Zwei Jahre Cannabisgesetz im Leafly.de Realitätscheck (FOTO)
(ots) -
Am 10. März jährt sich zum zweiten Mal der Jahrestag, an dem das
sogenannte Cannabisgesetz in Deutschland in Kraft trat. Ziel der
Gesetzesänderung war es, schwer kranken Patientinnen und Patienten
die Therapie mit Cannabis als Medizin zu ermöglichen. Die neue
Regelung hatte viele Hoffnungen bei Betroffenen geweckt, denen
etablierte Therapieformen nicht helfen konnten. Hohe Ablehnungsquoten
der Krankenkassen, Verunsicherung bei den Ärzten und
Versorgungsengpässe für Patienten machen aber deutlich, dass es auch
zwei Jahre nach Inkrafttreten des Cannabisgesetzes noch viel zu tun
gibt.
"Leafly.de hat das sogenannte Cannabisgesetz dem Praxistest
unterzogen. Unser Ergebnis: Die Gesetzesänderung ist zwar im Alltag
angekommen, es hakt aber nach wie vor an der Umsetzung. Weiterhin
gibt es zahlreiche Herausforderungen. Dazu zählen unter anderem die
angespannte Versorgungslage der Cannabispatienten, Schwierigkeiten
beim Zugang zu der Therapieoption Cannabis und Unsicherheiten bei der
Verordnung innerhalb der Ärzteschaft. Die alltägliche Umsetzung des
Gesetzes wird durch viele, vor allem bürokratische Hürden erschwert.
Um die aktuelle Situation zu verdeutlichen, haben wir den
Realitätscheck mit echten Patienten gemacht. Hier wird deutlich, dass
sich für Patienten die Situation anders darstellt, als es die
offiziellen Zahlen der Krankenkassen zeigen", erklärt Sandrina
Koemm-Benson, Chefredakteurin von Leafly.de.
Der Bedarf an Cannabis als Medizin steigt seit Inkrafttreten des
Cannabisgesetzes rasant. Das belegen auch die Zahlen, die Leafly.de
direkt bei den vier großen Krankenkassen AOK, Barmer, Techniker und
DAK nachgefragt hat. Im März 2017 gab es in Deutschland rund 1.000
Patienten, die Cannabis verschrieben bekamen. Anfang März 2019 sind
es über 22.000 Patienten mit genehmigten Kostenübernahmen, Tendenz
steigend. Die kleineren gesetzlichen Versicherer sowie die
Privatpatienten kommen noch hinzu. Dies übertrifft die Erwartungen
und Schätzungen des Gesetzgebers bei Weitem. Kein Wunder also, dass
es bei der Umsetzung im Alltag zu Problemen kommt.
Das Cannabisgesetz legt unter anderem fest, dass die Kosten für
eine Cannabistherapie von der Krankenkasse zu tragen sind. Nur in
Ausnahmefällen darf diese abgelehnt werden. Die Realität sieht anders
aus: Die aktuelle Leafly.de Umfrage unter den vier großen
Krankenkassen zeigt, dass im Schnitt 64 Prozent der Anträge auf
Kostenübernahme genehmigt werden. Dies ist eine Steigerung um 3
Prozent im Vergleich zum Vorjahr, denn 2017 wurden 61 Prozent der
Anträge genehmigt.
Kritik an diesen hohen Ablehnungszahlen kommt aus der Politik. Dr.
Kirsten Kappert-Gonther, Sprecherin für Drogenpolitik der Grünen im
Bundestag, erklärt gegenüber Leafly.de: "Das Gesetz muss deutlich
nachgebessert werden. Die Krankenkassen lehnen noch immer ein Drittel
aller Anträge ab, dabei sollte es nur in Ausnahmefällen so sein.
(...) Der Geburtsfehler des Gesetzes war der Genehmigungsvorbehalt
der Krankenkassen. Wer Cannabis ärztlich verordnet bekommt, soll auch
die Kostenerstattung erhalten".
Im Alltag ist es nach wie vor für viele Patienten schwierig, einen
Arzt zu finden, der für eine Therapie mit Cannabis offen ist. Dabei
sollten Schwerkranke wenigstens die Möglichkeit haben, zu dieser
Therapieoption von einer Ärztin oder einem Arzt beraten zu werden.
