Landeszeitung Lüneburg: Uran - das koloniale Erbe
Experte Patrick Schukalla: Förderung des tödlichen Erzes ging immer zu Lasten der lokalen Bevölkerung
(ots) - Von Joachim Zießler
Wird Uran im Zuge der Renaissance der atomaren Abschreckung und im
Kampf gegen den Klimawandel ein Comeback erleben? Patrick Schukalla:
Ob das Uran ein Comeback erlebt, entscheidet sich vor allem an der
Zukunft der zivilen Atomindustrie. Lediglich mittelbar wird sich hier
der erneute Rückgriff auf atomare Abschreckungsstrategien in der
Sicherheitspolitik auswirken. Nicht zu erwarten ist ein forcierter
Abbau von Uran zugunsten des Baus von Atombomben, vor allem, weil die
USA, China und Russland über immense Vorräte angereicherten Urans
verfügen. Der Kalte Krieg und die Aufrüstung der Atomarsenale brachte
den ersten Aufschwung in Sachen Exploration und Abbau von Uran.
Dennoch gibt es einen grundlegenden Zusammenhang zwischen der zivilen
Nutzung der Kerntechnik und militärischen Atomprogrammen. Bestes
Beispiel hierfür ist der im Südwesten Großbritanniens geplante
Atommeiler-Neubau Hinkley Point C. Dieses Projekt ist mittlerweile
ein Milliardengrab und macht weder energiepolitisch noch
volkswirtschaftlich Sinn. Es zeichnet sich immer stärker ab, dass das
eigentliche britische Interesse an dem Projekt die Erneuerung der
eigenen Atom-U-Boot-Flotte ist. Und dafür braucht es den Erhalt der
fachlichen Expertise und die Bereitstellung des Materials.
Ist es Zufall, dass die deutsche Uranerzbergbau GmBH aus Bonn
zwischen 1978 und 1982 in Tansania nach Uran suchte oder steht die
Uranindustrie in Afrika in der Kontinuität des Kolonialismus? Ein
Zufall sieht anders aus, vielmehr schreibt die gesamte Geschichte des
atomaren Zeitalters die Entwicklungslinien des kolonialen Zeitalters
fort. Große Bergwerke in Afrika haben wir etwa in Namibia - größter
Abnehmer ist Großbritannien. Niger spielt dieselbe Zuliefererrolle
für seine einstige Kolonialmacht Frankreich. Der neokoloniale Aspekt
von Françafrique ist hier überdeutlich. Tansania war zunächst eine
deutsche Kolonie. Schon damals gab es eine intensive
Ressourcenexploration. Sogar die ersten kleineren Uran-Vorkommen
wurden damals gefunden, aber sie spielten noch keine große Rolle,
weil die Kernspaltung erst später beherrscht wurde. Erst die
britischen Kolonialherren fahndeten dann intensiver und erfolgreich
nach Uran in Tansania, um es für militärische Zwecke zu sichern und
um es für den Aufbau einer zivilen Atomindustrie zu nutzen. Man griff
damals auf andere Quellen zu, so dass die Vorkommen nie angekratzt
wurden. In den 70er- und 80er-Jahren erinnerte sich dann die
Bundesrepublik der ehemaligen Kolonie, als Versorgungssicherheit mit
Uran ein Ziel deutscher Wirtschaftspolitik wurde. Großzügig
bezuschusst aus Bonn wurde dann sehr ausgiebig nach Uran gesucht. Der
Fall Tansania wirkt unspektakulär, weil es nie zu einem Bergbau kam.
Dennoch ist er sehr geeignet, um die kolonialen Strukturen des
Uranbergbaus in Afrika aufzuzeigen. Angesichts der Dramatik von
Tschernobyl und Fukushima sowie der intergenerationellen
Unverschämtheit einer ungelösten Endlagerfrage gerät die Sicherung
der Uran- Vorkommen selten in die Bühnenmitte. Dabei ist sie ein
tragender Teil dieser Industrie.
