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Mittelbayerische Zeitung: Wird Julian Assange zum Testfall? / Der Wikileaks-Gründer mag ein narzisstischer Charakter sein, der wenig Sympathien verdient. Aber sein Fall ist komplizierter. Von Thomas Spang

ID: 1714316


(ots) - Selbst im Moment der Niederlage versteht sich
der Wikileaks-Gründer zu inszenieren. Als die britischen Beamten den
bärtigen Australier aus seinem langjährigen Asyl in der
ecuadorianischen Botschaft in London abführten, sträubt er sich.
Julian gegen den Rest der Welt. Und gewiss wird Assange auch die
Plattform der Justiz nutzen, sich als Opfer von Regierungen zu
präsentieren, die ihn dafür bestrafen wollen, Geheimnisse öffentlich
gemacht zu haben. Seine Gemeinde, die ihm wie einem Sektenführer an
den Lippen hing, wenn er auf dem Balkon der Botschaft Hof hielt,
schrumpfte in den sieben Jahren seines Aufenthalts in einem kleinen
Eckzimmer der Mission immer mehr zusammen. Ein Volksheld ist Assange
schon lange nicht mehr. Dass er sich zum willigen Werkzeug russischer
Hacker machte, deren gestohlenen E-Mails von Hillary Clinton er
bereitwillig im Wahlkampf veröffentlichte, machte aus ehemaligen
Unterstützern erbitterte Gegner. Assange hat gewiss mit sein
Verdienst daran, dass nun ein anderer Narzist im Weißen Haus sitzt,
der im Wahlkampf einmal verkündete: "Ich liebe Wikileaks". Was seine
Festnahme für die Aufarbeitung der russischen Agitations-Kampagne im
Präsidentschaftswahlkampf bedeutet, bleibt schwer abzuschätzen.
Donald Trumps Intimus Roger Stone, der sich vor Gericht gegen den
Vorwurf erwehren muss, mit Assange das Timing der
E-Mail-Veröffentlichungen abgestimmt zu haben, um Clinton maximal zu
schaden, dürfte das Geschehen mit Sorge verfolgen. Wie auch der
ehemalige UKIP-Führer Nigel Farage Anlass hat, nervös zu werden. Denn
die Nähe seines Freundes im Botschaftsasyl zu den russischen
Geheimdiensten wirft auch ein Schlaglicht auf deren unselige
Einflussnahme auf die Brexit-Abstimmung. Das Trio Assange, Stone und
Farage hat den angelsächsischen Demokratien zweifelsohne schweren
Schaden zugefügt. Gefühlt ist der Hacker-Guru mehr ein Verräter als




ein Verteidiger der Freiheit. Und gewiss kann er für sich nicht in
Anspruch nehmen, wie ein Journalist behandelt zu werden. Es gehört
nicht zur akzeptierten Praxis seriöser Investigativ-Reporter, die
Passwörter von Regierung-Computern zu hacken, oder sich zum willigen
Werkzeug von Geheimdiensten zu machen. Genau dafür muss sich Julian
Assange nun in den USA vor Gericht verantworten. Die
Staatsanwaltschaft klagt ihn nicht unter einem Spionagegesetz aus dem
Ersten Weltkrieg an, mit dem sie theoretisch auch gegen Journalisten
vorgehen könnte. Stattdessen geht es um Verschwörung mit Chelsea
Manning gegen die Regierung der Vereinigten Staaten im Fall der
Wikileaks-Publikation von Kriegsakten aus Irak und Afghanistan. Die
Gefahr aus Sicht von Bürgerrechtlern besteht darin, dass die
Regierung versucht sein könnte, zusätzliche Anklagen zu formulieren,
die Assange zu einem Testfall unter dem Anti-Spionage-Gesetz für die
Pressefreiheit machen könnten. Kaum jemand böte sich dafür besser an,
als der Mann mit dem Verräter-Image, der so ziemlich alle Sympathien
verspielt hat. Die Gefahr besteht darin, das Kind mit dem Bade
auszuschütten. Die Trump-Regierung könnte nämlich versucht sein,
Assange für etwas zu verfolgen, was Journalisten jeden Tag tun:
Quellen zu pflegen, vertrauliche Informationen zu sammeln und zu
veröffentlichen, auch und gerade, wenn es der Regierung nicht passt.
Es geht im Fall Assange nicht darum, einen fragwürdigen Charakter zu
verteidigen, sondern die Pressefreiheit. Deshalb ist der Fall
komplizierter, als er sich auf den ersten Blick präsentiert.



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Redaktion
Telefon: +49 941 / 207 6023
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Kommentar Von Lothar Schröder
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Datum: 12.04.2019 - 19:30 Uhr
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