Braucht die EU ein neues Gentechnik-Gesetz? / Kontroverse um CRISPR/Cas9 bei Nutzpflanzen (AUDIO)
(ots) -
- Der Biochemiker Prof. Marc Birringer von der Hochschule Fulda
erläutert Hintergründe der Debatte, Risiken und Potenziale zur
Genschere CRISPR/Cas9 in der Pflanzenzüchtung im
Forschungspodcast "Gesprächsstoff" der Hochschule Fulda.
- Lebensmittelpflanzen, die mit CRISPR/Cas9 verändert wurden,
unterliegen innerhalb der EU der Kennzeichnungspflicht, so hat
es der Europäische Gerichtshof (EuGH) 2018 beschlossen. Das hat
weitreichende Folgen für die Forschung und die
Ernährungswirtschaft. Die EU-Rechtsprechung zwingt auch zur
Reform des deutschen Gentechnikgesetzes.
- Einige der neuen Genome Editing-Methoden sind nicht nachweisbar;
deshalb kann man Unternehmen nicht belangen, die gegen die
Kennzeichnungspflicht verstoßen.
- Die EU-Gesetzgebung ist widersprüchlich: Rund 3000 alte
Züchtungen, die mit weniger präzisen Methoden der Genveränderung
(Chemie und Röntgenstrahlung) hergestellt wurden, unterliegen
nicht der Kennzeichnungspflicht. Sie haben Bestandsschutz und
gelten als sicher - im Gegensatz zu neuen Arten, die mit diesen
Verfahren mutiert wurden. Kennzeichnungspflichtig sind auch
transgene Pflanzen, also Sorten, bei denen eine fremde DNA
eingebracht wird. Dies trifft aber nicht auf CRISPR/Cas9 zu.
Deshalb fordern Wissenschaftler eine Überarbeitung der
EU-Gesetzgebung zur Gentechnik.
Wissenschaftler innerhalb der EU kritisieren zunehmend das Urteil
des EuGH von 2018, dass Lebensmittelpflanzen, deren Erbgut mit der
molekulare Genschere CRISPR/Cas9 verändert wurde, auch als Gentechnik
gekennzeichnet werden müssen. Marc Birringer, Professor für
angewandte Biochemie, Ernährung und Umwelt an der Hochschule Fulda
befasst sich im Forschungspodcast "Gesprächsstoff" mit der
anhaltenden Kontroverse.
CRISPR/Cas9 hat in der Pflanzenzucht große Erwartungen geweckt. Es
ist ein Instrument, mit dem schnell, präzise und kostengünstig
resistentere, anpassungsfähigere und ertragreichere Nutzpflanzen
entstehen können: "Crispr Cas könnte ein Paukenschlag sein für die
Wissenschaft und uns eine völlig neue Dimension in der Pflanzenzucht
eröffnen," so Birringer. "Wir haben als Wissenschaftler eine
Verantwortung, uns mit neuen Techniken und Methoden von großer
Tragweite auseinanderzusetzen." Deshalb äußert er sich dazu im
aktuellen Forschungspodcast der Hochschule Fulda. Schon vor einigen
Monaten hatte er mit Kollegen von der Universität Kassel einen
Fachartikel in der Ernährungs Umschau vorgelegt.
Viele europäische und deutsche Vertreter aus Forschung und
Wissenschaftsinstitutionen erachten die Kennzeichnung der mit
CRISPR/Cas9 veränderten Pflanzen als Gentechnik, wie es das Urteil
des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom Juni 2018 festlegt, als
problematisch. Auch Produzenten von Lebensmitteln sind dagegen: "Sie
befürchten, dass durch die Kennzeichnungspflicht der europäische
Markt ins Hintertreffen gerät. Denn andere Länder wie China und die
USA können ihre CRISPR/Cas9-Produkte erfolgreich ohne Regulierung
anbieten", sagt Birringer.
CRISPR/Cas9 ist nicht nachweisbar
Zur Technik: Mit der Genschere CRISPR/Cas9, welche mit Hilfe einer
Zielsequenz an die gewünschte DNA-Stelle gebracht wird, können
gezielt Schnitte und Einfügungen im Bauplan gesetzt werden - wie eine
Art Copy and Paste-Verfahren, in dem Buchstaben in einem Text
entfernt oder zugefügt werden. So können Teile des Genoms, wie zum
Beispiel Mutationen, die das Erbgut vielleicht ungünstig
beeinflussen, entfernt werden. Mutationen sind zufällige oder
spontane Veränderungen der DNA bzw. der Abfolge von Gen-Buchstaben,
die als "Schreibfehler" entstehen.
