Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel zum Manifest von Verena Brunschweiger: Kinder sind unberechenbar von Marianne Sperb
(ots) - Ein Zyniker kennt von allem den Preis und von
nichts den Wert. Das alte Bonmot funkelt gerade wieder taufrisch im
Licht einer Debatte, die die Regensburger Pädagogin Verena
Brunschweiger losgetreten hat. Ihr Manifest "Kinderfrei statt
kinderlos", gut getimt kurz vor dem Weltfrauentag lanciert, schaffte
es in alle Kanäle und provozierte einen Shitstorm, heftig gesprenkelt
mit beifälligen Kommentaren. Konsequent umgesetzt, würde die Haltung
der Autorin einen unmenschlich hohen Preis kosten. Einen gewissen
Wert hat die Debatte dennoch. Die Feministin benennt den Schaden pro
Kind, das in Deutschland geboren wird, auf 58,6 Tonnen CO2-Ausstoß
pro Jahr und wirbt für Kinder-Verzicht, weil ja jeder neue Mensch auf
Erden Gift für den Planeten ist. Ein billiges Argument, in erster
Linie deshalb, weil sich ein Leben nicht in Tonnen und Euro messen
lässt. Ein Kind bedeutet mehr als einen ökologischen Fußabdruck, der
in einer säkularen Gesellschaft an die Stelle der Erbsünde getreten
ist. Mehr als einen Körper, der Fleisch isst, ins Flugzeug steigt,
sich fortpflanzt. Ein Kind verkörpert einen Schatz an Möglichkeiten,
einen Quell der Gefühle und Gedanken, die später vielleicht sogar das
Klima retten. In Computersprache: Das Manifest betrachtet Kinder als
Hardware und blendet die Software aus. Aber selbst, falls man sich
auf eine brandgefährliche Debatte über Wert und Schädlichkeit eines
Menschenlebens einlassen wollte: Auf ihrem gedanklichen Weg in eine
klimaneutrale Welt biegt Verena Brunschweiger an einigen Gabelungen
falsch ab. Das beginnt schon bei der zitierten Berechnung, die auf
einer Studie kanadischer Wissenschaftler von 2017 beruht, die
wiederum auf einer Untersuchung von 2009 fußt. Die Forscher rechnen
Treibhausgase, die ein zusätzliches Kind verschuldet, zum Teil bis in
die Jahrhunderte nach dem Tod seiner Eltern hoch. Wie fundiert das
ist, hat gerade das Wissenschaftsportal Spektrum.de untersucht, sein
Befund: Die Annahmen und Abkürzungen in der Argumentation versehen
die Grundaussage mit vielen Fragezeichen und "machen sie am Ende
praktisch wertlos". Wer Kinder in materiellen Ausstoß fassen will,
müsste auch die Gegenrechnung aufmachen und nicht nur Kosten
abklopfen, sondern auch den Ertrag, also etwa Sozialbeiträge in
Anschlag bringen. Verena Brunschweiger bietet eine Fülle von
Widersprüchen an. Sie kritisiert die Sexualisierung und die
Verdinglichung von Frauen, aber Geburten rangiert sie, stramm
materialistisch, als GAU für die Umwelt ein. Sie bekennt sich zur
Solidarität mit Frauen, spricht Frauen mit Kindern aber die Fähigkeit
zu eigenständigem Denken ab und vermutet in ihnen die Opfer einer
pronatalistischen Gehirnwäsche. Sie nennt sich altruistisch, weil sie
dem Klima zuliebe auf Kinder verzichtet, betont aber gleichzeitig,
dass das Nein zu Nachwuchs vor dem Knick in der Karriere schützt. Sie
behauptet, Eltern gehe es nicht um Kinder, sondern schlicht um mehr
Geld, und verkennt, dass es Paaren ohne Kinder finanziell in der
Regel weitaus besser ginge. Sie haben trotzdem Nachwuchs und sagen:
ein Glück! Die Debatte, die die Feministin anfacht, besitzt dennoch
gewissen Wert. Sie provoziert Widerspruch und schärft die Fähigkeit
zum Streiten. Es ist ein bisschen wie in der Architektur: Wenn das
Licht nur aus einer Richtung in ein Zimmer fällt, bleiben alle
Gegenstände im Raum blass und flach. Erst wenn wir die Dinge von
verschiedenen Seiten beleuchten, gewinnen sie Tiefe und Profil. Das
offene Streiten impft gegen Ideologien und gehört zur Demokratie wie
das Recht auf das offene Wort. Verena Brunschweiger darf ihre
Anschauung haben. Der Leser darf sich seine Meinung bilden. Menschen,
die kein Kind möchten, dürfen verzichten. Und Lehrer dürfen nicht
nur: Sie sollen sogar zu kontroversem Denken anregen.
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Datum: 14.03.2019 - 21:50 Uhr
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