stern-DISKUTHEK: Polizeigewerkschafter Rainer Wendt und Jugendrichter Andreas Müller für Herabsetzung der Strafmündigkeit in besonders schweren Fällen
(ots) - Zwölfjährige sollten künftig strafmündig sein,
sofern es sich um besonders schwere Straftaten handelt und die
Familien eine Zusammenarbeit mit den Jugendbehörden verweigern. Diese
Auffassung vertraten der Bundesvorsitzende der Deutschen
Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, und der Jugendrichter Andreas
Müller in der neuen Folge der DISKUTHEK, dem Debattenformat des stern
auf Youtube. Sie äußerten sich damit zur Diskussion um eine
Herabsetzung der Strafmündigkeit, die nach dem Aufsehen erregenden
Fall einer von fünf 14- und 12-Jährigen verübten mutmaßlichen
Gruppenvergewaltigung in Mülheim an der Ruhr aufgekommen war.
Wendt und Müller fanden in der stern-DISKUTHEK zu dem Kompromiss
nach einer intensiven Diskussion. Der Gewerkschafter hatte darin
zunächst seine Forderung nach einer generellen Herabsetzung der
Strafmündigkeit erneuert, während Müller diesen Schritt als
rechtspopulistisch verurteilte. Dem Kompromiss, in besonders schweren
Fällen auch Zwölfjährige für ihre Tat gerichtlich verantwortlich zu
machen, stimmte er während der Sendung in erster Linie zu, damit so
wiederkehrenden populistischen Forderungen nach härteren Strafen
Einhalt geboten werden könne. Die Zahl schwerer Straftaten durch
Kinder gehe seit Jahren zurück, es sei bekannt, dass eine
Verschärfung der Strafen keine Tat verhindere, sagte Müller.
Für den erfahrenen Richter ist die Erziehung von unter 14-Jährigen
"Elternrecht", da brauche der "Staat nicht ran", so Müller in der
stern-DISKUTHEK. Wendt stellte zunächst klar: "Niemand hat gefordert:
''Kinder in den Knast''." Dennoch sei es für ihn notwendig, dass der
Staat bei schweren Verbrechen - auch bei Zwölfjährigen - Stärke
zeigt. Man kriege "Kontakt mit dem Staat" und bekomme gesagt: "Das
ist eine Straftat, was du da begangen hast." Mit einem solchen
"Reifeprozess" könne man gar nicht früh genug anfangen, so der
Polizeigewerkschafter.
Müller betonte in der Diskussion immer wieder seine langjährige
Erfahrung als Jugendrichter und erklärte: "Ich habe 14-jährige
Pausbacken vor mir stehen, da weiß ich, die kriegen kaum mit, was im
Saal passiert. Und dann soll ich Zwölfjährige verurteilen?" Das
bringe nach seiner Erfahrung gar nichts. Er sieht dagegen auch die
Polizei in der Verantwortung. So wüssten zum Beispiel die wenigsten
Beamten, dass auch die Polizei Familiengerichte "direkt ins Boot
holen" könne, ohne zunächst die Jugendämter einschalten zu müssen.
Wendt, der für seine wiederholt geäußerte Forderung nach einer
Senkung der Strafmündigkeit klare Absagen vom Deutschen Richterbund
und Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) bekommen hatte,
warf sowohl Lambrecht als auch seinem DISKUTHEK-Gegenüber Müller eine
"Verhinderungsdebatte" vor. Die Diskussion folge nach Ansicht Wendts
zu oft der Maxime: "Geht nicht, wollen wir nicht, können wir nicht."
Umso überraschender die Einigkeit beider beim zweiten
DISKUTHEK-Statement, zu dem die Gäste in der Sendung Position
beziehen sollten: "Wir brauchen härtere Strafen, um die
Jugendkriminalität zu senken". Sowohl Wendt als auch Müller sprachen
sich klar gegen eine Verschärfung aus. Beide kritisierten dagegen die
Umsetzung geltender Gesetze in der Praxis. So kritisierte Wendt, dass
die bereits vorhandenen Gesetze "konsequenter angewendet" werden
müssten. Müller forderte eine Veränderung "nicht im Sinne von Härte",
sondern im "Sinne von Schnelligkeit". Daran sollte in Deutschland, so
der Jugendrichter in der stern-DISKUTHEK, schleunigst gearbeitet
werden. Grundsätzlich plädierte er dafür, "die Einzelfälle zu
betrachten", aber nicht zu suggerieren, dass "an jeder Ecke 12- und
13-Jährige stehen, die uns vergewaltigen". Das sei nicht der Fall,
selbst wenn in der Öffentlichkeit bisweilen der Eindruck entstehe, so
Müller.
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