Westdeutsche Zeitung: Zu den Schüssen auf einen Mann aus Eritrea: Der verhängnisvolle Rückzug (Leitartikel von Olaf Kupfer)
(ots) - Mit 308 000 Flüchtlingen weltweit zählt
Eritrea zu den zehn Hauptherkunftsländern von Flüchtlingen.
Ein-Parteien-System, Repression und Knechtschaft, willkürliche
Gefängnisstrafen, zeitlich unbeschränkter "Nationaldienst",
Einreiseverbote für Journalisten. Für die Organisation "Reporter ohne
Grenzen" ist das abgeschottete Land in Sachen Pressefreiheit
Tabellenletzter der Welt. Noch hinter Nordkorea. Etwa 65 300
Eritreer sind nach Europa geflüchtet. Sie leben hier. In der Hoffnung
auf Schutz und besseres Leben.
Oder aber: Sie sterben hier. Womöglich durch eine Pistolen-Kugel,
abgefeuert von einem Rassisten mit Waffenschein aus dem
Schützenverein. Dass der junge Mann aus Eritrea die unfassbare Tat in
Wächtersbach überlebt hat, ist Glück. Beabsichtigt war der Tod des
Unbekannten mit falscher Hautfarbe und Nationalität. Ein Tod, den er
in Eritrea wahrscheinlich leichter hätte haben können. Aber jetzt
musste er den Preis dafür zahlen, dass unsere Gesellschaft die
Kontrolle über diesen Teil des Zusammenlebens verloren hat:
Anschauungskonflikte werden nicht mehr über Politik und demokratische
Mehrheitsentscheidungen geregelt, stattdessen kommt auf der Straße
das Recht des vermeintlich Stärkeren zur Geltung, der nur feige und
menschenverachtend ist.
Der Hass in unserer Gesellschaft ist gewaltiger als in den letzten
sechs Jahrzehnten, daran besteht kein Zweifel mehr. Das im Keim
ersticken und nieder reden zu wollen, ist keine Lösung, weil es
Taten wie jene in Wächtersbach befördert. Daraus entsteht der Rückzug
in die Radikalisierung kleinster Einheiten: vermutlich nicht
anerkannt, nicht gehört, nicht repräsentiert, nicht mitgenommen. Aber
umso rachsüchtiger. Erst, wenn wir endlich Antworten darauf suchen
und finden, ist etwas gewonnen. Schlimme rechte Hetzer allein mit
einem Tweet zu brandmarken, reicht nun einmal nicht.
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Datum: 23.07.2019 - 20:12 Uhr
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