Kölnische Rundschau: zu Merkel in Harvard
(ots) - In einer Reihe mit Winston Churchill
Raimund Neuß zu Merkels Auftritt in Harvard Barack Obama hat
Angela Merkel kurz vor seinem Abschied vom Präsidentenamt als die
Führerin der freien Welt bezeichnet. Die Bundeskanzlerin hat dies
immer zurückgewiesen - und nun stellt die Harvard-Universität sie,
die neue Ehrendoktorin, in eine Reihe mit Winston Churchill, der
Symbolfigur für den Kampf des freien Europa gegen die Nazi-Diktatur,
und mit George Marshall, dem Architekten des europäischen
Wiederaufbaus. Die Kanzlerin wurde nicht nur wegen einzelner
Verdienste geehrt, sondern als "demokratische Schlüsselgestalt", als
Inbegriff des Widerstandes gegen Nationalismus und Populismus. Als
Vertreterin eines Politikstils, der außer Gebrauch zu geraten droht:
Suche nach Interessenausgleich und Kooperation. Merkels grandiose
Rede ist in Harvard zu Recht als politisches Testament verstanden
worden. Das gilt auch für ihre diplomatischen Form: Punkt für Punkt
grenzte sich Merkel von US-Präsident Donald Trump ab, ohne ihn jemals
anzugreifen. Die emphatischen Reaktionen zeugen von der Hoffnung
darauf, angesichts der von Trump angerichteten Verwüstungen
irgendwann auf den Rest-Knopf drücken zu können. Aber wird die
Regierungschefin eines mittelgroßen Landes in der Endphase ihrer
politischen Laufbahn mit solchen Erwartungen nicht überfordert? Ist
das nicht eine Projektion, die vor allem von der großen Leere in der
US-Politik zeugt, in der eine überzeugende Alternative zu Trump
fehlt? Gegenthese: Merkel gerät gerade deshalb immer mehr in die
Rolle der Führerin der freien Welt, weil sie diese Rolle nicht haben
will. Die Vorliebe fürs Präsidieren und Moderieren, die ihr daheim
oft zur Last gelegt wird, macht sie zur Gewährsfrau dafür, dass in
der internationalen Politik wieder bessere, rationale Zeiten
anbrechen könnten.
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Datum: 31.05.2019 - 18:49 Uhr
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