Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum Thema "psychische Erkrankungen"
(ots) - Die Zahlen klingen alarmierend: Fast jeder sechste Fehltag von
Arbeitnehmern geht nach Angaben des jüngsten BKK-Gesundheitsreports auf eine
psychische Erkrankung zurück. Depressionen oder Burn-out liegen damit
inzwischen gleichauf mit Krankheiten wie Grippe oder Husten. Die Fehltage
aufgrund psychischer Erkrankungen sind im Vergleich zum Vorjahr mit 5,4 Prozent
am stärksten angestiegen. Doch was uns erschrecken mag, hat durchaus auch eine
positive Seite: Denn dass heute in der Arbeitswelt seelische Erkrankungen
nicht mehr zwangsläufig und beinahe um jeden Preis verheimlicht werden
(müssen), hätte man noch vor wenigen Jahren wohl kaum für möglich gehalten. Und
wenn ein Tabu fällt, ist es beinahe logisch, dass die Zahlen steigen. Die
zunehmende Offenheit der Gesellschaft aber, dass nicht automatisch "verrückt"
ist oder sich "doch bloß anstellt", wer psychische Probleme hat, ist ein
wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Denn Krankheitseinsicht ohne
falsche Scham ist für die Betroffenen nicht selten der erste Schritt zur
Besserung. Beunruhigend bleiben die Erkenntnisse der Gesundheitsforscher
trotzdem. Denn sie machen sichtbar, was ohnehin jeder weiß. Unser Leben ist
schneller und die Arbeitswelt fordernder geworden. Digitalisierung und
Globalisierung bieten riesige Chancen, aber sie haben eben auch ihren Preis.
Die Unternehmen täten also gut daran, ausreichend und mitunter mehr als bisher
in die Gesunderhaltung ihrer Mitarbeiter zu investieren - erst recht in Zeiten
eines sich mehr und mehr verstärkenden Fachkräftemangels und der bevorstehenden
Verrentungswelle der Babyboomer-Generation. Und nicht nur für junge Bewerber ist
das Gesundheitsmanagement einer Firma längst zu einem Standortfaktor geworden.
Auch ist es die Aufgabe der Unternehmen, die eigenen Beschäftigten ein
Berufsleben lang so weiterzubilden, dass sie sich den immer schneller
verändernden Anforderungen in der Arbeitswelt auf lange Sicht gewachsen sehen.
Ein Betrieb, der das nicht tut, gefährdet seine Existenz - denn in Deutschland,
wo Rohstoffe knapp sind, bleiben allein die Mitarbeiter, ihr Know-how, ihre
Einsatzbereitschaft sowie ihre dauerhafte Leistungsfähigkeit als wahres
Firmenkapital. Eine Garantie aber, dass niemand mehr psychisch erkrankt, wird es
auch bei bester Vorsorge nicht geben. Und dass die vom deutschen
Gewerkschaftsbund (DGB) geforderte "Anti-Stress-Verordnung" da Abhilfe schafft,
darf auch bezweifelt werden. Hier ist dann doch eher die Politik gefordert.
Das aktuell größte Ärgernis dürfte dabei sein, dass Betroffene oft viel zu
lange warten müssen, bis sie einen Termin für eine psychotherapeutische
Behandlung bekommen. Dabei mangelt es nicht an potentiellen Therapeuten, sehr
wohl aber an Therapeuten, die mit den Krankenkassen abrechnen dürfen. Denn die
Zahl der Kassensitze wird durch die Kassenärztlichen Vereinigungen künstlich
knapp gehalten. Ob das unserer Gesellschaft gut tut? Herr
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, bitte übernehmen Sie!
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Datum: 05.12.2019 - 21:30 Uhr
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