A winning team: Ergotherapie und Schlaganfall
(ots) - Die DSG, Deutsche Schlaganfallgesellschaft,
bescheinigt Deutschland eine qualitativ hochwertige Versorgung von
Patienten mit einem Schlaganfall, was unter anderem den
deutschlandweit angesiedelten Stroke Units zuzuschreiben ist. Zu den
interdisziplinär aufgestellten Teams dieser Spezialeinheiten gehören
Ergotherapeuten, die vom ersten Moment an dabei sind und ebenso bei
der Nachsorge eine wichtige Rolle spielen. "Die Nachsorge ist bei
einem Schlaganfall entscheidend dafür, wie gut Betroffene in ihrem
Alltag und mit ihrem Leben zurechtkommen", betont Tanja Benecke,
Ergotherapeutin im DVE (Deutscher Verband der Ergotherapeuten e. V.).
Sie legt dar, wodurch sich die ergotherapeutische Herangehensweise
bei einem Neglect, der nach einem Schlaganfall auftreten kann,
auszeichnet.
Die Auswirkungen nach einem Schlaganfall sind unterschiedlich und
hängen unter anderem davon ab, in welchem Teil des Gehirns sich der
Vorfall ereignet. Eine für alle - Betroffene, Angehörige und
Behandelnde - besonders herausfordernde mögliche Folge eines
Schlaganfalls ist der Neglect. Trotz funktionierender Sinnesorgane
und Nervenbahnen ist das Gehirn nicht in der Lage, die Signale, die
von der betroffenen Körperseite kommen, zu verarbeiten. Menschen mit
durch Schlaganfall ausgelöstem Neglect nehmen diese Hälfte ihres
Körpers nicht mehr wahr. "Die Orientierung am eigenen Körper ist
einfach weg; ebenso die Orientierung im Raum", schildert die
Ergotherapeutin Tanja Benecke einen Zustand, den sich Außenstehende
kaum vorstellen können. Die Krux: Menschen mit Neglect realisieren
dies in den wenigsten Fällen selbst. Sie verstehen nicht, was die
Außenwelt von ihnen will, warum Angehörige oder Behandelnde sie
ständig korrigieren. Gleichzeitig wundern sie sich, warum sie
beispielsweise immer wieder einseitig Gegenstände und Möbel rempeln
oder beim Sitzen auf eine Seite kippen.
Neglect: Empathisches Vorgehen wichtig
Die mit dem Neglect einhergehende fehlende Krankheitseinsicht
macht für Ergotherapeuten wie Tanja Benecke eine besonders
einfühlsame Herangehensweise nötig. Als erstes ist es ihr wichtig,
das Vertrauen dieser verunsicherten Patienten zu gewinnen. "Es ist
nachvollziehbar, dass ihnen ihre Situation Angst macht. Das erzeugt
oft Widerstand", weiß die Ergotherapeutin und betont im selben
Atemzug, dass sie und ihre Berufskollegen gerade bei Patienten mit
Neglect besonders empathisch sind - auch, um solche inneren
Widerstände zu lösen. Sie spüren, wenn Menschen mit Schlaganfall bei
ihnen ''angedockt'' haben, achten dazu auf deren Körpersprache und
Körperspannung. Sie merken, wenn sich diejenigen mit einem Neglect zu
öffnen beginnen. Und gehen dann Schritt für Schritt behutsam in ihrer
Intervention voran. Um die Wahrnehmung der betroffenen Körperhälfte
quasi wieder in Gang zu setzen, wenden Ergotherapeuten Methoden wie
beispielsweise Affolter, Bobath oder Perfetti an. Durch sensorischen
Input wie festes Berühren oder Drücken der betroffenen Extremitäten
bahnen sie etwa mithilfe der von Dr. Affolter entwickelten Systematik
im Gehirn der Patienten mit Schlaganfall wieder die Fähigkeit an,
Signale dieser Körperhälfte zu verarbeiten.
Ergotherapeutisches Vorgehen: Umwelt und Umfeld berücksichtigen
Um parallel das Geschehen immer mehr in die betroffene Raumhälfte
zu lenken, gestalten Ergotherapeuten ab einem bestimmten Punkt des
Prozesses die Umgebung entsprechend um. Dazu rücken sie Gegenstände,
von denen ein Patient mit einem Neglect weiß, dass sie da sind wie
beispielsweise das Trinkglas, auf die Seite, die derjenige im Moment
nicht wahrnimmt. Und leiten ihn zum Erforschen dieser Seite an. Oder
besprechen mit den Angehörigen, wie sie sich behutsam von der
betroffenen Seite nähern. Was macht das mit dem Menschen mit Neglect?
