Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zur WM 2006
(ots) - Deutschland ist in vielerlei Hinsicht ein sehr
spezielles Land. Manche von uns glauben, dass sie die Welt retten
könnten, wenn sie auf Flugreisen und Autofahrten verzichten. Andere
sind überzeugt, dass der Mensch ein böses Wesen sei, das nur mit
staatlichen Verboten unter Kontrolle gehalten werden kann. Auf
vereinzelte Zeitgenossen mag das sogar zutreffen. Deutsche sind
ziemlich gut darin, sich selbst zu quälen oder sich selbst zu
schaden. Warum sonst kommen die Sieger der vergangenen fünf
Ironman-Triathlons auf Hawaii aus Deutschland? Warum sonst lassen nur
wir zu, dass unsere Schlüsselindustrie vor lauter Klimahysterie
sturmreif geschossen wird? Nun also auch noch das Sommermärchen. Die
Fußball-WM 2006 soll zu einer korrupten Veranstaltung abgeurteilt
werden, die - nach moralischen Gesichtspunkten - nie in Deutschland
hätte stattfinden dürfen, weil die Macher mutmaßlich irgendeinen
Schmu gemacht haben. Wie naiv muss man sein? Wie kann man ernsthaft
davon ausgehen, dass ein milliardenschweres Weltereignis wie die
Fußball-WM einfach so an das Land vergeben wird, das die beste
Bewerbung abgibt und alle Voraussetzungen erfüllt? Deutschland hat
das Turnier nicht nur bekommen, weil die Stadien modern sind und die
Organisation klappt. Der Deutsche Fußballbund (DFB) hat auf allen
Kontinenten - ergo: bei allen Kontinentalverbänden - intensive
Lobbyarbeit betrieben, um die WM 2006 nach Deutschland zu holen.
Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) war sich, noch frisch im Amt,
nicht zu schade, mit Franz Beckenbauer und Wolfgang Niersbach um die
Welt zu fliegen und sich 1999 in Berlin mit dem Emir von Katar zu
treffen. Damit Fifa-Boss Joseph Blatter am 6. Juli 2000 sagen
konnte: »The winner is Deutschland.« Natürlich hatte Schröder ein
beachtliches Eigeninteresse: Wäre seine zweite Amtszeit normal
verlaufen, hätte er die WM im eigenen Land als Kanzler erlebt - und
wäre nach dem Sommermärchen bei einer regulären Bundestagswahl Ende
September vermutlich als solcher wiedergewählt worden. Aber es sollte
anders kommen. Vor 13 Jahren hat die WM 2006 ein anderes,
freundlicheres Land aus Deutschland gemacht, nach innen wie nach
außen. Die Anklage gegen die vier ehemaligen Funktionäre steht nicht
ohne Grund im Verdacht, diese für viele Menschen schöne Erinnerung
nachträglich zu besudeln. Und wie es sich in Deutschland gehört:
wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung. Zu befürchten ist,
ähnlich wie bei den Ermittlungen gegen den ehemaligen
Bundespräsidenten Christian Wulff, vor allem eines: ein Schauprozess,
an dessen Ende nichts bleibt. Bis auf die beschädigten Personen.
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Datum: 26.08.2019 - 21:30 Uhr
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