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Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel zu CDU/Werkstattgespräch: In Merkels Schatten von Katia Meyer-Tien

ID: 1695706


(ots) - Es war kein Tribunal. Keine Abrechnung. Wer
sich vom zweitägigen CDU-Werkstattgespräch substanzielle Kritik an
Angela Merkel und ihrer Flüchtlingspolitik erwartet hat, der musste
zwangsläufig enttäuscht werden. Denn das Werkstattgespräch hieß auch
deswegen nicht Krisengipfel und nicht einmal Diskussion, weil
Praxisorientierung und Arbeitscharakter des Treffens im Vordergrund
stehen sollten. Doch natürlich ist die Kanzlerin omnipräsent bei dem
Treffen, bei dem sie nicht einmal anwesend ist. Wer in der CDU
Migration, Sicherheit und Integration hört, der denkt wohl
automatisch an das, was von 13 Jahren Kanzlerschaft bislang am
eindrucksvollsten in Erinnerung bleibt: Jener Herbst 2015, in dem
Elend und Angst der Ärmsten der Welt auf Angst und Frust der
Deutschen trafen, und sich Hass ebenso wie Hilfsbereitschaft
unerwartet lautstark Bahn brachen. Als Merkels "Wir schaffen das" in
einem gespaltenen Land die CDU dort positionierte, wo nicht alle
Mitglieder sein wollten. Und sie fortan zum Sündenbock machte, für
all das, was schief lief in den folgenden Monaten: Die Überforderung
der Grenzschützer, die überfüllten Turnhallen, kurz: für alle
Probleme von der ordnungsgemäßen Registrierung der Ankommenden über
die Integration der Bleibenden bis zur Rückreise der abgelehnten
Asylbewerber. Der folgende innerparteiliche Richtungsstreit, in deren
letzter Konsequenz beinahe die Fraktionsgemeinschaft mit der CSU
zerbrochen wäre, kennt nur Verlierer. Denn er verstellte den Blick
auf das große Ganze, darauf, dass es nicht Merkels "Wir schaffen
das", sondern das gesamteuropäische Versagen in der
Fluchtursachenbekämpfung und der Migrationssteuerung war, das zur
großen Krise führte. Da scheint das Werkstattgespräch nun als der
richtige und wichtige Versuch, diese Probleme wieder in den Fokus der
Debatte zu rücken. Und Migrationsursachen und -folgen als das




darzustellen, was sie sind: Nicht ein zu überwindendes Kapitel, nicht
ein potenzielles Trauma der CDU, sondern eine der drängendsten Fragen
des Jahrhunderts, für die es eine gemeinsame Strategie zu finden
gilt. Innerhalb der CDU, innerhalb Deutschlands, Europas, am besten
weltweit. Doch der Schatten des "Wir schaffen das" ist noch groß. Und
unter ihm die Angst, Fehlentscheidungen in der Vergangenheit
einzuräumen und damit womöglich Wasser auf die Mühlen der Rechten zu
geben. Zu groß aber auch die Angst, die Entscheidungen der
Vergangenheit zu bekräftigen und damit womöglich die Spaltung der
Partei weiter voranzutreiben. So wirkt das CDU-Werkstattgespräch
nicht wie der große Befreiungsschlag, den mancher sich erhofft hat,
sondern eher wie eine kleine Blase, in der richtige und wichtige
Dinge gesagt werden, deren Breitenwirkung aber ebenso fraglich bleibt
wie ihr Potenzial zur Befriedung des noch immer schwelenden
innerparteilichen Richtungsstreites. Deshalb darf dieses
Werkstattgespräch nur der Auftakt gewesen sein zu einer
praxisorientierten Grundsatzdebatte darüber, wie sich die CDU in der
Migrationspolitik positionieren will. Dabei geht es um viel mehr als
um Obergrenzen, um viel mehr als um das Erbe Angela Merkels und um
viel mehr als um die anstehenden Europa- und Landtagswahlen. Denn
selbst wenn die Turnhallen heute wieder leer sind: Die grundsätzliche
Frage, wie Europa den Opfern von Armut, Krieg und globaler
Ungleichheit begegnet, beschäftigt die Menschen. Und ebenso die Sorge
um ihre eigene Sicherheit und den eigenen Wohlstand. Und wenn es
nicht die großen Volksparteien sind, die klare Worte finden, um
diesen Sorgen zu begegnen, suchen die Menschen die Antworten
anderswo.



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Datum: 11.02.2019 - 22:03 Uhr
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