Staatsrechtler: Extremismusbegriff ist verfassungswidrig
(ots) - Der Berliner Staats- und Verwaltungsrechtler Martin Kutscha hat
die Kategorie "extremistisch" als "politischen Kampfbegriff" kritisiert. Im
Gespräch mit der Tageszeitung "neues deutschland" (Freitagausgabe) sagte er:
"Eigentlich kann jeder, der Kritik übt oder Regierungsstellen unbequem ist, als
extremistisch gebrandmarkt werden." Nicht zuletzt, weil der Begriff so unscharf
sei, stehe er weder im Grundgesetz noch im Bundesverfassungsschutzgesetz.
Das Berliner Finanzamt hatte entschieden, der Vereinigung der Verfolgten des
Naziregimes - Bund der Antifaschisten den Status der Gemeinnützigkeit zu
entziehen und darauf verwiesen, dass die Vereinigung vom bayerischen
Verfassungsschutz als "linksextremistisch beeinflusst" eingestuft wird. Mit
Blick auf diese Entscheidung forderte Kutscha eine Reform der Abgabenordnung.
"Man hat vor etwa zehn Jahren in die Abgabenordnung hineingeschrieben, dass
Organisationen nicht gemeinnützig sind, wenn sie im Verfassungsschutzbericht des
Bundes oder eines Bundeslandes als extremistisch bezeichnet werden. Da hat man
den Extremismusbegriff in ein formelles Gesetz aufgenommen, was in meinen Augen
verhängnisvoll ist", so Kutscha. Der Begriff sei "juristisch völlig unscharf".
Als Eingriffsnorm sei der Begriff auch verfassungswidrig. "Das
Bundesverfassungsgericht verlangt in ständiger Rechtsprechung, dass
Eingriffsnormen bestimmt sein müssen, dass ich als Bürger oder Bürgerin genau
weiß, was gemeint ist. Und daran mangelt es diesem Begriff", so der Professor
für Staats- und Verwaltungsrecht im Ruhestand, der bis 2013 an der Berliner
Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR) gelehrt hat.
Zugleich kritisierte er, dass politischen Vereinen wie Attac und Campact die
Gemeinnützigkeit entzogen wurde. Es könne nicht sein, dass "eine Organisation
vom Staat abgestraft wird, weil sie politische Forderungen erhebt", so Kutscha.
"Jeder Kaninchenzüchterverband will, dass seine Interessen von der Politik
berücksichtigt werden - und er wird deshalb eben nicht nur Aufklärungs- und
Bildungsarbeit betreiben, sondern natürlich auch politische Forderungen
stellen."
Der Jurist forderte auch, disziplinarische Maßnahmen aufgrund der Gesinnung
dürften gegen Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes nur dann zum Tragen kommen,
wenn sie im Amt Volksverhetzung betrieben. Dies müsse auch für rechtslastige
Personen gelten. "Wir dürfen niemanden allein wegen seiner Gesinnung
benachteiligen", etwa wenn er Mitglied einer legalen Partei wie der AfD sei,
sagte Kutscha.
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Datum: 26.12.2019 - 18:40 Uhr
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