Nazi-Verbrechen: Noch 29 Verfahren gegen mutmaßliche NS-Täter.
Anklagen werden wegen hohen Alters immer unwahrscheinlicher
(ots) - In Deutschland laufen noch 29 Strafverfahren gegen
mutmaßliche Nazi-Verbrecher. Das haben Recherchen des NDR
Politikmagazins Panorama 3 ergeben. Vor allem ehemalige Wachleute in
Konzentrationslagern sind in den Fokus der Ermittlungen geraten. Die
Angehörigen der Wachmannschaften sollen als Teil der Mordmaschinerie
das systematische Töten von Menschen ermöglicht haben. Gegen einen
KZ-Aufseher beginnt im Oktober der Prozess in Hamburg. Es könnte
einer der letzten sein. Denn wegen des hohen Alters der Beschuldigten
werden weitere Prozesse immer unwahrscheinlicher.
Die 29 Strafverfahren laufen bei Staatsanwaltschaften über ganz
Deutschland verteilt, wie eine Umfrage des NDR Magazins Panorama 3
unter allen deutschen Strafverfolgungsbehörden ergeben hat. Insgesamt
richten sich die Ermittlungen gegen rund 50 namentlich bekannte
Beschuldigte, darunter sind auch Frauen. In einigen Fällen ist
unklar, ob die Tatverdächtigen noch leben. Den Beschuldigten wird
Mord oder Beihilfe zum Mord, teilweise in tausenden Fällen,
vorgeworfen. Gegen weitere Verdächtige laufen sogenannte
Vorermittlungen - hier wird noch geprüft, ob ein Anfangsverdacht
vorliegt.
Zwei der Verfahren führten zu Anklagen gegen Wachleute aus dem
Konzentrationslager Stutthof bei Danzig. Sie sollen durch ihren
Dienst das Morden ermöglicht haben. Am Landgericht Hamburg beginnt
nun Mitte Oktober der Prozess gegen den 93 Jahre alten Bruno D. Ihm
wirft die Staatsanwaltschaft Hamburg Beihilfe zum Mord in 5230 Fällen
im KZ Stutthof vor. Gegenüber Panorama 3 wollte Bruno D. sich nicht
äußern. In dem zweiten Fall gegen einen 94-Jährigen am Landgericht
Wuppertal ist noch offen, ob es einen Prozess geben wird. Wie ein
Gerichtssprecher auf Anfrage des NDR mitteilte, war es "wegen der
anhaltend hohen Belastung der Kammer mit vorrangig zu bearbeitenden
Haftsachen" noch nicht möglich, über eine Übernahme des Verfahrens zu
entscheiden.
Die meisten der 29 Strafverfahren gegen mutmaßliche Mordhelfer in
der NS-Zeit laufen bei den Staatsanwaltschaften in Neuruppin und
Erfurt. Die Strafverfolger im brandenburgischen Neuruppin sind für
Taten in den Konzentrationslagern Sachsenhausen und Ravensbrück
zuständig. Zwölf Verfahren gegen KZ-Aufseherinnen und -Aufseher sind
hier anhängig. In die Zuständigkeit der Erfurter Ermittler fällt das
KZ Buchenwald, gegen sechs mutmaßliche Angehörige der dortigen
Wachmannschaften wird noch ermittelt. Einzelne Verfahren gegen
mutmaßliche NS-Täter sind noch in Nordrhein-Westfalen, Hessen und
Bayern anhängig. Bei einigen Verfahren geht es um Massaker von
SS-Einheiten in Frankreich und durch Mitglieder von
"Sicherheitspolizei" und "Sicherheitsdienst" in der heutigen Ukraine.
In Schleswig-Holstein laufen in Itzehoe und Lübeck Strafverfahren
gegen zwei Frauen, die im KZ Stutthof tätig gewesen sein sollen. In
Hamburg wird noch gegen eine jetzt 97-jährige ehemalige Aufseherin in
dem KZ Bergen-Belsen, ermittelt, da sie 1945 an einem Todesmarsch von
KZ-Häftlingen beteiligt gewesen sein soll, bei dem 1400 Frauen ums
Leben kamen.
Die meisten Verfahren gegen mutmaßliche NS-Verbrecher gehen auf
Vorermittlungen bei der Zentralen Stelle zur Aufklärung von
NS-Verbrechen in Ludwigsburg bei Stuttgart zurück. Hier versuchen die
Ermittler herauszufinden, welche mutmaßlichen Täter noch leben und
inwiefern diese für ihre Taten noch belangt werden können. Derzeit
stehen noch vier Konzentrationslager im Fokus der Ludwigsburger
Ermittler. Da die Zentrale Stelle selbst keine Ermittlungsmaßnahmen
durchführen darf, gibt die Behörde die Verfahren nach den
Vorermittlungen an die zuständigen Staatsanwaltschaften in ganz
Deutschland ab. Für den Leiter der Zentralen Stelle Jens Rommel ist
auch über 74 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs die
Strafverfolgung von mutmaßlichen Tätern noch wichtig. Die heutige
Aufklärung von NS-Verbrechen könne dazu beitragen, "festzustellen,
was geschehen ist, und die persönliche Verantwortung des Einzelnen in
dem verbrecherischen System zu bestimmen", sagt Rommel im NDR
Interview. So könnten die Geschehnisse "auch heute noch als Unrecht"
bewertet werden. Auch für die vielen Opfer des NS-Regimes seien diese
Verfahren von großer Bedeutung.
Mehr zu dem Prozess gegen ehemaligen SS-Wachmann Bruno D. in
Hamburg bei Panorama 3, Dienstag, 24.09.2019, 21.15 Uhr im NDR
Fernsehen.
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