Ein Rezept gegen Lieferengpässe bei Arzneimitteln: Dr. Sabine Nikolaus (Boehringer Ingelheim) im Interview
(ots) - Lieferengpässe bei Arzneimitteln: Kein Tag, an dem nicht
irgendwo darüber berichtet wird. Die Deutschland-Chefin des Pharmaunternehmens
Boehringer Ingelheim Dr. Sabine Nikolaus sagt: Es wäre gar nicht so schwer,
Abhilfe zu schaffen. Ein Interview.
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Frau Nikolaus, kein Tag, an dem nicht über Lieferengpässe berichtet wird. Wie
schätzen Sie die Lage ein?
Dr. Sabine Nikolaus: Die Lieferengpässe sind in der Tat für viele Patientinnen
und Patienten ein Problem. Wir glauben, dass die Versorgungssicherheit mit
Arzneimitteln die höchste Priorität haben sollte und deshalb begrüße ich, dass
die Bundesregierung an einem Maßnahmenpaket arbeitet. Gleichzeitig ist es
wichtig zu verstehen, dass nicht alle Arzneimittel gleichermaßen von diesen
Lieferengpässen betroffen sind. Bei Boehringer Ingelheim haben wir aktuell
keinerlei Lieferengpässe. Das hat auch damit zu tun, dass wir unsere Medikamente
vorwiegend selbst produzieren - auch die klinischen Ausgangsstoffe - und das vor
allen Dingen in Deutschland und in Europa. Wir haben seit Jahrzehnten ein
starkes europäisches Produktionsnetzwerk und daraus ergeben sich für uns
schnelle Steuerungsmöglichkeiten, falls sich die Nachfrage nach einem
Arzneimittel kurzfristig ändert. Da sind wir recht flexibel.
Heißt: Mehr Produktion nach Europa holen als Königsweg aus der Misere?
Nikolaus: Ich glaube, dass es schon gut ist, in Europa ein starkes Standbein zu
haben. Aber man kann das eine tun, ohne das andere zu lassen. Boehringer
Ingelheim produziert weltweit. Einer Globalisierung der Arzneimittelproduktion
entgegenzutreten, wäre nicht der richtige Weg. Aber wir bekennen uns eben auch
ausdrücklich zum Produktionsstandort Europa.
Sehen Sie neben dem Globalisierungsthema noch weitere Ursachen für
Lieferengpässe?
Nikolaus: Es gibt viele Faktoren, die Lieferengpässe auslösen können. Aber einen
Punkt, den wir kritisch sehen, sind die Rabattverträge der Krankenkassen. Das
gilt vor allem für die, bei denen nur ein Hersteller den Zuschlag erhält - die
so genannten Exklusivverträge. Sie erhöhen möglicherweise die Planungssicherheit
dieses einzelnen Unternehmens. Gleichzeitig steigt aber das Risiko für das
Gesamtsystem und damit auch für die Patientinnen und Patienten. Denn wenn jetzt
der eine Produzent nicht in der Lage ist, in der erforderlichen Zeit die
erforderliche Menge zu liefern, kann das notfalls ein zweiter Produzent gar
nicht mehr auffangen, denn er ist gar nicht darauf eingestellt. Das kann dann
schnell zu Lieferengpässen führen.
Die Krankenkassen betonen allerdings, dass sie die Rabattverträge nicht als
Ursache für Lieferengpässe sehen...
Nikolaus: Wie gesagt: Für den einzelnen Hersteller mag das die
Produktionssicherheit erhöhen, wenn denn das betreffende Arzneimittel inklusive
aller seiner Ausgangsstoffe auch verfügbar ist. Ist das aber nicht der Fall,
dann wird es zum Problem. Gleichzeitig wäre eine recht einfache und schnelle
Alternative denkbar: Wieso nicht die Rabattverträge mit zwei oder drei
Herstellern abschließen, damit eine gewisse Liefersicherheit gegeben ist? Und
darüber hinaus könnte dabei noch festgelegt werden, dass mindestens einer der
Hersteller in Europa produzieren muss.
