bei oder unter einem NO2-Wert von 50 ?g/m3 Fahrverbote in Deutschland unverhältnismäßig sind. Dies bedeutet nicht, dass ein höherer Schadstoffwert entgegen der RL 2008/50/EG akzeptiert wird, sondern dass vorrangig andere Maßnahmen zur Einhaltung der RL 2008/50/EG ergriffen werden müssen.
In Reutlingen ist bis heute dieses Potential nicht annähernd ausgeschöpft. Zum Beispiel wurden stadtplanerische und bauliche Maßnahmen, welche zu einer besseren Durchlüftung führen würden, blockiert. So konnten den Luftaustausch behindernde leerstehende und baufällige Bausubstanzen erst jetzt gegen erheblichen politisch motivierten Widerstand beseitigt werden.
Weitergehendes Potential zur Schadstoffreduzierung z.B. mittels besserer Durchlüftung ist in Reutlingen umfangreich vorhanden. Eine Umpflanzung der Bäume vom Mittelstreifen der Lederstraße hin zu der nur 250m entfernten "Betonwüste" rund um die Stadthalle würde beispielsweise viele Probleme beseitigen. Auf die nach wie vor nicht vorhandenen Verkehrsleitsysteme sowie seit Jahren nicht realisierte Vorhaben für Umgehungsstraßen (z. B. Dietwegtrasse) sei ebenfalls hingewiesen.
Ein Widerspruch zwischen Paragraph § 47 Abs. 4a BImSchG und RL2008/50/EG besteht daher im vorliegenden Fall nicht.
2. Nichtbeachtung mehrerer Forderungen der RL 2008/50/EG (und 39. BImSchV)
Die RL 2008/50/EG definiert auf 52 Seiten umfangreich und detailliert Rahmenbedingungen, Schadstoffgrenzwerte und Geltungsbereiche zum Schutz der menschlichen Gesundheit.
Neben der in Punkt 3 ausgeführten 70%-Behauptung (angeblicher Hauptverursacher Verkehr) findet nur eine einzige Zeile der gesamten RL 2008/50/EG Eingang in dieses Urteil:
?? Grenzwert NO2 im Kalenderjahr (RL 2008/50/EG, Anh. XI, B.)
Andere Festlegungen der RL 2008/50/EG wie z. B. die Ermittlung des Schadstoffwertes, die Rahmenbedingungen und Geltungsbereiche werden im o. g. Urteil nicht berücksichtigt:
?? Die EU-weite Vergleichbarkeit ist nicht gegeben (RL 2008/50/EG (5) und (7)). Außerhalb Deutschlands ist keine auch nur annähernd vergleichbar abgeschirmte Messstelle (vgl. z. B. unter airindex.eea.europa.eu) zu finden.
?? Die Messunsicherheit von 15% wird nicht berücksichtigt (RL 2008/50/EG Anhang I). Bei Berücksichtigung der durch RL 2008/50/EG definierten Messunsicherheit wären Messwerte bis zu 47 ?g/m3 NO2 (47 ?g/m3 abzgl. 15% = 40 ?g/m3)) zulässig. 2019 hatte Reutlingen Lederstr.-Ost im Jahresdurchschnitt 46 ?g/m3.
? Die Toleranz von 30% bei Modellrechnungen wird nicht berücksichtigt
?(RL 2008/50/EG Anhang I). Bei Berücksichtigung der durch RL 2008/50/EG definierten Messunsicherheit wären Messwerte bis zu 47 ?g/m3 NO2 (47 ?g/m3 abzgl. 15% = 40 ?g/m3)) zulässig. 2019 hatte Reutlingen Lederstr.-Ost im Jahresdurchschnitt 46 ?g/m3.
?? Die Toleranz von 30% bei Modellrechnungen wird nicht berücksichtigt (RL 2008/50/EG, Anh. I ). Betrifft z.B. den 70%-Wert aus Pkt. 3.
?? Die Probenahmestelle ist nicht allgemein repräsentativ für Gebiete und Ballungsräume (RL 2008/50/EG Anh. III, B. 1. a.). Probennahmestelle ist "schlechtester Punkt" in Reutlingen. Siehe Anlage 1 (Auszug aus "Lohmeyer"-Gutachten).