In die Bühnenmitte werden von ressourcenhungrigen Konzernen gerne
die möglichen Profite für das Ursprungsland geschoben. Welche
Erfahrungen hat Tansania in dieser Hinsicht mit der Ausbeutung der
Goldvorkommen im eigenen Land gemacht? Der Goldabbau in Tansania ist
das stärkste Beispiel für das ausbeuterische Wirken von Konzernen,
die über die Schürfrechte für Bodenschätze verfügen. Vom Goldabbau
blieben weder viele Steuern in Tansania hängen noch profitierte die
lokale Bevölkerung von einer verbesserten Infrastruktur. Das ist noch
heute ein großes Politikum in Tansania. Es kam zu Protesten, nachdem
Sicherheitskräfte der Konzerne einheimische Bergleute vertrieben
hatten, die die Bodenschätze rein manuell abbauten. Dabei war es auch
zu Todesopfern gekommen. Der postkoloniale Staat Tansania hatte, auch
aufgrund internationalen Drucks zur Deregulierung, nicht die Kraft,
die Profite aus dem Gold-Abbau zugunsten der eigenen Bevölkerung
einzusetzen.
In Tansania regiert seit Jahrzehnten die selbe Partei, die Presse
ist weitgehend regierungshörig. Könnte es unter diesen Bedingungen
irgendwelche Kontrolle der Uran-Konzerne geben? Tansania versuchte
sich nach der Unabhängigkeit unter dem ersten Präsidenten Julius
Nyerere an dem sehr ehrgeizigen Projekt eines afrikanischen
Sozialismus. Der derzeitige Präsident, John Magufuli, beschwört
zumindest rhetorisch wieder einen Ressourcennationalismus, also das
Vorhaben, sich der eigenen Bodenschätze auch zu eigenem Nutzen - in
diesem Fall einer Industrialisierung - zu bedienen. Die Kontrolle der
Konzerne zum Schutz der eigenen Bürger dürfte hierbei zweitrangig
sein.
Über Jahrzehnte waren der Kongo und Südafrika die wichtigsten
Lieferanten des arfikanischen Kontinents, heute sind es Namibia und
Niger. Haben die Länder vom Abbau profitiert oder nur ausländische
Konzerne? In erster Linie die ehemaligen kolonialen Zentren. Sie
profitierten von der gewonnenen Energie und davon, dass sie die
Umweltkosten in die ehemaligen Kolonien auslagerten. Lokal haben
sicherlich auch Eliten profitiert, auf keinen Fall aber die Arbeiter
in den Bergwerken. Gerade aus Niger gibt es verheerende Berichte über
erhöhte Krebsraten infolge der erhöhten Strahlenbelastung beim Abbau
des Urans. Viele Menschen haben mit ihrer Gesundheit und ihrem Leben
für den Profit ausländischer Konzerne bezahlt.
Was gibt es für ökologische Folgen in Namibia oder dem Niger? Um
das zu verdeutlichen, müssen wir nicht nach Afrika blicken. Da reicht
es, Sachsen und Thüringen ins Visier zu nehmen. Nach der Wende sind
rund sieben Milliarden Euro in die Renaturierung der zerstörten
Landschaften geflossen, die der Uranabbau in der Wismut hinterlassen
hat - und das Ganze ist damit noch nicht abgeschlossen. Zu den großen
Probleme im Uranbergbau zählen - neben dem radioaktiven Element Uran
an sich - die Tailings genannten Rückstände. Sie entstehen, wenn das
Uran aus dem Umgebungsgestein heraus gebrochen und ausgewaschen wird.
Das geschieht zumeist mit Schwefelsäure. Der entstehende Schlamm wird
in die Tailings, die Absatzbecken, gegossen. Aber er strahlt nicht
nur, er ist auch noch hochtoxisch und sehr schwer zu binden.
Uranbergbau verstrahlt und vergiftet die entsprechende Region. Die
Aufarbeitung beziehungsweise Überdeckung der Rückstände kommt in den
Kostenaufstellungen der Konzerne meist nicht vor. Sie werden in der
Regel vergesellschaftet, müssen also von der Allgemeinheit getragen
werden.
Sollte Deutschland aufgrund dieser eigenen Erfahrungen vom Abbau
in anderen Ländern absehen? Ja, aber nicht nur das. Es sollte auch
eine viel aktivere Rolle einnehmen beim Werben für einen wirklichen
Atomausstieg. Zunächst sollte der eigene Ausstieg vollständig
vollzogen werden, indem etwa auch die Atomanlagen in Gronau
abgeschaltet werden. Zudem sollte das offensichtlich unsinnige
Märchen von der Atomkraft als Klimaretterin widerlegt werden.