Damit läge der Ball bei der Politik - die müsste das regeln, oder?
Nikolaus: Ich denke, das ist eine Zusammenarbeit von verschiedenen Seiten.
Sicher wäre die Politik stark daran beteiligt, aber auch die Krankenkassen und
wir Hersteller. Übrigens hören wir ja auch von Seiten der Ärzte und Apotheker
immer mehr Stimmen, die die Stärkung der europäischen Arzneimittelproduktion
fordern.
Wie sehen Sie in diesem Zusammenhang das Thema Preispolitik? Der
Gesundheitspolitiker Michael Hennrich, CDU, hat erst kürzlich erklärt: "Rigide
Preispolitik bei Arzneimitteln gefährdet die Basisversorgung: Da müssen wir
gegensteuern." Kein Widerspruch, oder?
Nikolaus: Aus der Sicht eines forschenden Pharmaunternehmens gesprochen: Unser
Ziel ist es, dass wir innovative Medikamente mit hohem therapeutischen Nutzen
auf den Markt bringen. Boehringer Ingelheim hat im vergangenen Jahr (2018) 1,4
Milliarden Euro in die Forschung allein in Deutschland investiert - das ist fast
die Hälfte unserer weltweiten Forschungsausgaben. Wir haben über 70 Prozent
unserer weltweiten Produktionsarbeitsplätze in Europa - und davon wiederum rund
zwei Drittel in Deutschland. Das ist ein klares Bekenntnis zu Europa und zum
Standort Deutschland. Gleichzeitig reduzieren wir mit unserem
Produktionsnetzwerk das Risiko von Lieferengpässen. All das hat natürlich seinen
Preis und muss bei der Preispolitik von Arzneimitteln berücksichtigt werden.
Arzneimittel, die immer billiger werden sollen, dabei aber qualitativ hochwertig
sind und immer zur Verfügung stehen müssen - das kann nicht funktionieren.
Was halten Sie von der Idee einer zentralen Arzneimittelreserve?
Nikolaus: Bei der zentralen Arzneimittelreserve bin ich eher skeptisch. Wer
stellt denn sicher, dass die Arzneimittel mit ihren unterschiedlichen
Anforderungen richtig gelagert werden? Wer haftet dafür, wenn das nicht
passiert? Ich schließe nicht aus, dass eine solche über die normal übliche
Bevorratung hinausgehende Reserve im Einzelfall helfen kann, aber insgesamt sehe
ich nicht, wie eine zentrale Arzneimittelreserve zur Effizienzsteigerung im
Arzneimittelwesen beitragen wird.
Sie sagen, die Politik könnte dem Thema relativ einfach entgegentreten: Was
wären Ihre Vorschläge?
Nikolaus: Da sind einmal die bereits erwähnten Rabattverträge: Mehrere Anbieter
und die Auflage, dass mindestens einer davon in Europa produziert - da sehe ich
schon eine deutliche Entlastung, wenn das verpflichtend geregelt wird. Ein
weiterer Punkt ist das Thema der Parallelimporte und Parallelexporte. Auch sie
können zu Lieferengpässen führen. Ein Beispiel: Es gibt die Möglichkeit von
Rabattverträgen mit Parallelimporteuren. Aber wie kann ein Importeur, der selbst
gar nicht produziert, garantieren, dass er die betreffenden Arzneimittel in
ausreichender Menge aus dem Ausland bekommen kann? Zusammenfassend glaube ich,
dass man gemeinsam mit den Krankenkassen vieles tun kann, um Lieferengpässe zu
vermeiden.
Das Interview finden Sie auch auf Pharma Fakten: http://ots.de/Y0UNab
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Datum: 09.12.2019 - 09:50 Uhr
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