"Es ist ein Lernprozess", erklärt Tanja Benecke. "Die Betroffenen
stellen in diesem Zusammenhang etwa fest: Oh, da taucht ja meine Frau
auf. Oder: Wenn ich mich umdrehe, ist plötzlich der Nachttisch da."
Diese sukzessiv herbeigeführten Erkenntnisse stoßen das Lernen im
Gehirn an. Man spricht hier von Neuroplastizität: Das Gehirn ist
imstande, neue Strukturen zu bilden, neu zu lernen, sich zu
reorganisieren und aufzubauen. Mit dem Wissen um solche
hirnorganischen Prozesse erweitern und fördern Ergotherapeuten durch
ihre speziellen Vorgehensweisen bei ihren Patienten mit Neglect die
Möglichkeiten auf der physischen und in der Folge auf der psychischen
Ebene.
Ergotherapeuten sorgen für Aha-Effekte, nutzen Hintertürchen
Gerade beim Neglect ist es wichtig, die Patienten konsequent in
für sie zunehmend sicheres Terrain zu führen, ihnen immer wieder zu
vermitteln, dass ihre Fähigkeiten trotz des Schlaganfalls vorhanden
sind, jedoch wiederbelebt werden möchten. "Das funktioniert manchmal
auch über Hintertürchen", schmunzelt die Ergotherapeutin Benecke und
erklärt anhand eines Beispiels wie sie das angeht. Sie berichtet von
einem jüngeren Mann, von dem sie durch die Zusammenarbeit mit den
Angehörigen wusste, dass er für sein Leben gerne Tischfußball spielt.
Bislang hatte er im Krankenhausalltag seit dem Schlaganfall etwa beim
Essen ausschließlich die gesunde Hand eingesetzt. Dass er am Kicker
stehend plötzlich mit beiden Händen die Griffstangen umfasste, ist
kein Wunder, sondern ebenfalls den Fähigkeiten des menschlichen
Gehirns zu verdanken. Dazu die Expertin: "Wenn ich einem Menschen mit
Neglect ein Angebot mache, das ihn reizt und lockt, kann er das
nötige Können sozusagen aus einer anderen Region des Gehirns
abrufen.". Erlebt ein Schlaganfallpatient einen solchen Erfolg,
spornt ihn das an, sich auch andere Dinge wieder zu erobern. Auch das
für den Alltag nötige Können wie Zähne putzen, Brötchen schmieren und
so weiter.
Gefühle und Angehörige beeinflussen Heilungsprozess bei
Schlaganfall
Ein weiterer, für den Genesungsprozess bei Neglect wichtiger
Aspekt, sind die Gefühle der Betroffenen. Und die werden nicht selten
unbewusst von den Angehörigen, oftmals dem Partner, ausgelöst. In
bester Absicht zu helfen, nehmen sie dem Ehemann wegen seines
Schlaganfalls zu viel ab, schmieren das Brot, weil es ja schneller
geht und das Resultat ästhetischer aussieht. Oder setzen die Ehefrau
mit Neglect lieber in den Rollstuhl, damit der Einkauf
unkomplizierter zu erledigen ist als an Gehhilfen. Manchmal wollen
die Versorger auch die Versorgerrolle nicht mehr abgeben oder die
Betroffenen wollen nach dem Schlaganfall lieber versorgt werden, als
sich selbst anzustrengen. Die Ausprägungen sind vielfältig und
individuell so unterschiedlich wie die Menschen selbst.
Ergotherapeuten fragen daher immer wieder wie es läuft - auch
innerhalb der Familie und mit dem Partner. Gesprächsführung ist
Bestandteil ihrer Ausbildung und so finden sie meist recht schnell
heraus, wenn nicht verarbeitete Gefühle wie Wut oder Trauer den
Genesungsprozess blockieren. Sie arbeiten mit demjenigen, der durch
einen Schlaganfall lernen muss, mit seiner neuen Situation
zurechtzukommen auch daran, wie er seine Gefühle zu- und loslassen
kann.
Informationsmaterial zu vielen Themen der Ergotherapie gibt es bei
den Ergotherapeuten des DVE (Deutscher Verband der Ergotherapeuten
e.V.); Ergotherapeuten in Wohnortnähe auf der Homepage des Verbandes
im Navigationspunkt Service und Ergotherapeutische Praxen, Suche.
Pressekontakt:
Angelika Reinecke,
Deutscher Verband der Ergotherapeuten,
a.reinecke(at)dve.info
Original-Content von: Deutscher Verband der Ergotherapeuten e.V., übermittelt durch news aktuell
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Datum: 30.07.2019 - 10:30 Uhr
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