Leopold Museum widmet Richard Gerstl - dem erstenösterreichischen Expressionisten - eine umfassende Ausstellung
(ots) - Gerstls Werke treten in einen Dialog mit Exponaten der klassischen
Moderne, der internationalen Kunst nach 1945 und der österreichischen
Gegenwartskunst
Noch vor Oskar Kokoschka und Egon Schiele schuf Richard Gerstl ein
eigenständiges expressives Oeuvre voller stilistischer Neuerungen, die den
Konventionen der damaligen Zeit radikal widersprachen. 25 Jahre nach der letzten
monografischen Präsentation in Österreich erforschen die Kuratoren der
Ausstellung, Hans-Peter Wipplinger und Diethard Leopold, künstlerisch-kulturelle
Kontexte und präsentieren erstmals mittels Gegenüberstellungen die intensive
Auseinandersetzung Gerstls mit der internationalen modernen Malerei seiner Zeit.
Die Prägung des Oeuvres, nicht zuletzt durch seine Begeisterung für Musik,
Literatur und Psychologie, sowie der Einfluss seines Werks auf nachfolgende
Künstlergenerationen werden überdies thematisiert. Die Auswahl der gezeigten
zeitgenössischen Arbeiten bezieht sich nicht nur auf die gestische, sich zur
Abstraktion hin öffnende Malerei des von KennerInnen geschätzten, aber immer
noch zu wenig bekannten Malers der Wiener Moderne, sondern auch auf die
Kompromisslosigkeit seiner künstlerischen Haltung. Die Ausstellung entstand in
Kooperation mit dem Kunsthaus Zug, welches die zweitgrößte Gerstl-Sammlung im
Bestand hat.
Schleier des Ungewissen über Gerstls Leben und Werk
Aufgrund fehlender Fakten sind Leben und Werk Gerstls durchsetzt mit Geschichten
und Legenden. Immer wieder stieß sich der 1883 in Wien geborene, in seiner
Persönlichkeitsstruktur komplexe Künstler im Laufe seiner Biografie an
Autoritäten, fand sich schwer im Kreis seiner Malerkollegen zurecht oder
überwarf sich mit Lehrern und Ausstellungsmachern.
"Erfahrene Zurückweisung und Unverständnis in der bildenden Kunst ließ ihn eine
Heimat in einer anderen künstlerischen Disziplin finden: im musikalischen Umfeld
des Arnold Schönberg-Kreises. Insbesondere mit Schönberg verband ihn eine
Seelenverwandtschaft - gemeinsame musikalische und malerische Interessen
bestärkten die konsequente ästhetische Haltung beider Künstler und forcierten
ihren Experimentierwillen. Hier Schönberg, der drauf und dran war, den Abschied
von der Tonalität einzuleiten und damit den Ordnungsverlust von Harmonie in Kauf
zu nehmen, dort Gerstl, der die Umwertung tradierter Werte im malerischen
Bereich initiierte und in Österreich als Erster den Schritt in den
Expressionismus wagte."
Hans-Peter Wipplinger
"Der jeweilige und fast gleichzeitige Schritt beider Künstler über die Schwelle
des Herkömmlichen im Juli 1908 ist zwar erstaunlich. Aber es darf nicht
vergessen werden, dass der Schritt ins Neue auf beiden Seiten durch jahrelanges
Nachdenken und Modifizieren des jeweiligen künstlerischen Mediums vorbereitet
und entwickelt wurde. Der Wahrheit des kreativen Prozesses am nächsten kommt
wohl die Ansicht, dass sich beide Künstler gegenseitig zur Freiheit motiviert
hatten und dass sie ineinander das fanden, was für schöpferische Arbeit so
wichtig, ja fast unentbehrlich ist: Verständnis und Anerkennung."
Diethard Leopold
Auf der Höhe seines malerischen Könnens fand Gerstls Leben ein plötzliches Ende.
Auslöser war eine unglückliche Liebesaffäre mit Mathilde, der Frau Arnold
Schönbergs. Nachdem das Liebespaar ertappt wurde kam es zur vorübergehenden
Trennung der Schönbergs, nach der Mathilde jedoch zu ihrem Ehemann zurückkehrte.
Die Zurückweisung durch die Geliebte, der folgende Ausschluss aus dem
Schönberg-Kreis und die fehlenden Präsentationen seines Werks trieben den
psychisch labilen Künstler am 4. November 1908 in den Selbstmord.
