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Innovatives HSC-Fertigungsverfahren reduziert die Kantenrissempfindlichkeit von Formplatinen und ermöglicht neue Blechbauteilspektren

ID: 1784523

Autoren: A. Schenek (IFU Stuttgart), M. Opitz (MN Coil Servicecenter), C. Holfelder (FGU)


(PresseBox) -  

Einleitung (Abstract)

Die Kantenrissempfindlichkeit von Stahl- und Aluminiumwerkstoffen bildet bis heute einen der wesentlichen Versagensgründe bei der umformenden Herstellung von Blechbauteilen und stellt somit produzierende Unternehmen in diesem Bereich immer wieder vor große Heraus-forderungen. Durch den innovativen HSC-Fräsprozess der MN Coil GmbH zur Herstellung von Formplatinen kann diese Kantenrissempfindlichkeit nun signifikant reduziert werden. Werk-stoffuntersuchungen zur Kantenrissempfindlichkeit haben diesbezüglich gezeigt, dass im Ver-gleich zum konventionellen Scherschneiden, dem Wasserstrahl- und dem Laserstrahlschnei-den mit dem HSC-Verfahren nachweislich die besten Resultate erzielt werden können.

Stand der Technik

Vor dem Umformen und Tiefziehen von Karosserie- und Blechbauteilen müssen häufig Form-platinen aus einem Coil oder aus Blechtafeln geschnitten werden. Für diesen Trennvorgang wird meist das Verfahren des Scherschneidens herangezogen, da hierbei mit kurzen Prozess-zeiten eine wirtschaftliche Herstellung von Formplatinen möglich ist. Nachteilig am Scher-schneiden ist jedoch, dass durch den Trennprozess das Materialgefüge am Platinenrand als Folge von lokalen Umformungen erheblich vorbelastet wird [Lan90, Doe10]. Das (Rest-)Um-formvermögen an der Schereinflusszone wird dadurch reduziert und die Rissgefahr erhöht [Glä13]. Die deformierte Schereinflusszone enthält stark kaltverfestigte Randzonen [Dit17, Hel09], welche sich je nach Material und Schneidparameter bis zu mehreren Zehntel-Millime-tern in Platinenrichtung erstrecken können [Glä13]. Werden Schnittkanten nach dem Scher-schneiden umgeformt, so besteht daher die Gefahr einer unerwünschten Rissbildung, ausge-hend von der Bauteilkante (vgl. Abbildung 1).

Als kantenrisssensitiv gelten insbesondere moderne Leichtbauwerkstoffe wie beispielsweise hochfeste Blechgüten [Bai16, Fed18 ] oder auch Aluminiumwerkstoffe. Experimentell lässt sich die Kantenrisssensitivität von Blechwerkstoffen mit Hilfe unterschiedlicher Charakterisierungs-versuche ermitteln. Für die Untersuchung geschlossener Schnittlinien wird häufig der Lochauf-weitungsversuch nach ISO16630 herangezogen. Bei offener (gerader) Schnittlinie kann dem-gegenüber der am Institut für Umformtechnik der Universität Stuttgart entwickelte und in Ab-bildung 2 dargestellte Diabolo-Versuch zur Charakterisierung der (schergeschnittenen) Blech-bauteilkanten verwendet werden [Lie13]. Hierbei wird ein Blechstreifen über einen diaboloför-migen Prüfkörper gezogen, wodurch Zugspannungen im Randbereich des Probenkörpers ent-stehen. Der Versuch ist beendet, sobald mittels eines optischen Messsystems ein Riss am Rand des Blechstreifens detektiert wird. Die Auswertung der im Grenzfall (d.h. kurz vor Riss) gemessenen Hauptumformgrade erfolgt üblicherweise mit dem Messsystem GOM-ARAMIS.





Aus dem Stand der Technik ist bekannt, dass die frühzeitige Entstehung von Kantenrissen von der Wahl des Fertigungsverfahrens der Schnittkanten abhängt [Han13]. Während scherge-schnittene Bauteilkanten aufgrund der vorbelasteten Randzonen bei vergleichsweise niedri-gen Dehnungswerten zu Kantenrissen neigen, so erfolgt die Entstehung von Kantenrissen bei gefrästen [Fei16], Drahterodierten [Hab19] oder laserstrahlgeschnittenen [Aut19] Blechplati-nen erst bei vergleichsweise höheren Dehnungswerten.

