Deutsche Wirtschaft sucht Lösungen für einfachere Bahntransporte nach China / "Wir müssen mehr tun" - aber ohne politische Forderungen
(ots) - "Wir müssen mehr tun", ist unisono die Haltung der
deutschen Wirtschaft, wenn die Rede auf die Neue Seidenstraße und den
Frachtverkehr auf der Schiene kommt. Die deutsche Wirtschaft ist
somit agiler als die deutsche Politik. Denn noch scheint die Belt &
Road Initiative (BRI) in Berlins Bundesministerien eine
untergeordnete Rolle zu spielen.
Wie nachhaltig die Potenziale der Eisenbahnverbindungen sind, soll
eine Studie ausloten, auf die sich die EU und China im Rahmen des
letzten EU-China-Gipfels verständigt haben. Grundsätzlich habe der
Frachtverkehr auf der Schiene den Vorteil, dass er schneller sei als
der Seeweg, konzediert das Verkehrsministerium, beschränkt sich
ansonsten aber auf den Verweis mit der Potenzialstudie. Das
Bundeswirtschaftsministerium ist nach eigener Darstellung nicht
zuständig und verweist Fragen an das Bundesverkehrsministerium.
Der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI),
Dieter Kempf, betont im Gespräch mit Korrespondenten in Berlin: "Ich
sehe es insgesamt positiv, dass es diesen Handel gerade auch auf der
Schiene gibt. Die Schiene verkürzt den Weg um rund drei Wochen
gegenüber dem Seeweg." Dass es in der Richtung von Europa nach China
noch mehr Leerfahrten gebe als umgekehrt, findet Kempf nicht
problematisch.
"Natürlich sind die Züge voller, wenn sie aus China in Duisburg
einlaufen, als wenn sie von Duisburg zurück nach China fahren. Man
ist noch nicht so sehr darauf fokussiert, ob die gleiche Anzahl
voller Bahnwaggons zurückfährt wie sie hinfährt." Die ungleiche
Auslastung liege auch an der Art der Güter, die importiert
beziehungsweise exportiert werden, so Kempf.
"Müssen wir mehr dafür tun? ", fragt Kempf und antwortet gleich
selbst: "Ja, wir müssen mehr tun!" Man müsse mehr dafür sorgen, dass
es gleiche Verhältnisse gebe, dieses Level Playing Field, das gelte
sowohl für den Handel als auch für die Investitionen.
Kempf weist darauf hin, dass das Volumen der Investitionen
deutscher Unternehmen in China "deutlich höher" sei als das Volumen
chinesischer Investitionen in Deutschland. "Ich muss viele meiner
Gesprächspartner daran erinnern, weil wir in Deutschland naturgemäß
immer etwas aufgeregt reagieren, wenn wir erfahren, dass sich ein
chinesisches Unternehmen an einem deutschen beteiligen will oder
beteiligt hat. Aber wenn man auf die Zahlen schaut, ist es
tatsächlich so, dass wir Deutsche in China deutlich mehr investieren
als China in Deutschland." Der BDI hatte im Februar dieses Jahres mit
einem 55-Punkte-Papier über Deutschlands Verhältnis zu China für
Aufsehen gesorgt.
Auch wenn sich das Bundeswirtschaftsministerium für nicht
zuständig erklärt, die Gesellschaft für Außenwirtschaft und
Standortentwicklung (GTAI, Germany Trade and Invest), die dem
Ministerium untergeordnet ist und komplett dem Bund gehört, engagiert
sich sehr wohl. Lisa Flatten, in der GTAI für Asien und Pazifik
zuständig und gleichzeitig Sprecherin des Kongresses "Seidenstraße -
Chancen erkennen und nutzen" von Anfang Oktober in Nürnberg, betont:
"Auch wenn die neuen und schnelleren eurasischen Eisenbahnrouten
keine wirkliche Konkurrenz für den dominierenden Transport per
Containerschiff darstellen, sind sie dennoch eine interessante
Ergänzung zur Luft- und Seefracht." Zurzeit würden zwar noch mehr
Waren aus China in Richtung Westen transportiert, doch nutzten
mittlerweile auch deutsche Unternehmen aus fast allen Branchen die
Bahntrassen für ihren Warentransport in Richtung Asien. "Die
verbesserten Schienenverbindungen, aber auch der Ausbau von Straßen,
Häfen und Flughäfen eröffnen deutschen Firmen und Logistikern eine
Reihe neuer multimodaler Transportmöglichkeiten."