Wiederentdeckung nach mehr als zwei Jahrzehnten
Gerstls Schaffen wurde zu Lebzeiten kaum verstanden, nach seinem Tod eingelagert
und erst lange Zeit danach wiederentdeckt: Mehr als zwei Jahrzehnte später
zeigte sein Bruder Alois dem Kunsthistoriker und Galeristen Otto Nirenstein
(Kallir) das Oeuvre, worauf sich der Kunstkenner intensiv für dessen
Bekanntmachung einsetzte. Um 1960 nahm zudem der Kunsthistoriker Otto Breicha
seine intensiven Forschungen zu Gerstl auf. Breicha gilt als einer der ersten
Gerstl-Spezalisten und hatte eine beratende Funktion in der in Wien ansässigen
Galerie Würthle inne. An diese verkaufte Otto Kallir, der anlässlich des
Ausbruchs des Zweiten Weltkrieges nach New York emigriert war, in den
1950er-Jahren 18 Werke Gerstls, da der Transport in die USA zu riskant gewesen
wäre. Die Galerie befand sich im Eigentum des in Zug wohnhaften Ehepaars Fritz
und Editha Kamm und stand unter der künstlerischen Leitung von Fritz Wotruba,
die wesentlich an der Vermittlung von Gerstls Oeuvre beteiligt waren. Die
Familien Kamm und Leopold standen von den frühen 1970er- bis in die 1990er-Jahre
in regem Austausch. Schließlich war es der Sammler Rudolf Leopold, der in
Qualität und Umfang die weltweit bedeutendste Gerstl-Sammlung zusammentrug und
durch die Gründung des Leopold Museum der Öffentlichkeit zugänglich machte.
Ergänzt durch neue Dauerleihgaben, umfasst der Bestand nun 19 Werke.
Kurze Schaffensphase voller Brüche und Umschwünge
Zahlreiche Widersprüche lassen sich in Richard Gerstls Oeuvre festmachen: So
sind die deskriptiv-realistischen Tendenzen seiner pointillistischen Phase
vermutlich beeinflusst von der Impressionisten-Schau 1903 in der Secession. Im
Jahr darauf mag er ebendort die Werke von Munch und Hodler für sich entdeckt
haben, was symbolistische Elemente in seiner Malerei vermuten lassen. Die Van
Gogh Präsentation von 1906 in der Galerie Miethke könnte zur
impulsiv-dynamisierenden Flecken- und Strichmalerei seiner zur Abstraktion
hinstrebenden Werke ab 1907 geführt haben.
"Sein Werk erstreckt sich über rund sechs Jahre und ist geprägt von schnell
durchlaufenen, gegensätzlichen Entwicklungsphasen und stilistischen Umschwüngen,
die sich durch Vor- und Rückgriffe auszeichnen. Das Aneignen von Vorbildern, was
ihn immer wieder auch zur Revision seines Umgangs mit Farbe und Form zwang,
sowie das Konterkarieren stilistischer Anregungen schienen seinen ästhetischen
Weg zu bestimmen. Betrachtet man sein Schaffen im Kontext von Wien um 1900, in
dem die Idee des Gesamtkunstwerks - eingebettet im hyperästhetisierten und
überkultivierten Jugendstil - omnipräsent war, wird seine progressive
künstlerische Haltung als Pionier des Expressionismus offensichtlich. Kein
Wunder also, dass dieser ungestüm-widerständige, zugleich mit Talent,
Intelligenz und seismografischem Gespür ausgestattete Mensch und Maler im
damaligen Wiener Umfeld nicht reüssieren konnte."
Hans-Peter Wipplinger
Gegenüberstellungen im Leopold Museum
Heute ist Gerstl in Wien kein Unbekannter mehr, sondern zählt neben Oskar
Kokoschka und Egon Schiele zum Dreigestirn des österreichischen Expressionismus.
