Arzneimittelrabattverträge: Fakten gegen Desinformationen
(ots) - Arzneimittelrabattverträge leisten einen wichtigen
Beitrag zur Versorgungssicherheit der Patientinnen und Patienten und sind nicht
die Ursache für Lieferengpässe, wie von Seiten einiger Pharmaverbände und der
Apothekerschaft immer wieder behauptet wird. In einem gemeinsamen Pressegespräch
benennen die AOK Baden-Württemberg, der AOK-Bundesverband und das
Wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO) Fakten zu Lieferengpässen und
Rabattverträgen.
"Der wahre Grund für die Desinformationskampagnen von Pharmalobby und Apotheken
liegt im Erfolg unserer Rabattverträge. Sowohl wirtschaftlich als auch für die
Versorgung der Patienten", sagt der Vorstandsvorsitzende des
AOK-Bundesverbandes, Martin Litsch. "Leider gehen Teile der Politik der
Pharma-Inszenierung auf den Leim. So konzentrieren sich Lösungsansätze meistens
auf Rabattverträge und gehen an den wahren Ursachen von Lieferengpässen komplett
vorbei. Schlimmer noch, sie packen die wirklich drängenden Lieferengpässe im
Krankenhaus nicht mal an, denn hier gibt es keine Rabattverträge."
Lieferengpässen wirkungsvoll begegnen
Zu den Ursachen für Lieferengpässe gehören zum Beispiel technische Probleme im
Produktionsablauf und Rohstoffengpässe, aber auch intransparente Lieferketten.
"Um die Versorgung zu sichern, brauchen wir vor allem Transparenz und
verpflichtende Meldungen über Lieferengpässe. Und zwar auf allen Ebenen, vom
Hersteller über den Großhandel bis zur Apotheke. Diese Forderung stellt die AOK
schon seit Jahren. Es ist gut, dass das Bundesgesundheitsministerium diese
Lösung anpackt", so Litsch. "Außerdem ist es richtig, dass die Aufsichtsbehörden
die Vorratshaltung von Arzneimitteln auf allen Distributionsstufen regelmäßig
prüfen sollen und hierzu mehr Kompetenzen erhalten."
Pharmafirmen wollen Profite maximieren
Völlig fehl gehen aus Sicht der AOK jedoch Pläne, verpflichtende
Mehrfachvergaben bei den Rabattverträgen einzuführen. "Nicht Liefersicherheit,
sondern Profitstreben ist der Anlass für Pharmafirmen, wenn sie exklusive
Rabattverträge abschaffen wollen" hält Dr. Christopher Hermann,
Vorstandsvorsitzender der AOK Baden-Württemberg und Chef-Verhandler der
AOK-Rabattverträge, fest. "Was soll sich verbessern, wenn drei Unternehmen den
Zuschlag erhalten, deren Produkte alle aus derselben Fabrik kommen?"
Denn Lohnherstellung (Herstellung im Auftrag eines anderen Unternehmens) ist bei
europäischen Generikaanbietern die Regel, wie Auswertungen der
Ausschreibungsunterlagen durch die AOK Baden-Württemberg zeigen. Unter 193 in
Europa tätigen Herstellern finden sich nur 11 meist kleinere, die tatsächlich
für sich selbst produzieren. Von den Arzneimitteln zu 230 generischen
Wirkstoffen werden 93 Prozent in der EU ausschließlich über Lohnhersteller
produziert. Die meisten pharmazeutischen Unternehmer in Deutschland haben also
noch nie ein Arzneimittel selbst hergestellt.
Die Analysen zeigen auch, dass der überwiegende Teil der Generikaproduktion in
Deutschland stattfindet. 59 Hersteller und Lohnhersteller, die Vertragspartner
der AOK sind, haben ihren Sitz in Deutschland. Das sei mehr als in jedem anderen
Land, so Hermann. "Deshalb sind Forderungen nach einer verstärkten
Arzneimittelproduktion ''Made in Europe'' nur Nebelkerzen und darüber hinaus kaum
mit dem Europarecht vereinbar, weil es Länder diskriminiert, mit denen
Freihandelsabkommen bestehen."
Ohnehin sei der Einfluss der deutschen Rabattverträge auf die unternehmerischen
Entscheidungen global agierender Pharmahersteller gering. "Deutschland hat einen
Anteil von vier Prozent am globalen patentfreien Markt. Davon lassen sich
profitorientierte Konzerne wohl kaum beeinflussen. Die lassen ihre
Arzneimittelwirkstoffe so wie alle anderen Branchen produzieren. Und zwar so,
dass die Gewinnmarge möglichst groß ist. Das funktioniert genauso wie bei Autos
oder Kameras."
Exklusive Rabattverträge - Gut für Patienten und Hersteller
Wer exklusive Rabattverträge abschaffen möchte, würde darüber hinaus auf klare
Vorteile für Patienten und Pharmahersteller verzichten, wie Analyseergebnisse
des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) belegen.