Ganz besonders beschäftigt sich der Ost-Ausschuss -
Osteuropaverein der Deutschen Wirtschaft (OAOEV) mit den Perspektiven
der Schienenverbindung. Mit einem aktuellen Positionspapier will der
Interessensverband die Debatte über die Seidenstraßen-Initiative
vorantreiben. Der scheidende OAOEV-Vorsitzende Wolfgang Büchele
fordert: "Die Belt & Road Initiative darf keine Einbahnstraße werden.
Eine europäische Antwort auf die chinesischen Aktivitäten muss zu den
Prioritäten der neuen EU-Kommission gehören." Statt über chinesische
Projekte zu klagen, sollten alle EU-Länder geschlossen strategisch
vorgehen, so Büchele. "Viele östliche Nachbarländer warten darauf,
ihre Infrastruktur mit der EU zu verknüpfen. China und die EU könnten
hier in enger Abstimmung einen großen Entwicklungsschub auslösen."
Das Positionspapier befasst sich unter anderem mit dem
Schienennetz, mit dem Belarus, Kasachstan, Russland und Polen in die
Eisenbahnverbindung China - Westeuropa involviert sind. Bereits seit
2014 gibt es die rund 11.000 Kilometer lange Direktverbindung aus
China nach Duisburg, über die rund 35 Containerzüge rollen - mit
weiter wachsender Tendenz und deutlich kürzeren Fahrzeiten als
Containerschiffe.
Auch wenn der Warentransport zwischen China und Westeuropa noch
immer fast vollständig auf dem Seeweg läuft und knapp zehn Prozent
per Luftfracht, steht der Ausbau der Eisenbahnkommunikation im
Mittelpunkt der meisten Betrachtungen der BRI. Für China ist die
Verbindung von seinen westlichen Provinzen nach Westeuropa besonders
wichtig, weshalb der Bahntransport noch hoch subventioniert wird.
Das Positionspapier des OAOEV hebt ein Problem hervor: Ein
Nadelöhr des Eisenbahnverkehrs sind demnach die Grenzübergänge für
die Züge. Dabei geht es weniger um das Umspuren auf die
unterschiedlichen Spurbreiten als vielmehr um praktische Fragen der
Abfertigung. Hier müssten die Prozesse vereinfacht und Kapazitäten
erhöht werden. Der OAOEV will dieses Thema aufgreifen und gemeinsam
mit polnischen, belarussischen und russischen Logistikern und
Bahnbetreibern praktische Lösungen für Brest und Kaliningrad
entwickeln - und zwar ganz ohne politische Forderungen.
Laut Alexei Grom, Geschäftsführer des größten eurasischen
Eisenbahntransportunternehmens UTLC ERA mit russischer, kasachischer
und weißrussischer Beteiligung, hat die Entwicklung der
Gütertransporte auf der Schiene zwischen China und Europa starke
Auswirkungen. Sie habe die überholte Vorstellung von Lieferungswegen
und damit verbundenen Kosten komplett verändert. Auch sei damit den
europäischen Partnern vor Augen geführt worden, wie notwendig es sei,
untereinander endlich alles besser zu koordinieren. "Es scheint mir,
dass wir unsere europäischen Partner und Nachbarn mit der Idee
begeistern konnten und sie erkennen, dass die Erhöhung des
Schienenverkehrs auf der Strecke zwischen China und Europa ein Segen
für alle und im Interesse von davon profitierenden Unternehmen und
Ländern wäre. Dank der Entwicklung neuer Technologien und
Kommunikationskanäle fallen die alten Schranken weg", betont Alexey
Grom.
Das Problem mit Engpässen bei den Grenzübergengen sei lösbar,
unterstreicht Grom: "Momentan wird das Terminal in Brest
modernisiert, wodurch seine Leistungsfähigkeit und Umschlagkapazität
verdoppelt werden. Ein neuer Transportkorridor bietet das
Kaliningrader Gebiet an, wo man über zwei Häfen die Engpässe in der
Eisenbahninfrastruktur zwischen der Spurweite 1520 und der
EU-Schienenwegen vermeiden könnte, um Container auf kurzem Seeweg zu
den größten Häfen in Europa zu liefern - nach Hamburg, Rostock und in
die skandinavischen Länder. Allein als wir nur die Idee dieser
Dienstleistung angekündigt hatten, bekamen wir sofort einige Angebote
von Short-Sea-See-Dienstleistern. Der Transportweg über die Häfen von
Kaliningrad ist somit eine gute Ergänzung zu den traditionelle
Eisenbahnlandrouten. Er bietet zusätzliche Vorteile für die Schaffung
eines ''schnellen Korridors'' zwischen China und der Europäischen
Union", so Grom.
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Datum: 08.10.2019 - 11:52 Uhr
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