BERLINER MORGENPOST: Der Heilplan für die Rente / Leitartikel von Miguel Sanches
(ots) - 2020 wird das Jahr der Rente. Vieles spricht dafür.
Erstens soll eine von der großen Koalition eingesetzte Kommission
Vorschläge machen, wie das System dauerhaft stabilisiert werden kann.
Angesichts der demografischen Entwicklung ist es die
"Eine-Million-Dollar-Frage". Das darf man freilich nicht wörtlich
verstehen. Es wäre schön, wenn es um Millionen ginge. Um Milliarden
geht es. Um viele Milliarden, wenn man Sozialminister Hubertus Heil
gewähren lässt.
Zusätzlich zur Herkulesaufgabe, die Altersversorgung zukunftsfest
zu machen, will der Sozialdemokrat zweitens eine Grundrente einführen
- eine Art Garantie dafür, dass man nach einem Leben harter Arbeit
abgesichert ist. Die gleiche Logik gilt drittens für den Plan,
Selbstständige zu verpflichten, Vorsorge zu leisten.
Das sind keine Neuigkeiten. An diesem Wochenende hat sich
allerdings bestätigt, dass aus der Pipeline des Arbeitsministeriums
ein Plan nach dem anderen sprudelt. Zeitlich, finanziell und vor
allem politisch hängt alles mit allem zusammen. Die verschiedenen
Initiativen haben ein gemeinsames Ziel - Verhinderung von Altersarmut
- und werfen eine Frage auf: die nach der Finanzierbarkeit.
Der Zufall will es - besser: der Masterplan der SPD? -, dass die
Sozialdemokraten die Kontrolle über die Finanzen wie über die
sozialen Ansprüche haben, während die Christdemokraten die
Investitionsressorts (Bau, Digitales, Verkehr, Verteidigung)
anführen. Aber man muss beides in Einklang bringen und zusammen
diskutieren: die Ausgaben für den Konsum und in die Zukunft.
Irgendwie vermisst man eine ordnende Hand.
Es ist richtig, Selbstständige zu verpflichten, fürs Alter
vorzusorgen. Wer es nicht tut und erfolglos ist, fällt der
Allgemeinheit zur Last und bekommt eine Grundsicherung. Der
Sozialstaat lässt ihn nicht ins Bodenlose fallen. Das ist gut so und
der Unterschied zum Hardcore-Kapitalismus. Wer in den Vereinigten
Staaten ohne Pensionsansprüche ist, lebt im Wohnwagen, muss bis ins
hohe Alter jobben und ist im Zweifel auf Armenküchen und
Lebensmittelmarken angewiesen. Sein Risiko, sein Pech. Er ist seines
Glückes Schmied. Manchmal seines Unglückes.
Ein Sozialstaat fängt auf. Er darf allerdings auch von
Selbstständigen erwarten, dass sie beizeiten einen kleinen Beitrag
für die Basisabsicherung im Alter leisten. Das ist gerade am Anfang
nicht leicht. Heil wird Übergangsfristen für Existenzgründer erwägen
müssen, eine Art Einstiegsschutz. Aber nach drei oder fünf Jahren
muss jemand in der Lage sein, in Vollzeit einen auskömmlichen
Lebensunterhalt zu erwirtschaften. Wenn es unmöglich ist, stimmt
vermutlich sein ganzes Geschäftsmodell nicht.
Es gibt Selbstständige, die erfolgreich sind und die man nicht zu
ihrem Glück zwingen muss, weil sie vorgesorgt haben. Nicht wenige
aber verdrängen die Altersfrage, schieben sie vor sich her, bis sie
am Ende ihres Berufslebens auf Grundsicherung angewiesen sind. Da ist
es besser, wenn sie zur Vorsorge verpflichtet werden. Wer einzahlt,
erwirbt Ansprüche. Wer Ansprüche hat, ist kein Bittsteller. Am Ende
des Tages ist eine Pflicht zur Altersvorsorge auch für die
Allgemeinheit die günstigste Lösung.
Heils Plan dürfte zwar in den ersten Jahrzehnten Geld kosten. Aber
sobald jeder Selbstständige in irgendeiner Form eingezahlt hat - sei
es in ein Versorgungswerk, sei es in die Rürup-Rente, sei es in die
gesetzliche Versicherung -, gerät das gesamte System der
Altersversorgung wieder in ein Gleichgewicht. Bevor die Formulierung
auf dem politischen Index stand, hätte man über Heils Vorstoß gesagt,
er sei "alternativlos". Das ist er nicht. Aber überfällig - das
schon.
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