Expertise beim Rückbau von Atomanlagen dürfte noch lange gefragt
sein.
Leiden Länder mit Uranvorkommen unter einem zweifachen
Ressourcenfluch?: So lange der Uranpreis im Keller ist, werden
Vorkommen nicht abgebaut, es fließt kein Geld. Wird abgebaut, geht
dies auf Kosten der Menschen der vor Ort. Das würde ich so nicht
ausdrücken. Ein Anti-Atom-Aktivist aus Tansania hat mir auf die
Frage, was die Abbaubestrebungen in seinem Land denn endgültig
stoppen könnte, geantwortet: So zynisch es klingen mag, aber am
besten für uns wäre ein zweites Fukushima. Natürlich wünscht auch er
sich ein Ende der Uranbedrohung ohne derartige Verheerungen. Dieser
GAU hat aber dafür gesorgt, dass die Nachfrage nach Uran eingebrochen
ist. Beim Uran tritt der Ressourcenfluch erst ein, sobald Bergbau
betrieben wird. Unterbleibt dieser, tritt an den Orten, an denen
zuvor exploriert wurde - und die fortan in Unsicherheit gelebt haben
-, eine Stabilisierung ein. Setzt Zentral-Tansania weiter auf
Landwirtschaft statt auf Uranbergbau, wird die Ernährungssicherheit
im Land gewährleistet.
Ab welchem Uran-Preis werden wieder begehrliche Blicke auf das
tansanische Uran geworfen? Nach Fukushima ist der Abbau der
explorierten Vorkommen in Tansania auf Eis gelegt worden. Die
Unternehmen investieren nicht mehr, sichern lediglich ihre
Bergrechte. Lediglich das Projekt am Mkuju River im Süden des Landes
ist einige Schritte weiter - ausgerechnet im Weltnaturerbe Selous. Es
gehört Rosatom, dem staatlichen Atomkonzern Russlands. Das könnte bei
einem Preisanstieg aktiviert werden. Aber es gibt andere Vorkommen in
Tansania mit fortgeschrittenen Explorationen, etwa in der zentral
gelegenen Region Bahi. Sobald die Preise wieder ansteigen, werden die
Spekulationen wieder starten. Im Süden Tansanias soll der Abbau etwa
kostendeckend sein ab einem Preis von 50 Dollar pro Pfund
Urankonzentrat, andere Quellen setzen aber einen Preis von 80 Dollar
an, vieles ist hier Spekulation.
Zur Person
Patrick Schukalla studiert in Berlin, Frankfurt a.M. und Lyon,
Fr.) Promovend der Humangeographie an der Goethe-Universität
Frankfurt a.M. und Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Leibniz-Zentrum
Moderner Orient in Berlin in der Arbeitsgruppe Ressourcenpolitiken.
Schukalla arbeitet zu den Uranbergbauplänen in Tansania. Er ist
Mitautor des aktuellen "Uran Atlas" von Le Monde diplomatique, der
Nuclear Free Future Foundation, der Rosa-Luxemburg-Stiftung und dem
BUND.
Pressekontakt:
Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe(at)landeszeitung.de
Original-Content von: Landeszeitung Lüneburg, übermittelt durch news aktuell
Themen in diesem Fachartikel:
Unternehmensinformation / Kurzprofil:
Datum: 21.10.2019 - 17:22 Uhr
Sprache: Deutsch
News-ID 1763848
Anzahl Zeichen: 0
Kontakt-Informationen:
Ansprechpartner:
Stadt:
Lüneburg
Telefon:
Kategorie:
Politik & Gesellschaft
Anmerkungen:
Dieser Fachartikel wurde bisher 77 mal aufgerufen.
Der Fachartikel mit dem Titel:
"Landeszeitung Lüneburg: Uran - das koloniale Erbe
Experte Patrick Schukalla: Förderung des tödlichen Erzes ging immer zu Lasten der lokalen Bevölkerung
"
steht unter der journalistisch-redaktionellen Verantwortung von
Landeszeitung L (Nachricht senden)
Beachten Sie bitte die weiteren Informationen zum Haftungsauschluß (gemäß TMG - TeleMedianGesetz) und dem Datenschutz (gemäß der DSGVO).