?Die Probenahmestelle ist nicht repräsentativ für den Straßenabschnitt (RL 2008/50/EG Anh. III, B. 1. b.). Die Probenahmestelle ist der "schlechteste Punkt" im Mindeststraßenabschnitt. Siehe Anlage 1 (Auszug aus "Lohmeyer"-Gutachten).
?? Der Mindestabstand zu Gebäuden wird nicht berücksichtigt (RL 2008/50/EG Anh. III, C.). Dies ist bereits durch Inaugenscheinnahme ersichtlich, siehe Anlage 2.
?Der Mindestabstand zur Fluchtlinie der Gebäude wird nicht berücksichtigt (RL 2008/50/EG Anh. III, C.), siehe Anlage 2.
?Der Mindestabstand zur Fluchtlinie der Gebäude wird nicht berücksichtigt (RL 2008/50/EG Anh. III, C.), siehe Anlage 2.
?? Der vorgeschriebene freie Luftstrom wird mehrfach beeinträchtigt (RL 2008/50/EG Anh. III, C.), siehe Anlage 2. (Leichte Verbesserung durch Maßnahmen der Stadt Reutlingen in 2020).
?? Der Abstand zu Schadstoffquellen (s. Anlage 2) wird nicht eingehalten (RL 2008/50/EG Anh. III, C.) Fußgängerampel, Verbesserung durch Maßnahmen der Stadt Reutlingen in 2020.
?? Die LUBW-Dokumentation der Probenahmestelle ist massiv fehlerbehaftet (RL2008/50/EG, Anh. III, D.) siehe Anlage 2. Diese Dokumentation diente dem TÜV-Rheinland ungeprüft zur Bewertung der Probenahmestelle.
???Das Messgerät ist gemäß EN 14211 nicht ausreichend qualifiziert (RL 2008/50/EG Anh. VI, A. 2.), siehe TÜV-Bericht 936/21204643/C, Seite 17. Das Messgerät ist nicht verkehrsnah an der Straße geprüft.
?? Der stündliche Grenzwert wurde in den Jahren 2015 bis 2020 nie überschritten (18 Überschreitungen p.a. zulässig, RL 2008/50/EG, Anh. XI, B.). Dies fand keine Berücksichtigung bei der Verhältnismäßigkeit von Maßnahmen.
Zur Vollständigkeit werden nachfolgend auch die, mit den Vorgaben der RL konformen, d.h. richtig angewendeten Gegebenheiten dargestellt:
? Höhe Messeinlass (RL 2008/50/EG, Anh. III, C.).
?Abstand zu Kreuzung (RL 2008/50/EG, Anh. III, C.)
?Abstand zu Fahrbahnrand (RL 2008/50/EG, Anh. III, C.)
?? Verhinderung des Wiedereintritts der Abluft wird vom LUBW als in Ordnung deklariert (RL 2008/50/EG, Anh. III, C.). Trotz enger Umbauung der Probenahmestelle nicht messtechnisch oder strömungstechnisch verifiziert.
Die Probenahmestelle Reutlingen Lederstr.-Ost erfüllt somit im Hinblick auf die weitaus überwiegenden Vorgaben der RL 2008/50/EG nicht die einschlägigen Anforderungen. Insofern steht fest, dass derartige Messstellen nicht im Sinne der RL 2008/50/EG berücksichtigt werden dürfen.
Aus unserer Sicht müsste sich daher die juristische Prüfung des o. g. Urteils mit der Frage beschäftigen, ob solche Messstellen mit umfangreichen und gravierenden Abweichungen zur RL 2008/50/EG überhaupt für die Luftreinhalteplanung gem. RL 2008/50/EG relevant sein können.
3. Basis für Urteil veraltet und nicht nachgewiesen
Basis für die im o. g. Urteil verkündeten Maßnahmen ist die Darstellung im Luftreinhalteplan (S. 33), dass 70% der relevanten Schadstoffe verkehrsbedingt seien. Diese Zahl bezieht sich auf Daten für das Jahr 2015. Allein die Maßnahme "Scheibengipfeltunnel" in Reutlingen im Jahr 2017 hat umgehend zu einer 20-prozentigen Reduzierung des Verkehrsaufkommens geführt, überproportional bei Nutzfahrzeugen. Das o. g. Urteil erfolgte demgegenüber im Jahre 2019 und berücksichtigte diese Entwicklung nicht.
