Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel zum Brexit: "Endzeitstimmung für die Eiskönigin" von Jochen Wittmann
(ots) - Wenn die auflagenstärkste Zeitung des Landes
meint, dass es Zeit sei zu gehen, ist das kein gutes Zeichen. Die
britische Premierministerin Theresa May wurde am Montag vom
Massenblatt "Sun" freundlich, aber bestimmt dazu aufgefordert, den
Termin ihres Abgangs bekannt zu geben. Auch von anderen Seiten werden
die Rufe nach ihrem Rücktritt lauter. Frühere Freunde wie Matthew
d''Ancona fordern jetzt ihren Abtritt ebenso wie Katie Perrior, die
einst als PR-Berater der Premierministerin arbeitete. Die Tage von
Theresa May scheinen gezählt. Die Brexit-Hardliner auf dem rechten
Parteiflügel der Konservativen signalisieren der 62-Jährigen, dass
sie gewillt wären, für ihren Brexit-Deal zu stimmen, vorausgesetzt
May verspricht, danach das Feld zu räumen. Die Ultras wollen, dass
einer der ihren in der zweiten Phase die Verhandlungen über ein
Freihandelsabkommen mit der EU führt. "Um ihren Deal zu besiegeln und
Brexit zu liefern", drückte es die "Sun" aus, "muss sie
zurücktreten." Es ist möglich, dass sich May auf diesen Kuhhandel
einlässt. Es scheint der einzige Weg, um ihren Deal zu retten, der
bisher schon zweimal deutlich vom Unterhaus abgelehnt wurde. Eine
dritte Niederlage, das weiß auch May, kann sie sich nicht mehr
leisten. Andererseits hat May eine Karriere daraus gemacht, niemals
aufzugeben. Die britische Premierministerin ist immer wieder
abgeschrieben, als Auslaufmodell und sogar als
"Zombie-Premierministerin" bezeichnet worden. Doch sie ist immer noch
da. Was zeigt, dass sie eine Überlebenskünstlerin ist. Die Erfahrung
lehrt: Wenn May eines nicht macht, dann ist es aufgeben. Die
Stehauffrau des Königreichs hat Verbissenheit zu ihrem Markenzeichen
gemacht. Wie hoch muss ihre Schmerzschwelle sein, fragt man sich,
wenn sie wieder und wieder vom Unterhaus abgewatscht wird. Warum
wirft sie den Bettel nicht hin? Doch ihre Renitenz ist legendär. Die
Frau, die schon im Alter von zwölf Jahren der Konservativen Partei
beitrat, ist oft mit ihrer Vorgängerin Margaret Thatcher verglichen
worden. Davon hält May allerdings nichts. Ob sie sich als eine neue
"Eiserne Lady" sähe, wurde May gefragt, als sie sich um den
Parteivorsitz bewarb. "Ich bin meine eigene Frau", protestierte sie,
"ich bin Theresa May und ich denke, dass ich die beste Person bin, um
Premierministerin dieses Landes zu werden." Auch den Vergleich mit
Angela Merkel will die kinderlose Pfarrerstochter nicht gerne hören.
Aber abgesehen von politischen Differenzen gibt es eine ganze Reihe
von Charakteristiken, die May mit Thatcher oder auch mit Merkel
verbinden würde: Kompetenz, taktisches Denken, Nüchternheit,
Nervenstärke, Detailwissen und nicht zuletzt: ein stählerner
Machtwille. Ihr größtes Problem ist nicht politischer, sondern
persönlicher Natur: ihre Unnahbarkeit. Sie sei, gab sie öffentlich
zu, keine gute Small-Talkerin und säße lieber über ihren Akten als
beim Bier im Pub, um politische Kontakte zu pflegen oder Seilschaften
zu organisieren. Den Spitznamen "Eiskönigin" trägt sie, weil sie sich
im dienstlichen Umgang betont kühl gibt. Im Privatleben jedoch,
berichten ihre Vertrauten, sei sie aufgeschlossener und manchmal
geradezu warmherzig. Doch ihr Führungsstil wird ihr jetzt zum
Verhängnis. Sie hat praktisch keine Freunde mehr innerhalb der
Partei. Selbst enge Mitarbeiter in der Downing Street verzweifeln,
weil May wie eine Sphinx ihre Meinung für sich behält und für gut
gemeinte Ratschläge unzugänglich ist. Isoliert im Kabinett, kann sie
sich nur an der Macht halten, weil ihre Ministerriege zwischen
Befürwortern eines harten oder eines weichen Brexit zerstritten ist.
Durchaus möglich, dass die Frau, die Sturheit zur Kunstform erhoben
hat, schließlich doch das Handtuch wirft, um ihren Brexit-Deal zu
retten.
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