Politisch hausgemacht: Fünf Maßnahmen gegen Lieferengpässe
(ots) - Der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie e.V. begrüßt die
Gesetzesinitiative, auf die aktuelle Situation von Lieferschwierigkeiten bei
einigen Arzneimitteln zu reagieren. BPI Hauptgeschäftsführer Dr. Kai Joachimsen
kritisiert aber, dass die angestrebten Maßnahmen nicht zielführend sind:
"Verschärfte Melde- oder Lagerpflichten verhindern leider keinen Lieferengpass.
Viel wichtiger ist es, die Anbietervielfalt zu stärken. Die letzten Jahre haben
gezeigt, dass die Arzneimittelversorgung gefährdet ist, wenn man aufgrund einer
extremen Marktverengung nicht auf andere Anbieter ausweichen kann. Hauptursache
dafür ist der Kostendruck durch zunehmende und kostenintensive regulatorische
Auflagen, die deutlich gestiegenen Rohstoff, Energie- und Personalkosten sowie
die ausufernden Rabattverträge der Krankenkassen. Diese Loose-Loose-Situation
steigender Anforderungen und gedeckelter oder sinkender Erträge führt dazu, dass
viele Anbieter nicht mehr auskömmlich wirtschaften können. Im Ergebnis sinkt die
Vielfalt und Zahl der Hersteller, welche im Falle von Lieferengpässen die
fehlenden Kapazitäten ausgleichen könnten. Dies ist objektiv messbar und auch
marktwirtschaftlich logisch.
Lieferengpässe und daraus resultierende Versorgungsengpässe sind zum Teil
politisch hausgemacht. Solange Krankenkassen die Preise von Medikamenten bis in
den Cent-Bereich pro Tagesbehandlung oder Packung drücken können, wird die
Versorgung der Patienten gefährdet. Ebenso sind die wirtschaftlichen
Rahmenbedingungen für eine Anbietervielfalt zunehmend schlechter geworden. Das
betrifft sowohl Innovationen als auch insbesondere den generischen Markt.
Insbesondere die Wirkstoffproduktion musste aus Kostengründen vielfach nach
Asien abwandern, wo für viele Wirkstoffe oft nur noch wenige, zum Teil ein oder
zwei, Produzenten den gesamten Weltmarkt bedienen. Wir brauchen deshalb dringend
eine Rückbesinnung auf europäische Produktion", so Dr. Joachimsen.
Der BPI schlägt fünf effektive Maßnahmen gegen Arzneimittellieferengpässe vor:
1) Gesetzliche Regelung für Mehrfachvergabe bei Rabattverträgen - verpflichtende
Zuschläge an mindestens drei Anbieter
Anbietervielfalt mit ausreichenden Produktions- und Lagerkapazitäten bietet beim
Ausfall eines Anbieters die Möglichkeit, auf andere Bieter zurückzugreifen, und
ist damit die Voraussetzung für eine Stabilisierung der Lieferketten: Daher sind
verpflichtend Zuschläge an mindestens drei Anbieter vorzuschreiben. Die
Anbietervielfalt wird so erhalten, da weniger Arzneimittel-Hersteller ihre
Produktion herunterfahren oder ganz vom Markt gehen. Gleichzeitig erhöht sich
die Flexibilität, um Lieferausfälle einzelner Anbieter auszugleichen. Die
Rabattkalkulation würde vorsichtiger verlaufen, ohne die Kosten für das
Gesundheitssystem signifikant zu erhöhen, und Rabattverträge allgemein als
Instrument in Frage zu stellen. Damit wird das System der Rabattverträge
insgesamt ebenfalls stabilisiert. Es ist zudem sicherzustellen, dass nicht alle
Anbieter beim gleichen Wirkstoffhersteller einkaufen. Daher dürfen
Rabattausschreibungen erst möglich sein, wenn mindestens vier Anbieter am Markt
sind, die ihre Wirkstoffe aus mindestens zwei unterschiedlichen Wirkstoffquellen
beziehen. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich Ausweichkapazitäten wirtschaftlich
darstellen und diese bereitgestellt werden, wachsen dadurch erheblich. Unter
Preismoratorium/Festbetrag wäre zudem kein Missbrauch möglich.
