BERLINER MORGENPOST: Der Irrsinn von Hannover / Leitartikel von Matthias Iken zum Gendern
(ots) - In der niedersächsischen Provinz gibt es eine
Redewendung, die es nicht gut meint mit der Landeshauptstadt: "Nichts
ist doofer als Hannover", spottet man da. Natürlich ist das gemein,
weil die Stadt besser ist als ihr Ruf. Nur der ist seit Jahrzehnten
schlecht. Der Schriftsteller und Philosoph Theodor Lessing
(1872-1933) empfand Hannover als "Paradies jeder Mittelmäßigkeit". Es
muss kein Zufall sein, dass sich nun ausgerechnet das mittelmäßige
Hannover an die Spitze der sprachlichen Korrektheit setzt. Was
bedeuten schon der Duden, grammatikalische Regeln und germanistischer
Sachverstand, wenn es um eine politische Mission geht? Die Stadt will
die Sprache von angeblicher Unterdrückung befreien. Die 11.000
Verwaltungsangestellten sollen "gendern". Und wie! Fortan wird der
Lehrer zum "Lehrenden", die Erziehungsberechtigte zur
"erziehungsberechtigten Person" und das Rednerpult konsequent zum
"Redepult". Das Wort "keiner" und "keine" sollen aus dem öffentlichen
Wortschatz gestrichen werden, weil nur ein "niemand" keinen
diskriminiert. Der sozialdemokratische Oberbürgermeister Stefan
Schostok brüstet sich in schlimmsten Bürokratendeutsch: "Vielfalt ist
unsere Stärke - diesen Grundgedanken des städtischen Leitbilds auch
in unsere Verwaltungssprache zu implementieren, ist ein wichtiges
Signal und ein weiterer Schritt, alle Menschen unabhängig von ihrem
Geschlecht anzusprechen." Da darf natürlich der Genderstern nicht
fehlen. In der Broschüre, die Kabarett-Niveau hat, heißt es: "Wenn
eine geschlechtsumfassende Formulierung nicht möglich ist, ist der
Gender-Star (z. B. Antragsteller*innen) zu verwenden." Der
ganze Zauber des Neusprech wohnt dem Hinweis inne: "der*die
Ingenieur*in (in solchen Fällen wird der Gender-Star auch zwischen
den Artikeln gesetzt, um auf die Vielfalt der Geschlechter
hinzuweisen)". Das Echo im Netz ist kein Shitstorm, sondern ein
Wutorkan. Mehr als 2500 Kommentare sammelte Welt.de binnen 24
Stunden, bei "Spiegel Online" waren es 600 Kommentare. Viele
ironisieren, manche pöbeln, fast alle sind fassungslos. Denn was
kommt als Nächstes? Müsste sich Stefan Schostok nicht eigentlich
Oberbürger*inmeister*in nennen? Und darf die Stadt HannovER weiter so
heißen? Niederdiedassachsen*in? Ja, man könnte noch viele Witzchen
reißen. Aber der Vorstoß ist nicht lustig. Er ist gefährlich. Die
Politik spricht nicht mehr die Sprache der Menschen. Ein Großteil der
Bürger will oder kann dieses politische Kauderwelsch kaum verstehen.
Es gibt viele Baustellen, wo das Geld und das Engagement gegen
Sexismus und Patriarchat dringender benötigt würden. Stattdessen
machen die übermotivierten Genderaktivisten den Kampf gegen
Diskriminierung fast lächerlich. Nicht die Sprache ist das Problem,
sondern die Verhältnisse sind es: Auch in Deutschland werden sexuelle
Minderheiten mitunter verfolgt, Frauen unterdrückt, Mädchen
zwangsverheiratet. Der Genderstern hilft den Opfern nicht weiter. Am
Ende nützt das Gendern nur der AfD. Die Populisten werden das Thema
genüsslich ausschlachten. Der SPD hingegen schlägt Hohn, Spott und
Verachtung entgegen. Vielleicht sollte sie sich an Emmanuel Macron
orientieren: Sein Premierminister Édouard Philippe hat die Beamten
aufgefordert, die Pünktchenschreibung und andere Gender-Formen in
offiziellen Texten zu unterlassen. "Die wichtigen Staatsverwaltungen
müssen sich aus Gründen der Verständlichkeit und der Klarheit an die
grammatischen und syntaktischen Regeln halten." Vive la France!
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Datum: 27.01.2019 - 20:30 Uhr
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