Der Künstler hat sich als zentrale Säule der Avantgarde in die Kunstgeschichte
eingeschrieben - er hat herausragende Gemälde hinterlassen, die auch den
internationalen Vergleich nicht scheuen müssen und Inspiration sind für
Gegenwarts-KünstlerInnen wie etwa Martha Jungwirth, Georg Baselitz oder Günter
Brus. Im Leopold Museum treten rund 50 Gemälde und Zeichnungen Gerstls - bei
einem gesicherten Oeuvre von rund 70 Werken - in einen Dialog mit Exponaten der
klassischen Moderne (u. a. von Vincent van Gogh, Edvard Munch, Pierre Bonnard
oder Lovis Corinth), der internationalen Kunst nach 1945 (u.a. von Willem de
Kooning, Francis Bacon oder Eugène Leroy) und der österreichischen
Gegenwartskunst (u.a. von Arnulf Rainer, Günter Brus, Herbert Brandl oder Martha
Jungwirth). Diese Gegenüberstellungen ermöglichen neue Sichtweisen und
Deutungsmuster der Kunst von Richard Gerstl. Insgesamt sind 205 Exponate zu
sehen, darunter Gemälde, Arbeiten auf Papier, Fotografien, Skulpturen sowie ein
Filmbeitrag. Ein Ausstellungssaal ist anhand von zahlreichen Archivalien der
Aufarbeitung von Leben und Werk des Künstlers gewidmet.
Kooperation mit Kunsthaus Zug - Integration des Breicha-Archivs - Ausblick
Der Kernbestand der Präsentationen in Wien und Zug ist weitgehend ident, wobei
das Leopold Museum jene Inspirationen akzentuiert, welche die frühe Moderne auf
Gerstl ausübte, während das Kunsthaus Zug die künstlerische Rezeption durch
Wiener Informel und Aktionismus betont. So bieten beide Museen - jene Häuser, in
deren Sammlungen sich die umfangreichsten Bestände von Werken Gerstls befinden -
ergänzende Einblicke. Auch künftig haben es sich beide Institutionen zum Ziel
gemacht, das Oeuvre Gerstls zu erforschen und zu vermitteln. Im Leopold Museum
wird zu diesem Zweck ein eigenes Archiv eingerichtet; Basis dieses Zentrums sind
die umfassenden Archivbestände des Gerstl-Forschers Otto Breicha, die dem
Leopold Museum dank der Initiative der Familie Breicha zur Verfügung gestellt
wurden.
Publikation
Begleitend zur Ausstellung ist ein Katalog mit Beiträgen von Kamila Gora,
Matthias Haldemann, Jane Kallir, Leonora Kugler, Diethard Leopold, Rainer
Metzger, Dominik Papst und Hans-Peter Wipplinger erschienen. Das Spektrum der
Essays reicht von Grundlagen zur Künstlerbiografie, zur Werkchronologie, zu
Provenienzen und zum Malprozess über Fragen des bildnerischen Konzepts, des
kulturellen Kontexts und der künstlerischen Rezeption bis zu den eng verknüpften
Sammlungsgeschichten von Rudolf Leopold und Fritz Kamm.
Feierliche Eröffnung der Ausstellung
Der Einladung zur Eröffnung, die feierlich von Direktor und Kurator Hans-Peter
Wipplinger und Kurator Diethard Leopold in Anwesenheit der kaufmännischen
Direktorin Gabriele Langer begangen wurde, folgten rund 1000 BesucherInnen,
darunter Elisabeth Leopold, Josef Ostermayer, Jane Kallir, Agnes Husslein-Arco,
Waltraud Leopold, Leonora Kugler (Kunsthaus Zug), Georg und Eveline Pölzl, Ewald
Novotny, Peter Umundum, Sergio Barbanti, Philipp Breicha, Ernst und Brigitte
Ploil, Richard Grubman und Sylvia Kovacek, Günther und Helga Fischer, Regina
Ploner, Bernhard Heinz, Gerhard Rühm und Monika Lichtenfeld, Martha Jungwirth,
Rudolf Goessl, Theo Altenberg, Therese Schulmeister, Walter Vopava, Markus
Huemer, Alois Mosbacher, Eva Schlegel, Stella Rollig und Peter Hauenschild,
Herwig Kempinger, Christian Bauer, Sandra Tretter und Peter Weinhäupl, Verena
Traeger, Therese Muxeneder, Ebi Kohlbacher und Lui Wienerroither, Sylvia
Steinek, Julius Hummel, Florian Kolhammer, Werner Gradisch, Michael Haas, Maxi
Blaha, Sona MacDonald, Helene von Damm, Hans Raumauf, Ingrid Turkovic-Wendl,
Gustav und Brigitte Huber, Uwe Schögl, Ursula Storch, Rainer Metzger und Daniela
Gregori, Hubert Klocker, Patrick Werkner und Thomas Zaunschirm.
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Kontakt:
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Mag. Klaus Pokorny und Veronika Werkner, BA
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presse(at)leopoldmuseum.org
www.leopoldmuseum.org
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Datum: 27.09.2019 - 11:51 Uhr
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