Die für die Maßnahmen ausschlaggebende 70%-Darstellung wird weder im Luftreinhalteplan noch im Urteil referenziert, nachgewiesen oder in Frage gestellt. (Ein Bild und eine Bildunterschrift lassen vermuten, dass ein fälschlicherweise als "Fachgutachten" titulierter Workshop angeführt wurde, in dem sich jedoch ebenfalls keine Nachweise und Referenzierungen befinden.)
4. Politische Ziele statt Orientierung an RL 2008/50/EG
Wir haben wiederholt festgestellt, dass das wirkliche gemeinsame Ziel der Kläger und auch der Beklagten in den bisherigen Gerichtsverfahren eine Reduzierung des Verkehrsaufkommens in den Städten ist und nicht dem Schutz der menschlichen Gesundheit dient.
Grundsätzlich ist das Ziel einer Verkehrsreduzierung nicht abzulehnen. Das sollte aber nicht durch massive soziale Eingriffe wie Fahrverbote erfolgen, sondern z.B. über intelligente Lösungen im Bereich ÖPNV o.ä. Die Verwaltungen haben es trotz seit langem bestehender gesetzlicher Vorgaben verpasst, in den Luftreinhalteplänen vernünftige und sozial verträgliche Lösungen zu planen, was nunmehr auf dem Rücken der Bürger ausgetragen werden soll.
Um Fahrverbote durchzusetzen waren Kläger und Beklagte bisher nach unserer Beobachtung darauf bedacht, nur einen marginalen Teil der umfangreichen RL 2008/50/EG vorzutragen, nämlich einen einzigen Messwert, NO2, mit (s.o.) zudem fragwürdiger Gestaltung der Messstellen. Bisher wurde auch vor den Gerichten eine Diskussion, ob die Messwerte in Übereinstimmung mit den Rahmenbedingungen der RL 2008/50/EG zustande gekommen sind, nicht geführt bzw. nicht durch die Gerichte geprüft.
Ziel, Sinn und Zweck der RL 2008/50/EG ist der Schutz der menschlichen Gesundheit. Um dies sicherzustellen wurde dieses umfangreiche Regelwerk verfasst. Aus unserer Sicht ist es nicht rechtskonform, wenn durch das "Herauspicken" einer einzigen Textpassage bei gleichzeitiger Nichtbeachtung der restlichen Vorgaben dieser Richtlinie politisch motivierte Vorhaben durchgesetzt werden.
Aus unserer Sicht dürfen Maßnahmen zu Lasten Dritter nur dann angeordnet werden, wenn alle Vorgaben der RL 2008/50 erfüllt sind. Dieser Maßgabe entspricht das o. g. Urteil des VGH Mannheim nicht.
Betroffen wären durch die o. g. Nichtbeachtung der Vorgaben der RL 2008/50/EG allein im Zulassungsbezirk Reutlingen ca. 55.000 Diesel-Pkw mit E5 und darunter (KBA, Stand 1.1.2019). Diese Fahrzeuge sind teilweise erst 4 Jahre alt.
Wir bitten Sie um Berücksichtigung der o.a. fachlichen Gesichtspunkte in Ihrer Verhandlung am
27. Februar 2020.
Mit freundlichen Grüßen
B. Schönhoff
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Unternehmensinformation / Kurzprofil:
Herr Berthold Schönhoff wendet sich an die Leipziger Richter in seiner Eigenschaft als einer der Sprecher der Bürgerinitiative "Gegen Fahrverbote-Für freie Mobilität in Deutschland". In der Initiative engagieren sich auch Bürger aus Reutlingen. Diese werden von möglichen Fahrverboten betroffen sein.
Hohbergstraße 2/3, 71665 Vaihingen
Datum: 26.02.2020 - 14:40 Uhr
Sprache: Deutsch
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