Vier Fünftel befürworten Seilbahnen in Städten
(ots) - In Lateinamerika gehören Seilbahnen im
Nahverkehr zur Normalität. Metropolen wie La Paz, Medellín oder
Mexiko City nutzen die Vorteile, um das Verkehrschaos einzudämmen:
Kein Stau, kaum Emissionen, wenig Lärm und vergleichsweise geringe
Kosten. In Deutschland scheitern solche Seilbahn-Pläne oftmals noch
am Nein der Bürger. Woran das liegt und wie sich die Akzeptanz für
Seilbahnen erhöhen lässt, wollte das Planungs- und
Beratungsunternehmen Drees & Sommer SE in einer aktuellen Umfrage
wissen. Derzeit arbeiten die Infrastruktur- und Mobilitätsexperten
des Unternehmens mit Hauptsitz in Stuttgart auch an
Machbarkeitsstudien für Seilbahnen in Städten wie Leonberg, aber auch
für Industrieunternehmen und deren Areale.
Für das Stimmungsbild wurden im Mai 2019 mehr als 180 Personen in
Form einer repräsentativen Stichprobe im Alter von 18 bis 80 Jahren
im Raum Stuttgart befragt. Zentrale Ergebnisse: Was deutsche
Großstädte angeht, steht mit 83 Prozent die überwiegende Mehrheit
einem Einsatz von Seilbahnen positiv gegenüber, vor allem, wenn es
sich um den Anschluss von Stadtteilen im Umland handelt. Auch viele
Vorteile sind bereits bekannt: 42 Prozent sind überzeugt, dass die
Seilbahnen den öffentlichen Nahverkehr insgesamt verbessern. Mehr als
die Hälfte hält deren Nutzung bei entsprechender Einbindung ins
Ticketsystem für unkompliziert. Fast ebenso viele glauben, dass
Seilbahnen stark beanspruchte Verkehrsstrecken entlasten und 44
Prozent sind der Überzeugung, dass ihr Einsatz CO2-Emissionen
verringert.
Von der schrägen Idee zur echten Alternative
"Wenn wir noch vor einigen Jahren Seilbahnkonzepte bei
Kommunalpolitikern vorgestellt haben, fragten die uns, ob wir
glauben, wir befänden uns gerade an der Zugspitze. Mit der immer
massiveren Verkehrsproblematik vielerorts hat sich das geändert.
Seilbahnen ersparen den Pendlern eine Menge Stauzeit, sie sind
äußerst umweltfreundlich, die Bauzeit kurz und signifikant
kostengünstiger zu realisieren als U- oder S-Bahnen. Außerdem kann
eine Seilbahn Stadtteile voranbringen, die bislang vom öffentlichen
Nahverkehr ausgeschlossen waren", sagt Claus Bürkle, Partner bei
Drees & Sommer und Infrastrukturexperte für die öffentliche Hand.
Bürkle zufolge eigne sich eine Seilbahn nicht für längere
Strecken, sondern nur für Distanzen von bis zu acht Kilometern. Mit
20 bis 25 Kilometern pro Stunde seien sie zwar nicht so flott
unterwegs, die Nutzer seien dennoch schneller am Ziel als mit dem
Auto zu Stoßzeiten.
Bürger sorgen sich um die Sicherheit und die Privatsphäre
In puncto Sicherheit der Seilbahn haben die Befragten allerdings
noch Bedenken: Darauf vertrauen nur 31 Prozent voll und ganz. Zudem
glaubt auch nur jeder Zehnte, dass die Betreiber in unvorhergesehenen
Situationen wie Unfällen oder einem Versagen der Technik souverän
reagieren. Dabei sei eine Seilbahn ein sehr sicheres Verkehrsmittel,
betont Bürkle. Bei starken Stürmen werde sie beispielsweise immer
abgeschaltet, die Unfallquoten seien äußerst gering.
Schwierigkeiten ergäben sich ihm zufolge von ganz anderer Seite,
nämlich beim Thema Überfahrtsrechte: Dass Seilbahnen auch über
Wohnhäuser hinwegschweben müssen, stößt vielfach auf Widerstand der
Eigentümer. Das spiegelt auch die Umfrage wider: 44 Prozent sehen in
der Seilbahn, die an ihren Wohnungen vorbeiführt, eine Einschränkung
ihrer Privatsphäre.
Heiliger Sankt Florian, verschon mein Haus, zünd andre an
"Das sogenannte ''Not-In-My-Backyard-Syndrom'', das wir hierzulande
das Sankt-Florian-Prinzip nennen, gilt für die meisten Verkehrs- und
Infrastrukturprojekte. Viele Menschen sind zwar von den Vorteilen
einer städtischen Seilbahnanlage überzeugt, doch niemand will, dass
sie am eigenen Wohnort direkt am Schlafzimmerfenster vorbeiführt",
führt Sebastian Beck, Senior Projektpartner und Experte für
Seilbahnen bei Drees & Sommer, aus. So weit wie möglich werde bei
Planungen die Trassenführung daher über öffentlichen Grund geführt.