Viele Ärzte weigern sich diese Therapieform in Betracht zu ziehen.
Die Gründe hierfür sind meist Zeit- und Budgetmangel sowie
schlichtweg Unwissenheit dem Thema gegenüber. Doch nicht alle Ärzte
sehen das so.
Für Professor Dr. Dr. Joachim Nadstawek, Leiter des
Schmerzzentrums an der Jankerklinik Bonn und Vorsitzender des
Berufsverbandes der Ärzte und Psychologischen Psychotherapeuten in
der Schmerz- und Palliativmedizin in Deutschland e.V. (BVSD), bietet
Cannabis eine Bereicherung des therapeutischen Spektrums:
"Cannabinoide sind keine Wundermittel, aber es ist doch erstaunlich,
was damit bei vielen Patienten erreicht werden kann. Ich habe
tatsächlich bisher nur wenige Patienten erlebt, denen es nicht hilft.
Und nicht nur bei chronischen Schmerzen können Cannabinoide sinnvoll
sein, auch andere Einsatzgebiete wie beispielsweise entzündliche
Darmerkrankungen und therapieresistente Epilepsien stehen im Fokus."
Auch die eigene Leafly.de Patientenumfrage bestätigt diese
Aussagen von Prof. Dr. Dr. Nadstawek. Insgesamt 130 Patientendaten
wurden ausgewertet. Diese wurden per Onlinebefragung und aus den
Leafly.de Patientenakten erhoben.
Die Ergebnisse:
- Die meisten Patienten erhalten Medizinalhanf gegen chronische
Schmerzen aller Art oder bei psychischen Beschwerden.
Fibromyalgie, ADHS, chronische Darmerkrankungen und Krebs
folgen. Wenig verordnet wurde hingegen eine Cannabistherapie bei
MS, Autismus oder Epilepsie.
- Nur 67 Patienten verfügen über eine Kostenübernahme durch die
Krankenkasse. Das ist etwas mehr als die Hälfte aller Befragten.
29 Patienten erhalten Privatrezepte und 34 Antragsverfahren
laufen noch.
- Bayern liegt nach wie vor bei den Genehmigungen vorn, gefolgt
von Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg. Im Osten
Deutschlands ist die Genehmigungsquote nach wie vor erschreckend
gering.
- Von der Beantragung der Kostenübernahme bis zur Ausstellung des
ersten Cannabis-Rezeptes dauerte es in der Regel drei Wochen.
- Legten die Patienten Widerspruch gegen eine Ablehnung ein, so
dauerte es drei bis 12 Monate. In einigen Fällen dauern die
Genehmigungsverfahren noch an, da die Patienten Klage bei
Gericht eingereicht haben.
- Nach wie vor machen Blüten den Hauptteil der Verordnungen aus.
75 Prozent gaben an, diese zu bekommen. 15 Prozent nehmen
Dronabinol ein, 5 Prozent erhalten Cannabisvollspektrumextrakte.
Nur 5 Prozent erhalten das Fertigarzneimittel Sativex.
Abschließend lässt sich sagen, dass trotz aller Schwierigkeiten in
der praktischen Umsetzung, Cannabis als Medizin heute in der
medizinischen Versorgung der Patientinnen und Patienten angekommen
ist. Auch wenn es noch viele Baustellen gibt: Das Cannabisgesetz ist
ein Meilenstein für viele Patienten, denen herkömmliche Therapien
nicht geholfen haben. Jetzt ist die Politik gefordert, Stolpersteine
beim Cannabisgesetz auszumerzen und damit der Zugang zu einer
Cannabistherapie zu erleichtern.
Weitere Stimmen aus Politik, Ärzteschaft und Gesundheitswesen
finden interessierte Leserinnen und Leser in dem ausführlichen
Artikel zum Thema unter
https://www.leafly.de/zwei-jahre-cannabisgesetz-leafly
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Medizin im deutschsprachigen Raum in Europa. Mit mehr als 200.000
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Datum: 28.02.2019 - 08:26 Uhr
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