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Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel Denkzettel aus Leipzig. Der Profifußball reizt sein Geschäftsmodell aus. Vor diesem Hintergrund erntet das Urteil im Streit um Polizeieinsatzkosten Applaus. Von Heinz Gläser

ID: 1709805


(ots) - Volkes Stimme hatte das Urteil längst gefällt.
Auf die Frage, ob die Multimillionäre in kurzen Hosen zur Kasse
gebeten werden sollen, ermittelten Demoskopen Zustimmungsquoten von
rund 90 Prozent. Eine populäre Forderung also, wobei höchst
zweifelhaft ist, dass Bayern Münchens spektakulärer
80-Millionen-Transfer Lucas Hernández nach dem Spruch des
Bundesverwaltungsgerichts auch nur einen Cent weniger verdient.
Überdies liefert der sogenannte Gebührenstreit ein schönes Beispiel
dafür, dass Rechtsempfinden und Rechtssprechung nicht immer Hand in
Hand gehen müssen. Aus gutem Grund. Juristisch gilt es stets, die
möglichen Weiterungen eines Urteils zu bedenken. Umstrittene
Theateraufführungen und kontrovers diskutierte Ausstellungen können
ebenso ein Fall für erhöhten Polizeiaufwand sein. Den kommerziellen
Veranstaltern die gesalzene Rechnung dafür zu präsentieren, würde
diese oftmals in den Ruin treiben. Das will niemand. Es steht auch
nicht auf der rechtspolitischen Tagesordnung. Im konkreten Einzelfall
haben die Leipziger Richter den Ball nun zwar zurück nach Bremen
gespielt, doch gleichzeitig den Weg für eine Kostenbeteiligung
geebnet. Recht so! Auch wenn viele Fragen einstweilen offenbleiben.
Gibt es in der Praxis den von der Deutschen Fußball-Liga (DFL)
befürchteten "Flickenteppich", weil Bremen die Gebühr erhebt, Bayern
aber darauf verzichtet? Geht der Fall vor dem
Bundesverfassungsgericht in die Verlängerung? Und schließlich: Wälzt
der sprichwörtliche Volkssport eventuell anfallende Extrakosten
einfach auf den gemeinen Fan ab? Das Thema hat hohe Symbolkraft, aber
weniger wegen seiner finanziellen Tragweite für das
Milliardenunternehmen Profifußball. Die DFL sieht in dem Urteil einen
Affront. Sie sollte es eher als einen moralischen Denkzettel
verstehen. Der Fußball reizt sein Geschäftsmodell hemmungsloser denn




je aus. Er definiert sich als Unterhaltungsbranche, die
gesellschaftlichen Sphären enthoben ist. Fast reflexartig ließ
Nationalmannschaftsmanager Oliver Bierhoff kürzlich eine Frage zum
Rassismus in den Stadien zunächst einmal an sich abprallen. Es handle
sich um soziale Phänomene und Probleme, die sich - leider, leider -
auch in den Arenen manifestierten. Die oft beschworene Basis sieht
sich zum folkloristischen Beiwerk degradiert. Sie lehnt sich immer
entschiedener dagegen auf. In Hannover beispielsweise ist der Zwist
zwischen den 96-Fans und dem Unternehmer Martin Kind bereits
eskaliert. Die Auseinandersetzung hat Züge eines Kulturkampfs. Die
Anhänger treten für "ihren" Klub ein, während das Management die
ungeliebte 50+1-Regel, die hierzulande den Einfluss von Investoren
beschneiden soll, lieber heute als morgen beerdigen würde. In
England, dem gelobten Land für Fußball-Magnaten jedweder Couleur,
gipfelte der Prozess der zügellosen Kommerzialisierung im beinahe
kompletten Austausch des Publikums. Der frühere Arbeitersport ist zum
Freizeitvergnügen für betuchte Familien und event-orientierte
Touristen mutiert. Noch ist es in der deutschen Bundesliga nicht ganz
so weit. Doch sie unterwirft sich mit Blick auf sprudelnde
Einnahmequellen lustvoll dem Diktat des Bezahlfernsehens. Das
Flaggschiff Nationalmannschaft hat derweil mit distanzierter Arroganz
viele einstmals treue Fans derart vergrätzt, dass ihre Testspiele zu
Ladenhütern verkommen sind. Kaskaden hohler Phrasen und
nichtssagender Statements ergießen sich über die Konsumenten. Der
Profifußball hierzulande ignoriert die Warnsignale. Das Urteil im
Gebührenstreit mag für die DFL ärgerlich sein, aber es ist
verkraftbar - finanziell allemal. Der laute und fast ungeteilte
Applaus, den der Leipziger Spruch erntet, muss den Profifußball
wachrütteln. Das gesellschaftliche Klima ist ganz offensichtlich
nicht mehr danach, das frühere Lieblingskind weiterhin zu
verhätscheln.



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Datum: 29.03.2019 - 19:47 Uhr
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