Innovatives HSC-Fertigungsverfahren für Formplatinen

Im Jahr 2013 wurde von der MN Coil Servicercenter GmbH ein innovatives High-Speed-Cut-ting Verfahren für Blechplatinen patentiert, welches für die Erzeugung hochpräziser Schnitt-kanten geeignet ist. Das Verfahren kann für Blechdicken zwischen 0,5 mm bis 5,0 mm flexibel eingesetzt werden. Eine am Fräskopf positionierte Absaugglocke entfernt Verunreinigungen während des Fräsens von der Platinenoberfläche. Die wesentliche Eigenschaft des Verfahrens besteht somit in der Kombination aus High-Speed-Cutting und der genannten Schmutzabsau-gung. Ein weiterer Vorteil gegenüber konventionellen Schneidtechnologien liegt in der innova-tiven Spanntechnik der Platine auf dem Arbeitstisch. Gegenüber den üblicherweise eingesetz-ten Fakir-Vakuum-Tischen entstehen keinerlei Beschädigungen oder sonstige Oberflächenbe-einträchtigungen an der Platine [Bec13]. Ein großer Vorteil dieses werkzeugungebundenen Trennverfahrens liegt in der Flexibilität und dem hohen Automatisierungsgrad, der es erlaubt selbst kleine Losgrößen schnell und kostengünstig herzustellen und zu liefern. Bei Losgrößen bis zu 50.000 Stück pro Jahr ist dieses Verfahren kostengünstiger als die konventionelle Her-stellung mittels Schneidwerkzeugen und erscheint somit vor allem mit zunehmender Modell- und Variantenvielfalt der Fahrzeuge für zahlreiche Unternehmen als attraktiv. Wie im nachfol-genden Abschnitt dargestellt wird, weisen die mit dem HSC-Verfahren geschnittenen Kanten darüber hinaus eine deutlich reduzierte Kantenrisssensitivität gegenüber scher-, wasserstrahl- und lasergeschnittenen Blechkanten auf.

HSC-Fertigungsverfahren im Vergleich mit dem Laserstrahl-, Wasserstrahl und Scher-schneiden

Der Diaboloversuch ermöglicht eine vergleichende Bewertung der Kantenrisssensitivität von unterschiedlich geschnittenen Blechkanten. Diesbezüglich wurde an der Forschungsgesell-schaft für Umformtechnik mbH in Stuttgart eine umfangreiche Kantenrissstudie durchgeführt. Einen Überblick über die in dieser Studie untersuchten Versuchsparameter gibt Tabelle 1.

Da Scherschneidwerkzeuge (WZG) mit einer fortschreitenden Anzahl an Pressenhüben zu Schneidkantenverschleiß bzw. Schneidkantenverrundungen neigen, wurden zwei Spezifikati-onen für Schneidkantenzustände (neu & alt) untersucht. Die Spezifikation ?WZG neu? beinhal-tet scharfkantige Schneidmesser ohne messbaren Schneidkantenradius. Die Spezifikation ?WZG alt? berücksichtigt den Einfluss verschlissener Schneidkanten. Hierzu wurden Schneid-messer mit einer definierten Verrundung (84 ?m) an der Scheidkante verwendet. Einen voll-ständigen Überblick über die gewählten Schneidparameter zeigt Tabelle 2.

Die gemittelte logarithmische Hauptformänderung kurz vor dem Versagen der untersuchten Proben ist in Abbildung 3 jeweils in Form eines Balkendiagramms mit entsprechender Streu-ung der Versuchsergebnisse graphisch dargestellt. Die höchste logarithmische Formänderung respektive die höchste Restumformbarkeit ist stets bei jenen Proben festzustellen, die mittels des HSC-Fräsverfahrens hergestellt wurden. Das von MN-Coil entwickelte und für die Herstel-lung von Formplatinen eingesetzte HSC-Verfahren stellt demnach das Beste unter den hier untersuchten Schneidverfahren dar. Akzeptable Ergebnisse wurden ebenfalls mit laserge-schnittenen Proben erzielt. Diese weisen jedoch im Schnitt immer noch eine um 20 % gerin-gere Restumformbarkeit im Vergleich zum HSC-Verfahren auf. Erwartungsgemäß erreichen die schergeschnittenen Proben die geringsten logarithmischen Formänderungen.

Um die sich ergebenden potentiellen Vorteile des HSC-Verfahrens herauszuarbeiten, wurde zudem die in Abbildung 4 dargestellte Tiefziehsimulation mit Hilfe der Software AutoForm R7 aufgebaut. Am Beispiel eines Ziehteils mit offenem Kopf ist es mit den resultierenden Simula-tionsergebnissen möglich, die Risikowahrscheinlichkeit eines Kantenrisses bei schergeschnit-tener und gefräster Platinenkante nachzuvollziehen. In der Beispielsimulation wird für die schergeschnittene Kante ein Riss vorhergesagt (?Edge Crack? > 1), wohingegen das umge-formte Bauteil mit gefräster Platinenkante noch eine hohe Restumformbarkeit und einen ?Edge Crack? Wert von 0,624 aufweist.

Während die Herstellung des dargestellten Ziehteils mit schergeschnittenen Blechkanten zu Reißern führen würde, lässt sich das dargestellte Tiefziehbauteil mit HSC-gefrästen Kanten fehlerfrei herstellen.

Zusammenfassung und Ausblick

Die vorgestellten Untersuchungen zeigen, dass mittels des HSC-Fräsens Formplatinen her-gestellt werden können, die eine deutlich geringere Kantenrisssensitivität im Vergleich zu kon-ventionell schergeschnittenen Blechbauteilkanten aufweisen. Experimentell durchgeführte Di-aboloversuche haben gezeigt, dass mit dem HSC-Verfahren hergestellte Blechbauteilkanten sogar geringere Kantenrisssensitivitäten aufweisen als mit Wasserstrahl oder Lasterstrahl be-schnittene Bauteilkanten. Letztere wurden hinsichtlich der Kantenrisssensitivität von Blech-bauteilkanten bis heute als Optimum bezeichnet.

 

 


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Datum: 13.01.2020 - 14:11 Uhr
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