2018 haben 82,7 Prozent der Patienten, die ihren rabattierten Wirkstoff von
einem exklusiven Rabattpartner über einen längeren Zeitraum einnehmen, ihr
Medikament dauerhaft von demselben Hersteller erhalten. Bei den
Wirkstoffen/Wirkstoffkombinationen, bei denen sich mehrere Rabattpartner die
Versorgung teilen, erhielten nur 69,1 Prozent der Arzneimittelpatienten das
Arzneimittel immer vom selben Hersteller.
"Rabattverträge mit Exklusivpartnern tragen dazu bei, unnötige
Medikamentenwechsel zu vermeiden. Das fördert die Therapietreue der Patienten
und den Erfolg der Therapie", sagt Helmut Schröder, stellvertretender
Geschäftsführer des WIdO.
Darüber hinaus können Pharmafirmen mit Exklusivverträgen ihre Absatzmengen und
damit ihre wirtschaftlichen Grundlagen besser planen. Denn bei Mehrfachvergaben
verteilt sich der Markt nicht einfach gleichmäßig auf die zwei oder drei
Vertragspartner. Nach den Analysen des WIdO entfallen bei den
Wirkstoffen/Wirkstoffkombinationen, die von drei Rabattpartnern beliefert
werden, im Schnitt 60,2 Prozent der Verordnungen auf den verordnungsstärksten
Partner, 27,6 Prozent auf den zweiten und 12,2 Prozent auf den
verordnungsschwächsten Partner. Bei einzelnen Wirkstoffen übernimmt der
verordnungsstärkste Rabattpartner sogar 93,0 Prozent der Verordnungen, während
für andere Rabattpartner nur 0,2 Prozent der Versorgung übrigbleiben.
Helmut Schröder: "Die Ausschreibung im Mehrpartnermodus erschwert die
Kalkulation der Anbieter deutlich. Diese Unsicherheit müssen sie einpreisen, was
zu höheren Preisen für die Gesetzliche Krankenversicherung führt. Letztlich
können Mehrfachvergaben sogar Lieferengpässen Vorschub leisten, wenn in den
Apotheken einzelne der möglichen Rabattpartner bevorzugt werden und diese die
Verordnungsmengen nicht eingeplant haben."
Hohe Versorgungssicherheit bei patentfreien Arzneimitteln
Mit ihren Desinformationskampagnen haben es Pharmafirmen und Apotheker
geschafft, der Politik einen Handlungsdruck vorzugaukeln, der sich nüchtern
betrachtet leicht widerlegen lässt. Aktuelle WIdO-Analysen belegen, wie gut die
Versorgungssicherheit für die Arzneimittelpatienten ist.
Anfang September 2019 waren 99,3 Prozent der Arzneimittel, die zu Lasten der
gesetzlichen Krankenversicherung verordnet wurden, lieferbar. Nur 461
Arzneimittel waren laut offiziellen Meldungen, die auf freiwilligen Meldungen
der Pharmaindustrie basieren, vorübergehend nicht verfügbar. Unter den 9.000
Arzneimitteln, für die es einen AOK-Rabattvertrag gibt, lag der Anteil der
lieferbaren Präparate demnach sogar bei 99,7 Prozent. Schröder unterstützt die
Forderung, dass Hersteller Lieferschwierigkeiten verpflichtend melden müssen,
wenn keine ausreichende Versorgungssicherheit im Folgemonat gewährleistet werden
kann. "Es ist nicht einzusehen, dass wir heute den Weg unserer Paketsendungen
online mitverfolgen können, dies aber bei der ungleich wichtigeren
Arzneimittelversorgung in Deutschland nicht gelingen soll."
Martin Litsch betont in diesem Zusammenhang: "Selbst dieser marginale Anteil von
Lieferengpässen bedeutet noch keinen Versorgungsengpass. Denn in der ambulanten
Versorgung stehen normalerweise immer genügend Arzneimittel anderer Hersteller
zur Verfügung."
Und Christopher Hermann ergänzt: "Auch höhere Preise würden die
Versorgungssicherheit nicht verbessern. Andernfalls müsste die
Arzneimittelversorgung in den USA am besten sein, denn dort sind Medikamente
weltweit am teuersten. Erstaunlicherweise haben die USA doppelt so viele
Lieferengpässe wie Deutschland."
Vor dem Hintergrund dieser Fakten fordert die AOK die Politik auf, den Kampagnen
von Pharmaverbänden und Apothekern nicht einfach hinterherzulaufen und
erfolgreiche Wettbewerbsinstrumente zu streichen. Der Handlungsspielraum der
Krankenkassen sei schon an anderen Stellen deutlich beschnitten worden. In
Zukunft müsse es wieder mehr Wettbewerb um die beste Versorgung geben dürfen, so
die Vertreter der AOK.
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Datum: 05.12.2019 - 10:00 Uhr
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