Das Besondere: CRISPR/Cas9 ist nicht nachweisbar und kann von
konventioneller Zucht nicht unterschieden werden. "Man weiß also
nicht, ob ein Organismus technisch verändert wurde oder nicht",
betont Birringer. Dies wirft ganz praktische Probleme auf: Wenn sich
Hersteller innerhalb der EU der Kennzeichnungspflicht nicht
unterwerfen, könnte man ihnen es auch nicht nachweisen und sie dafür
belangen.
Müssen auch alte Verfahren gekennzeichnet werden?
Die Frage stellt sich auch: Wo ist die Trennlinie zwischen neuen
und alten Mutagenese-Verfahren? Menschen verändern schon seit
tausenden von Jahren Erbgut von Pflanzen und Tieren - durch die
klassische Züchtung. Im 20. Jahrhundert wurden dann Chemie und
Röntgenstrahlung eingesetzt, um Mutationen im Erbgut von Pflanzen
hervorzurufen. Rund 3000 Pflanzen sind so entstanden, die aber von
der Kennzeichnungspflicht ausgenommen sind.
"Wir essen mit Sicherheit auch Brot mit Körnern, die durch
klassische Verfahren wie Chemie oder Röntgenstrahlung hergestellt
worden sind, die man bislang nicht kennzeichnen musste. Sollte man
dies jetzt auch tun? Das EuGH-Urteil hat die Sache nicht vereinfacht,
sondern zum Teil nur noch unklarer gemacht", betont Birringer.
Dabei haben die klassischen Verfahren Nachteile: "Die Mutagenese
durch Strahlung und Chemie ist bei Weitem nicht so präzise wie durch
CRISPR/Cas9 ", betont Birringer und erläutert: "Prof. Holger Pucha
vom Karlsruher Institut für Technologie hat ein treffendes Bild dafür
gefunden: Wenn Sie Chemie oder Bestrahlung verwenden - das ist, als
ob Sie auf die DNA mit einer Schrotflinte schießen. Sie hoffen, dass
ein Schrotkügelchen genau auf die Stelle trifft, die das Lebensmittel
vielleicht größer, geschmackvoller oder farbiger macht. Andere
Schrotkugeln treffen dabei auf andere Stellen und da wissen wir
nicht, was passieren kann. Das ist wie in einem Glücksspiel. Im
Vergleich dazu ist Crispr Cas so genau wie ein Skalpell."
Viele offene Fragen und Risiken gibt es noch zu der neuen Technik:
Welche Risiken bestehen, welche Fehler können passieren und welchen
Einfluss hat sie auf Ökosysteme? Weitere, umfangreichere Forschungen
seien hierzu nötig, so Birringer.
Für den Biochemiker liegt es auf der Hand: "Die Kontroverse um die
Kennzeichnungspflicht wird weitergehen: Jetzt kann man schon
beobachten, wie sich die Fronten bei einigen Akteuren aufweichen",
sagt er. So finden sich auch Lager aus dem Ökolandbau und Bündnis
90/Die Grünen, die dazu auffordern, noch einmal nachzudenken und die
Chancen durch CRISPR/Cas9 nicht zu ignorieren. Wissenschaftler denken
auch über eine Modernisierung der Gentechnik-Gesetzgebung nach.
Der Wissenschaftspodcast "Gesprächsstoff" der Hochschule Fulda ist
abrufbar über www.hs-fulda.de/podcasts oder über Spotify und iTunes.
Publikation:
Robin Siebert, Inga Richter, Christian Herzig, Marc Birringer:
Genome Editing für die Land- und Ernährungswirtschaft. Potenziale und
Risiken. In: Ernährungs Umschau 11/2018.M639-M647. DOI:
10.44555/eu.2018.046
Zusätzliches Material:
Offene Erklärung, 25.7.2019: Europäische Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler appellieren an das neu gewählte Europäische Parlament
und die Europäische Kommission: http://ots.de/AglxAh
Max-Planck-Gesellschaft: Wissenschaftler fordern Modernisierung
des europäischen Gentechnik-Gesetzes http://ots.de/PSjI1B
Österreichische Akademie der Wissenschaften: Gesetzgebung zu
Genom-Editing braucht Update: http://ots.de/BXD402
Pressekontakt:
Fachlicher Ansprechpartner:
Prof. Dr. habil. Marc Birringer
Angewandte Biochemie für Ernährung und Umwelt
Hochschule Fulda
Leipziger Straße 123
36037 Fulda
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Datum: 24.10.2019 - 12:26 Uhr
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