Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel "Gefährlicher Schachzug" von Daniela Weingärtner zu Manfred Weber
(ots) - Einer fehlte beim Treffen der konservativen
Parteiführer, das immer vor dem EU-Gipfel in Brüssel stattfindet.
Victor Orban war nicht eingeladen. Am Mittwoch hatte die EVP
beschlossen, die Mitgliedschaft der ungarischen Fidesz-Partei auf Eis
zu legen. Ein Trio altgedienter Parteimitglieder soll darüber
entscheiden, ob die nach rechts driftende Fidesz noch in die EVP
passt. Wann die Herren Hans-Gert Pöttering, Wolfgang Schüssel und
Herman Van Rompuy ihr Gutachten vorlegen, ist nicht klar - ganz
sicher aber nicht vor der Europawahl. Mit diesem Schachzug hat sich
EVP-Spitzenkandidat Manfred Weber die hässliche Orbandebatte zunächst
einmal vom Hals geschafft, ohne eine Entscheidung treffen zu müssen.
So will er sich im Wahlkampf und auch bei der danach anstehenden Kür
zum EU-Kommissionspräsidenten im Europaparlament alle Optionen
offenhalten. Orban machte am Mittwoch direkt nach der Entscheidung
allerdings zwei Dinge klar: Er wird seine Politik nicht ändern und
keinen Zentimeter nachgeben. Und er wartet mit Spannung darauf,
welche Kräfte in der Konservativen Partei nach der Wahl die Oberhand
behalten: Jene nationalen Gruppierungen, die sich wie die CDU eher in
der politischen Mitte verorten, oder Kräfte wie Berlusconis Forza
Italia, die mit den Rechtspopulisten flirten. Weber versucht, sich
einerseits als konsequenter Verfechter von Rechtsstaatlichkeit
darzustellen. Gemeinsam mit dem ehemaligen Verfassungsrichter Udo Di
Fabio entwickelte er sogar ein neues Verfahren, das Mitgliedsstaaten
stärker als bisher an die Kandare nehmen soll, ohne gleich die große
Keule eines Vertragsverletzungsverfahrens nach Artikel 7 zu
schwingen. Damit sendet er Signale in Richtung der liberalen und der
grünen Fraktionen, deren Stimmen er brauchen wird, wenn er
Kommissionspräsident werden will. Andererseits vermeidet er trotz
Orbans ständiger Grenzüberschreitungen den harten Bruch mit dem Mann,
der einen zunehmend autokratischen Regierungsstil pflegt. Doch die
Weigerung, jetzt Farbe zu bekennen, birgt das Risiko, dass Weber am
Ende ganz ohne politische Verbündete dasteht. Sollte der dreiköpfige
Weisenrat zu dem Ergebnis gelangen, dass Fidesz die EVP verlassen
muss, wären nicht nur die ungarischen Stimmen für den CSU-Mann aus
Niederbayern verloren. Er müsste sich zudem mit einer neuen
rechtspopulistischen Fraktion auseinandersetzen, der viele seiner
Wähler mehr abgewinnen können als den Grünen und Liberalen. Allen
Umfragen zufolge werden die ehemaligen Volksparteien, die
Sozialdemokraten und die Konservativen, im neuen Parlament keine
absolute Mehrheit mehr zusammenbekommen. Die Hoffnung, Grüne und
Liberale mit ins Boot zu holen, hat Weber aber spätestens durch sein
Taktieren mit Orban verspielt. Führende Vertreter beider Fraktionen
machten gestern klar, dass sie keinen Kandidaten unterstützen können,
der das Ungarnproblem auf die lange Bank schiebt. Auch die
Sozialdemokraten haben sich bereits deutlich von Weber distanziert.
Damit schwinden seine Chancen, mit einem deutlichen Mandat
proeuropäischer Parteien im Rücken gegenüber den Regierungen seinen
Anspruch auf das Amt des EU-Kommissionspräsidenten durchzukämpfen.
Viele Chefs, darunter Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, stehen
dem Spitzenkandidatenkonzept ohnehin skeptisch gegenüber, weil sie
sich die wichtige Personalentscheidung nicht von Wählern und
EU-Parlament aus der Hand nehmen lassen wollen. Webers Versuch, sich
möglichst lange alle Optionen offen zu halten, ist gescheitert. Die
Lektion daraus: Es ist nicht nur moralisch fragwürdig, mit
Rechtspopulisten gemeinsame Sache zu machen, es zahlt sich auch
politisch nicht aus.
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