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"Die Lügenpresse-Hybris ebbt ab"

ID: 1754621


(ots) - Bei der Grosso-Jahrestagung des Gesamtverbands
Pressegroßhandel in Wiesbaden sprachen Chefredakteure und
Top-Journalisten darüber, wie sie das Vertrauen der Leser gewonnen
oder zurückgewonnen haben.

Das Verhältnis zwischen Medien und ihren Lesern oder Zuschauern
hat sich wieder verbessert. Und es gibt auf Seiten der Medien viele
Ideen und Initiativen, es weiter zu verbessern. Das ist die
Quintessenz einer hochkarätig besetzten Runde aus Chefredakteuren und
führenden Journalisten, die am 17. September bei der
Grosso-Jahrestagung in Wiesbaden über "Agenda-Setting im Zeitalter
von Algorithmen und Influencern" diskutierten. Moderiert wurde die
Diskussion vom Journalisten und Fernsehmoderator Claus Strunz.

Stern-Chefredakteur Florian Gless kritisierte, dass insbesondere
Politikjournalisten die Neigung hätten, für andere Journalisten und
nicht für ihre Leser zu schreiben. Er verlange von seinen Redakteuren
hingegen, ihre Themen im Leben zu suchen, statt sich bei der Suche
danach an anderen Medien zu orientieren. Als positives Beispiel
nannte er die Titelgeschichte "Rettet die Medizin!" seines Magazins,
die sich gegen "das Diktat der Ökonomie an unseren Krankenhäusern"
ausspricht. Eine Vertrauenskrise habe es im Verhältnis zwischen
Medien und Öffentlichkeit aber ohnehin nicht gegeben, so der
Stern-Chefredakteur, allenfalls ein "gestörtes Verhältnis".

"Die Leute reagieren allergisch, wenn sie den Eindruck haben, sie
werden gebrainwashed", sagte Jörg Quoos, Chefredakteur der Funke
Zentralredaktion. "Sie wollen nicht irgendwohin gelenkt werden." Er
gestand Fehler in der Berichterstattung deutscher Medien ein, wies
aber die These zurück, sie seien zu regierungsnah. Quoos riet
Medienmachern dazu, sich auf die Aufgabe des Agenda-Settings zu
konzentrieren, statt nur auf digitale Tools zur Nutzeranalyse zu




setzen. "Wir machen uns viele Gedanken über ideale Ausspielkanäle für
unsere Inhalte, aber manchmal haben wir gar keine große Geschichte
dafür", sagte der Chefredakteur. Print bleibe dafür ein "relevanter
Markt": "Ich glaube nicht an Digital als einzigen Heilsbringer."

Transparenz sei im Verhältnis zu kritischen Lesern das
"Zauberwort", sagte Carsten Knop, Chefredakteur digitale Produkte der
Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ). Daher erkläre seine Zeitung
zum Beispiel im Netz detailliert, wie sie arbeite und sich
finanziere. Knop lobte das Herausgebersystem der FAZ, weil es dazu
führe, dass die Leser ein weites Spektrum zum Teil divergierender
Auffassungen in ihren verschiedenen Ressorts fänden. Auch die
Einführung kostenpflichtiger Inhalte im Internet mache den
Journalismus besser, weil die Leser nur durch hochwertige Beiträge
zum Bezahlen animiert werden könnten: "Clickbaiting ist out", sagte
Knop. "Sobald Sie eine Bezahlschranke haben, wird die Qualität
besser."

Franca Lehfeldt, Politikreporterin im RTL- und
n-tv-Hauptstadtstudio, berichtete von ihren Anstrengungen, über
Politik nahbar und jenseits festgefahrener Anlässe zu berichten. "Ich
überlege bei jedem Beitrag, wo er die Lebenswelt der Zuschauer
trifft, insbesondere die der Jüngeren", sagte die TV-Journalistin. So
führte sie etwa ein Interview mit der CDU-Vorsitzenden Annegret
Kramp-Karrenbauer in deren Lieblingscafé.

"Die Lügenpresse-Hybris ebbt ab", analysierte der
Medienunternehmer und Journalist Oliver Wurm. Das Vertrauen in
Tageszeitungen und den öffentlich-rechtlichen Rundfunk sei nach wie
vor groß. Wurm riet seinen Kollegen, nicht jeden medienkritischen
Tweet ernst zu nehmen. "Vielleicht hat ihn jemand abgesetzt, der
frustriert im Stau steht." Er selbst twittere weniger und nehme sich
mehr Zeit für jeden einzelnen Tweet, um keine Falschmeldungen zu
verbreiten.

Wurm gab den Teilnehmern der Grosso-Jahrestagung in Wiesbaden auch
Einblicke in die Entstehungs- und Erfolgsgeschichte eines Projekts,
das die fortbestehende Kraft von Print zeigt. Ihm gelang es, einen
frei zugänglichen, kostenlosen Text als Zeitschrift zum Preis von
zehn Euro mehr als hunderttausend Mal zu verkaufen: Er hat die
bundesdeutsche Verfassung in einer optisch wuchtigen und modern
layouteten Form als Das Grundgesetz als Magazin an den Kiosk
gebracht. "Das ist auch Ihr Erfolg", sagte er in Wiesbaden an die
Adresse der Grossisten und Marktpartner. Wurm riet seinen Zuhörern,
sich von Rückschlägen und Hindernissen nicht ermutigen zu lassen:
"Auf die Schnauze fallen, ist auch eine Vorwärtsbewegung."

Der Medienmacher will sein Grundgesetz-Magazin jetzt "vom
Bestseller zum Dauerseller" machen. So plant er, es mir Hilfe
regionaler Tageszeitungsverlage gezielt in bestimmten Gebieten zu
verbreiten. "Wir werden neue Impulse setzen", versprach er.

Die Kunst- und Architekturschule Bauhaus feiert 2019 ihren 100.
Geburtstag. Patrick Rössler, Professor für Kommunikationswissenschaft
an der Universität Erfurt, zeigte in Wiesbaden, welchen Einfluss sie
auch auf Zeitschriften hatte: Ihre Neue Typographie hat das
Grafikdesign geprägt, und einige Vertreter wurden zu wegweisenden
Gestaltern von Illustrierten, etwa in den 1920er-Jahren bei der
ersten deutschen Ausgabe der Modezeitschrift Vogue.

Print und Genuss passen gut zusammen: Das veranschaulichte bei der
Grosso-Jahrestagung der Wiesbadener Verleger und Weinkenner Ralf
Frenzel, der unter anderem Kochbücher und Weinmagazine herausgibt. Er
forderte die Verleger von Zeitungen und Zeitschriften dazu auf, sich
nicht vor anderen Mediengattungen zu verstecken: "Die Schlacht mit TV
ist noch nicht geschlagen." Er selbst habe gerade eine
Unternehmensgruppe davon überzeugt, ihr Werbebudget vom Fernsehen zu
seinen Medien zu verlagern.

Veranstalter der Grosso-Jahrestagung am 17. und 18. September ist
der erst im Mai durch den Zusammenschluss von Grosso-Unternehmen mit
und ohne Verlagsbeteiligung gegründete Gesamtverband
Pressegroßhandel. Die Veranstaltung findet erstmals im RheinMain
CongressCenter (RMCC) in Wiesbaden statt.



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Bundesverband Presse-Grosso e.V.
Händelstraße 25-29
50674 Köln
Telefon: 0221/921337-0
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Datum: 18.09.2019 - 16:45 Uhr
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