Mittelbayerische Zeitung: Angriff auf die Demokratie
Von Ulrich Krökel
(ots) - Wenn Lech Walesa lospoltert, gibt es oft kein
Halten mehr. Politische Gegner beschimpft der
Friedensnobelpreisträger von 1983 dann wahlweise als Idioten,
Schlappschwänze oder Eierköpfe. Stellt ein Journalist die falsche
Frage, kann es vorkommen, dass der erste Präsident des
postkommunistischen Polen ihn anherrscht: "Sie haben keine Ahnung.
Sie sind zu dumm." Wer nicht genau hinhört, könnte den pöbelnden
Walesa für einen Vorläufer von US-Präsident Donald Trump halten. Den
Unterschied macht der Rest von Ironie aus, der bei dem heute
75-jährigen Walesa fast immer mitschwingt. Der Mann, der 1980 in
Danzig die Solidarnosc-Revolte anführte und 1989 mit dem
kommunistischen Regime die friedliche Machtübergabe aushandelte, gilt
nicht von ungefähr als größtes Schlitzohr der Wendezeit. 30 Jahre ist
es am heutigen Mittwoch her, dass der Triumphzug der friedlichen
Revolutionäre eine Form annahm: Am Runden Tisch in Warschau trafen
sich Vertreter des kommunistischen Regimes mit der
Solidarnosc-Führung um Walesa. Zwei Monate später hatten beide Seiten
ein Modell der Machtteilung ausgehandelt. Am 4. Juni 1989 fanden in
Polen die ersten halb-freien Wahlen seit der Zwischenkriegszeit
statt. Im September übernahm Solidarnosc-Premier Tadeusz Mazowiecki
die Regierung. 1990 löste Walesa schließlich den kommunistischen
General Wojciech Jaruzelski als Staatspräsidenten ab. Die Wende war
vollzogen. All das könnte ein Grund zu patriotischem Stolz sein: Der
Runde Tisch in Warschau wurde 1989/90 sogar zum Modell für den
gewaltfreien Machtwechsel in Osteuropa. In Polen jedoch ist die
"richtige" Erinnerung an die Wendezeit bis heute ein zentraler Teil
der politischen Auseinandersetzung, und je mehr Zeit ins Land geht,
desto unversöhnlicher stehen sich die Lager gegenüber. Längst ist
nicht mehr von einem Geschichtsstreit die Rede, sondern von einem
"Krieg der Polen gegen die Polen". Das ist ein durchaus fragwürdiger
Begriff, der allerdings erst vor Kurzem eine tragische Bestätigung in
der Realität fand, als in Danzig ein psychisch labiler Mann den
Bürgermeister Pawel Adamowicz niederstach. Die meisten Beobachter
machten die hasserfüllten Debatten im Land für die Tat
mitverantwortlich. Akzeptiert man die Kriegsmetapher, lässt sich eine
klare Frontlinie ziehen. Auf der einen Seite finden sich die
"Walesianer" wieder. Ihr Credo lautet: Der Runde Tisch hat Polen
Freiheit und Demokratie, Marktwirtschaft und Wohlstand sowie den
Beitritt zu Nato und EU beschert. Auf der anderen Seite sammeln sich
all jene, die von Verrat und faulen Kompromissen sprechen, in deren
Folge ein krankes politisches System entstanden sei. Der wichtigste
Wortführer dieser Gruppe ist Jaroslaw Kaczynski, der Chef der
rechtsnationalen PiS-Partei. Der 69-Jährige ist bis heute davon
überzeugt, dass der Runde Tisch die Zerschlagung des Kommunismus in
Polen verhindert habe. Wendehälse und rote Direktoren seien an den
Schalthebeln der Macht in Politik und Wirtschaft verblieben und
hätten sich auf Kosten der Menschen im Land am ehemaligen
Volksvermögen bereichert. Wasser auf Kaczynskis Mühlen waren diverse
Archivfunde, die seine Theorie untermauerten, dass Walesa in den
frühen 70er Jahren als "IM Bolek" mit der Stasi kooperiert hatte.
Umfragen zufolge verehren die meisten Polen Walesa dennoch für seine
historischen Leistungen. Es gelang ihm aber nie, den Verdacht
auszuräumen, dass er 1989, am Runden Tisch in Warschau, von den
Kommunisten erpresst worden sei. Kaczynski leitete daraus nach dem
Wahlsieg der PiS 2015 die Verpflichtung ab, den polnischen Staat von
seinen strukturellen "Krankheiten" zu heilen. Mit dieser Begründung
begann die PiS eine Reformpolitik, die von der Opposition als
Frontalangriff auf Demokratie und Rechtsstaat kritisiert wird. Der
Streit hat neuen, extremen Hass in der polnischen Gesellschaft gesät.
Der Boden jedoch war längst bereitet.
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