Laut Umfrage ist auch die tatsächliche Höhe des Kabinenverlaufs
entscheidend: So haben drei von vier der Befragten angegeben, dass
eine Seilbahntrasse in direkter Nähe zu ihrem persönlichen Wohnumfeld
verlaufen kann, sofern diese angemessen hoch angebracht ist. Auch
"Privacy Glass", das die Scheiben während der Fahrt zeitweilig
verdunkelt, könne, so Beck, die Privatsphäre der Bewohner schützen.
Erfolgreiche City-Seilbahn in La Paz - und bald auch in Leonberg?
Ein weiteres Hindernis: Noch gibt es in Deutschland kein
Leuchtturmprojekt für eine in den Nahverkehr integrierte Seilbahn,
woran Städte und Kommunen sich orientieren könnten. Ganz anders sieht
das in Lateinamerika aus. Dort sind Seilbahnen als städtisches
Verkehrsmittel bereits Normalität, allen voran im bolivianischen La
Paz mit dem größten städtischen Seilbahnnetz der Welt. Bis zum Jahr
2020 soll noch eine weitere zu den bislang zehn Seilbahnlinien
hinzukommen, so dass deren gesamte Länge insgesamt rund 34 Kilometer
beträgt.
Derzeit führt Drees & Sommer für die im Raum Stuttgart gelegene
Stadt Leonberg eine Machbarkeitsstudie durch. Zentrale Themen der
Studie sind die Bedarfsanalyse der Stadt, die Eingliederung der
Seilbahn in den bestehenden Verkehrsverbund sowie konkrete Vorschläge
zu Linienführung, Stützen und Haltestellen. Sie umfasst zudem Themen
wie Bau- und Betriebskosten und Fördermöglichkeiten.
Für Leonberg sollen die Ergebnisse Ende des Jahres vorliegen.
"Eine Seilbahn bietet die Chance, Mobilität in Verbindung mit
Stadtgestaltung für die Bürgerinnen und Bürger neu zu denken. Wichtig
ist dabei vor allem, wie sich eine Seilbahn städtebaulich und
raumordnerisch einfügt und neue Impulse für eine integrierte
Siedlungs- und Verkehrsentwicklung setzen kann", erklärt der
Leonberger Oberbürgermeister Martin Georg Cohn.
Koblenz: Nicht ohne unsere Seilbahn
Die Erfahrung zeigt: Ist die Seilbahn erstmal Teil des
Nahverkehrs, steigt die Akzeptanz der Bevölkerung schnell an. Ein
Beispiel, wie gut eine Seilbahn in der Stadt ankommt, ist Koblenz.
Anlässlich der Bundesgartenschau 2011 entstanden, sollte die dortige
Seilbahn längst abgebaut werden. Eine Koblenzer Bürgerinitiative
hatte sich dann für ihren Verbleib eingesetzt. Drees & Sommer
begleitete den Bauherrn bei Wettbewerb und Auswahlverfahren.
Für Claus Bürkle, ist der Rückhalt der Bürger das entscheidende
Erfolgskriterium: "Obwohl im Vorfeld häufig und heftig umstritten,
wollen die Menschen dort, wo sie umgesetzt ist, ihre Seilbahn nicht
mehr missen", betont er. Damit die Seilbahn nicht bereits in den
Köpfen der betroffenen Bürger scheitert, sei ein transparenter
Prozess das A und O. "Wenn die Seilbahn auch in Deutschland Teil des
Nahverkehrs werden soll, ist es zwingend notwendig, die Bevölkerung
von Anfang an mitzunehmen. Nur wer den Dialog sucht und offensiv
kommuniziert, kann auch die Bedenken der Menschen ausräumen", fasst
Bürkle zusammen.
Redaktioneller Hinweis: Die Umfrage ist Teil der Abschlussarbeit
"Akzeptanzprobleme und Lösungsansätze im Hinblick auf den Einsatz
urbaner Seilbahnen im öffentlichen Personennahverkehr". Die Drees &
Sommer-Projektmanagerin Olivia Franz hat die Untersuchung der
Hochschule für Technik in Stuttgart im Rahmen des Studiengangs
Infrastrukturmanagement im Juli 2019 vorgelegt.
Die ausführlichen Umfrageergebnisse finden Sie hier:
http://ots.de/fDU6ia
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Datum: 29.07.2019 - 08:30 Uhr
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