2) Rabattausschreibungen mit Standortbezug ausbauen
Im Rahmen der Mehrfachvergabe müssen Aspekte der Arzneimittelliefersicherheit
berücksichtigt werden. Die Sicherheit soll erhöht werden, indem mindestens ein
Zuschlag an einen pharmazeutischen Unternehmer mit Produktionsstätte in Europa
vorgeschrieben wird. Diese Maßnahme verhindert eine weitere Abwanderung der
Produktion nach Asien, eine noch stärkere Abhängigkeit von Monopolstrukturen im
nicht-EU-Ausland sowie eine erhöhte Angreifbarkeit im Fall internationaler
Krisen. Gleichzeitig ist dies ein Beitrag zur Nachhaltigkeit, da in der EU
andere Umwelt- und Arbeitnehmerstandards gelten. Hierzu sollte das
EU-Vergaberecht geändert oder die Produktion in der EU als Kriterium
verpflichtend für Kassen im Rahmen der Ausschreibungspraxis etabliert werden.
3) Arzneimittel "Made in Europe" stärken
Es müssen regulatorische Rahmenbedingungen und eine Vergütung geschaffen werden,
die die Produktion in Europa erlauben, ohne die Beitragssatzstabilität in
relevantem Maß zu gefährden. Daher muss es Ziel der deutschen
Arzneimittelpolitik sein, die Staaten der EU als Standort für die
pharmazeutische Industrie zu stärken. Die Rückverlagerung der Produktion und
Verhinderung der weiteren Abwanderung dient neben der sicheren
Medikamentenversorgung der Bevölkerung auch der Stärkung der deutschen und
europäischen Industrie sowie des Mittelstandes. Auch durch die Privilegierung
von in der EU produzierten Arzneimitteln bei der Vergabe und Verordnung können
Standort und Versorgung gestärkt werden.
4) Mehr Flexibilität bei der Zulassung alternativer Quellen und des
Herstellungstransfers
Um die Verfügbarkeit von Arzneimitteln zu gewährleisten bedarf es im Falle eines
drohenden Engpasses einer flexiblen Möglichkeit zur Umstellung der Quelle von
Wirk- oder Hilfsstoffen oder des Wechsels von Herstellstätten. Dieses kann mit
Änderungen der Zulassungsdokumentation einhergehen. Regulatorische Anforderungen
dürfen bei diesen Änderungen im Zusammenhang mit der Vermeidung eines
Lieferengpasses keine bürokratischen Hürden darstellen und damit zur unnötigen
Verzögerung bei der Umsetzung führen. Diese Änderungen sollen zusammengefasst
und in einem beschleunigten Verfahren bearbeitet werden können.
5) Verbesserung der Liefersicherheit im Krankenhaus
Sowohl Apothekenbetreiber als auch die pharmazeutische Industrie sollen durch
die Vereinbarung geeigneter Vertragsbedingungen zur Verbesserung der
Lieferfähigkeit eines Arzneimittels beitragen. Dazu gehören unter anderem
belastbare Abnahmeprognosen und eine Preisgestaltung unter Berücksichtigung der
gewährleisteten Lieferfähigkeit der Produkte. Vertraglich vereinbarte und
entsprechend ausreichend vergütete Maßnahmen im Sinne der Ausarbeitungen des
BfArM-Jour Fixe-Lieferengpässe können zu einer kurzfristigen Verbesserung der
Liefersicherheit in diesem Segment beitragen.
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Andreas Aumann (Kommissar. Pressesprecher), Tel. 030 27909-123,
aaumann(at)bpi.de
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Datum: 12.12.2019 - 11:55 Uhr
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