Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel zum Brexit: Lasst die Briten gehen von Daniela Weingärtner
(ots) - Mit erstaunlichem Gleichmut reagieren Europas
Entscheidungsträger auf das Chaos in London. Die Regierung könnte den
Brexit jederzeit absagen, das hat jüngst das oberste Europäische
Gericht bestätigt. Selbst nach einem Austritt würden die Europäer die
Nachbarn jenseits des Kanals laut eigenem Bekunden mit offenen Armen
wieder aufnehmen. Und auch für eine mögliche Fristverlängerung wird
freundliches Entgegenkommen signalisiert. Natürlich fällt es aus der
Position der Stärke heraus leicht, großzügig zu sein. Es wäre zwar
weder den Briten noch uns zu wünschen, dass der Brexit aus Rat- und
Planlosigkeit heraus abgesagt wird. Denn dann hätte man es in Zukunft
mit einer politischen Elite und einer Wählerschaft zu tun, die
widerwillig und mangels einer überzeugenden Alternative in der EU
verbleibt. Der chronische Neinsager und ewige Blockierer säße
weiterhin mit am Tisch. Besser für alle Beteiligten wäre es, wenn das
Land ein paar Jahre lang eigene Wege ginge und dann vielleicht aus
echter Überzeugung in den europäischen Club zurückkehrte. Eine
großzügige Fristverlängerung, wie sie jetzt im Raum steht, sollte die
EU hingegen nicht gewähren. Die in der EU verbleibenden Regierungen
und die EU-Kommission sollten schließlich nicht vergessen, dass sie
ihrerseits mit fetten Problemen zu kämpfen haben. Eins davon ist der
prognostizierte Aufstieg EU-feindlicher Parteien bei der Europawahl.
Die Lage in London ist so verfahren, dass in ein bis zwei
zusätzlichen Monaten der gordische Knoten ganz sicher nicht
durchschlagen werden kann. Ende Mai aber steht unverrückbar das
Wahldatum fest. Und da macht es dann schon einen großen Unterschied,
ob die Briten noch dabei sind oder nicht. Als eines der größten
Mitgliedsländer stellen sie bislang 73 der insgesamt 751
Parlamentssitze. Würde Großbritannien wie geplant Ende März die Union
verlassen, könnten die Abgeordneten in Ruhe ihre Sachen packen und in
die vorgezogene Sommerpause entschwinden. 27 der freiwerdenden Sitze
würden an Länder verteilt, die bislang zu kurz gekommen sind. 46
Sitze würden als stille Reserve für kommende Erweiterungsrunden
einbehalten. Spezialisten für Europarecht sind sich einig, dass
allerspätestens drei Monate danach, zur ersten Sitzung des neuen
Parlaments, die Briten die EU verlassen haben müssen. Würde der
Austritt noch weiter ins Jahr hinein verschoben, müsste
Großbritannien seine 73 Sitze zurückbekommen und eine Wahl zum
Europaparlament abhalten. Die Wähler hätten für derartige juristische
Spitzfindigkeiten vermutlich wenig Verständnis. Wer geht schon zur
Wahl, wenn er damit nur eine Formalie erfüllt? Und welcher Politiker
stellt sich auf so kurzen Abruf zur Verfügung? Ein klarer Schnitt zum
rechten Zeitpunkt wäre für alle Seiten die beste Lösung. Im neuen
Parlament wird es auch ohne diese zusätzliche Verwicklung kompliziert
genug werden, proeuropäische Mehrheiten zu organisieren und
Gesetzesverfahren über die Bühne zu bringen. Die stillschweigende
"große Koalition" zwischen Sozialisten und Konservativen, die über
viele Jahre für einen reibungslosen Ablauf sorgte, wird laut den
Prognosen nicht noch einmal zustande kommen. Das könnte die
parlamentarische Demokratie auf EU-Ebene einerseits beleben.
Andererseits lässt sich schon in der nun zu Ende gehenden Legislatur
beobachten, wie viel Sand Abgeordnete ins Getriebe werfen können,
deren einziges Ziel es ist, die europäische Demokratie ad absurdum zu
führen. Große Meisterschaft entwickelten darin gerade die schlecht
erzogenen Kindsköpfe von der britischen Unabhängigkeitspartei. Ihnen
wird in Brüssel und Straßburg niemand eine Träne nachweinen.
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