Krebsmedikamente: Betrugssystem mit Medizinischen Versorgungszentren?
(ots) - Nach Recherchen von "Panorama" und "Zeit-Online" soll das
Hamburger Unternehmen Zytoservice mindestens 24,6 Millionen Euro durch eine neue
Betrugsmethode vereinnahmt haben. Der Marktführer für Infusionen von
Krebsarzneien nutzte dabei womöglich eine Gesetzeslücke.
Hinter dem am Dienstag, 17. Dezember, bekannt gewordenen Betrugsverdacht mit
Krebsmedikamenten steckt außer der Bestechung von Ärzten offenbar ein
Betrugssystem mit Medizinischen Versorgungszentren (MVZ). Aufgrund des
Verdachtes durchsuchten am Dienstag nach einer neuen Mitteilung der
Staatsanwaltschaft 480 Polizisten die Hamburger Firma Zytoservice und etliche
Arztpraxen. Insgesamt 57 Objekte. Bisher ist bekannt, dass der Marktführer für
die Herstellung von Infusionen für Krebstherapien Ärzte bestochen haben soll,
damit er im Gegenzug die lukrativen Rezepte für die Medikamente erhält.
Nach Informationen des ARD-Magazins "Panorama" (NDR) und von "ZEIT Online" hat
der Fall Zytoservice eine weitere und bislang unbekannte Dimension. Neben der
klassischen Bestechung über versteckte Geldflüsse an selbständige Ärzte kaufte
Zytoservice über ein verflochtenes Firmenkonstrukt bundesweit ganze Arztpraxen
auf. Nach Recherchen von "Panorama" soll Zytoservice ein Vielfaches des üblichen
Marktpreises gezahlt haben. Anschließend wurden die Praxen in sogenannte
Medizinische Versorgungszentren (MVZ) umgewandelt. Die dann dort angestellten
Ärzte sollen Rezepte für die Herstellung der Infusionen von Krebsarzneien
exklusiv an Zytoservice weitergeleitet haben. Im Gegenzug sollen die
angestellten MVZ-Ärzte eine Beteiligung am Umsatz als Boni für die Rezepte
erhalten haben.
Durch diesen finanziellen Anreiz könnte Zytoservice ihre angestellten Ärzte dazu
verleitet haben, möglichst viele Therapien oder besonders teure Medikamente zu
verordnen.
"Es liegt natürlich die Gefahr auf der Hand, dass der Arzt, um den Gewinn des
Konzerns zu steigern, auch teure Medikamente einsetzt, die gar nicht medizinisch
geboten sind", sagt Wolf-Dieter Ludwig, Vorsitzender der Arzneimittelkommission
der deutschen Ärzteschaft und selbst Onkologe. "Nur über die Menge der
verordneten Zytostatika oder Antikörper wird dann Profit in diesem Konstrukt
erzielt." Das sei nicht im Sinne der Patientensicherheit.
Aus diesem Grund ist es auch Apothekern und Herstellbetrieben wie Zytoservice
verboten, sich an Arztpraxen zu beteiligen und damit die Nachfrage nach ihrem
eigenen Produkt zu kontrollieren. Mit einer Regelung aus dem Jahr 2012, dem
GKR-Versorgungsstrukturgesetz, will der Gesetzgeber sicherstellen, dass die
Eigentümer der Praxen am Patientenwohl und an der Gesundheit der Bevölkerung
interessiert sind und nicht vorrangig an wirtschaftlichen Interessen.
"Wenn Ärzte nicht wirtschaftlich unabhängig arbeiten können, dann kann es
passieren, dass sie beispielsweise Medikamente, in diesem Fall Chemotherapien,
verordnen, die vielleicht teurer sind als die Standardtherapie, die völlig
ausreichend wäre. Es kann aber auch passieren, dass Patienten zu viele
Medikamente verabreicht bekommen. Das wissen wir aber nicht genau, da warten wir
jetzt auch die Ergebnisse der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen ab", sagt
Jörg Bodanowitz von der DAK.
Nach Überzeugung der Krankenkassen DAK und TK hat Zytoservice gegen die
Verbotsregelung von 2012 verstoßen und hätte deshalb die Medikamente bei den
Krankenkassen nicht abrechnen dürfen. Die TK beziffert den Schaden durch zu
Unrecht abgerechnete Rezepte auf 8,6 Millionen Euro, die DAK gar auf 16
Millionen Euro.
Unklar ist jedoch, ob Zytoservice nicht einfach eine Gesetzeslücke nutzte. Bei
der Verbotsregelung gibt es Ausnahmen. Gemeinnützige Organisationen oder
Krankenhäuser dürfen nämlich MVZs gründen oder besitzen. Und auf dem Papier ist
Zytoservice selbst nicht Gründer und Besitzer der fraglichen MVZs, sondern die
"Stadtteilklinik" in Hamburg-Mümmelmannsberg. Dieses sehr kleine Krankenhaus hat
selbst keine onkologische Abteilung und verfügt lediglich über 15 Betten. Doch
seit 2014 wurden über diese Klinik bundesweit 15 MVZs gegründet. Und Inhaber der
Klinik ist auch nicht Zytoservice selbst, sondern der Mutterkonzern Alanta
Health Group.
Sowohl die DAK als auch die Staatsanwaltschaft Hamburg erkennen deshalb nicht
an, dass die "Stadtteilklinik" die Voraussetzung für eine Ausnahmeregelung
erfüllt und MVZs gründen und besitzen darf. Aus der Sicht der Krankenkasse und
der Staatsanwaltschaft handelt es sich um eine "Strohmann"-Klinik, um die
Verbotsregelung zu unterlaufen.
"Der Gesetzgeber möchte finanzielle Interessen von Apothekern und Ärzten
voneinander trennen. Und hat es deshalb Apothekern untersagt, Arztpraxen oder
auch medizinische Versorgungszentren zu gründen", sagt die Hamburger
Staatsanwältin Liddy Oechtering dem ARD-Magazin "Panorama". "Wir hoffen, dass
durch dieses Ermittlungsverfahren auch grundlegende Fragen zur Korruption im
Gesundheitswesen geklärt werden können."
Zytoservice bzw. der Mutterkonzern Alanta Health Group hat auf die Bitte um
Stellungnahme nicht reagiert.
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Datum: 18.12.2019 - 16:17 Uhr
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