Versorgung mit innovativen neuropsychiatrischen Arzneimitteln gefährdet / GESENT e. V. startet bundesweite Initiative gegen Praxis der Zusatznutzenbewertung neuer Medikamente durch das AMNOG
(ots) - Was kann ein neues Medikament mehr als
bereits verfügbare Therapien? Die Bewertung des Zusatznutzens neuer
Medizin und die damit verbundene Entscheidung über die
Preisgestaltung stehen im Mittelpunkt des
Arzneimittelmarktneuordnungsgesetzes (AMNOG), das 2011 in Kraft trat.
"Gegen dieses Gesetz wäre nichts einzuwenden", sagt Peter Riederer,
Neurowissenschaftler und Präsident der Deutschen Gesellschaft für
experimentelle und klinische Neuro-/ Psychopharmako-Therapie (GESENT
e. V.), "wenn die Zielstellung - Schaffung einer fairen Balance
zwischen Innovation und Bezahlbarkeit von Arzneimitteln - tatsächlich
erfüllt würde." Insbesondere im Bereich von Neurologie und
Psychiatrie sei das jedoch allzu häufig nicht der Fall. Riederer
weiter: "Damit erweist sich das AMNOG zunehmend als Hindernis für die
Versorgung spezifischer Patientengruppen mit innovativen
Medikamenten. Deshalb müssen die gesetzlichen Regelungen überprüft
und Anpassungen rechtlicher und Verfahrensregelungen vorgenommen
werden."
Dringender Handlungsbedarf
Änderungen sind bei zahlreichen AMNOG-Paragraphen erforderlich.
Die drei wichtigsten Fälle nennt Manfred Gerlach, Neuropharmakologe
am Universitätsklinikum Würzburg und Mitglied des GESENT-Vorstandes:
"Korrigiert werden muss der stark formalisierte Bewertungsprozess, zu
dem Spezialisten aus Neurologie und Psychiatrie faktisch keinen
Zugang haben. Auch die Regelung, wonach bei der Bewertung eines neu
zugelassenen Arzneimittels ein Zusatznutzen im Einzelfall nicht
akzeptiert wird, bedarf der Modifizierung. Das gilt ebenso für die im
AMNOG festgelegten Kriterien für den Zusatznutzennachweis, die in der
jetzigen Form bei neuropsychiatrischen Arzneimitteln nicht anwendbar
sind. Faktoren wie Langfristigkeit und Komplexität des
Krankheitsverlaufs, die bei der Beurteilung therapeutischer Effekte
in Neurologie und Psychiatrie von Bedeutung sind, haben im starren
AMNOG-System keinen Platz." Diese Beispiele unterstreichen den
dringenden Handlungsbedarf, damit in Deutschland speziell im Bereich
der Neuro-/Psychopharmaka innovative Medikamentenneuentwicklungen
besser zugänglich sind.
Bundesweite Initiative
Diese Forderung ist Gegenstand einer von GESENT soeben gestarteten
bundesweiten Initiative. Sie verfolgt das Ziel, erklärt Gerd Laux,
GESENT-Vizepräsident, "einen Prozess in Gang zu setzen, in dessen
Verlauf die Gesetzeslage den Bedingungen der Neuropsychiatrie
angepasst wird. Wir wollen in Fachkreisen, in der Öffentlichkeit, vor
allem aber in der Politik das Bewusstsein dafür schärfen, dass eine
Neufassung von Teilen des AMNOG unumgänglich geworden ist. Bleibt das
aus, droht in Deutschland eine schlechtere Versorgung der Patienten
mit hochwirksamen neuropsychiatrischen Arzneimitteln als im Ausland."
Wie notwendig Veränderungen sind, zeigt Thomas Müller, Chefarzt
der Klinik für Neurologie des St.-Joseph-Krankenhauses
Berlin-Weißensee und Mitglied des GESENT-Vorstandes: "Wir haben die
unbefriedigende Situation, dass forschende Arzneimittelhersteller
aufgrund der unsicheren Preisfindungssituation für Erkrankungen wie
Schizophrenie, Depression, Schlaganfall, Multiple Sklerose, Alzheimer
oder Parkinson und andere immer weniger Ressourcen zur Entwicklung
innovativer Arzneimittel zur Verfügung stellen."
Neue Anreize
Die GESENT-Initiative stößt bei Experten aus Gesundheitswesen,
Fachgesellschaften, Patienten- und Selbsthilfeorganisationen sowie
aus Industrie auf reges Interesse. Immer mehr sind mit der aktuellen
Gesetzeslage unzufrieden. Einer der Gründe ist die mit AMNOG
einhergehende Verschlechterung der Verwertungsbedingungen für eine
Vielzahl der teils mit immensem Aufwand entwickelten neuen
Medikamente.
In der jetzigen Fassung bremst das AMNOG die Ausbreitung
medizinischen Fortschritts in Neurologie und Psychiatrie. Das
bestätigt Walter Schwerdtfeger, GESENT-Mitglied und ehemaliger
Präsident des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte:
"Dass in Deutschland die Neuentwicklung von Neuropsychopharmaka und
das Engagement von pharmazeutischen Unternehmen stagnieren, liegt
daran, dass immer mehr Medikamente das Prädikat ''Kein Zusatznutzen''
erhalten. Das betrifft bezeichnenderweise oft Arzneimittel, die im
Zulassungsverfahren ihre spezifische Wirksamkeit und ein positives
Nutzen-Risiko-Verhältnis bereits nachgewiesen haben und im Ausland
teilweise positiver als hierzulande bewertet werden." Deshalb gehört
auch die Schaffung neuer Anreize für die Pharmaindustrie bei
gleichzeitiger Wahrung der Bezahlbarkeit neuer Arzneimittel in die
Agenda der AMNOG-Kritik.
Parlamentarischer Abend
Ein Höhepunkt der GESENT-Initiative wird ein Parlamentarischer
Abend am 20. März 2019 in Berlin sein. Es werden Entscheidungsträger
aus Politik, Verwaltung, Wissenschaft, Verbänden und Industrie
erwartet. Im Anpassungsprozess des AMNOG an die spezifischen
Anforderungen von Neurologie und Psychiatrie soll die Veranstaltung
einen großen Sprung nach vorn ermöglichen.
Über GESENT e. V.
Die Deutsche Gesellschaft für experimentelle und klinische
Neuro-Psychopharmako-Therapie ist eine unabhängige und gemeinnützige
Organisation mit Sitz in Würzburg, die 2005 von Vertretern der
Wissenschaft, des Gesundheitswesens und der Industrie gegründet
wurde. Zweck des Vereins ist die Förderung der präklinischen und
klinischen Entwicklung von Neurotherapeutika zum Nutzen der
Krankenversorgung unter Berücksichtigung ethischer und
wirtschaftlicher Prinzipien. Dafür bringt GESENT relevante
Interessengruppen, insbesondere wissenschaftliche, staatliche und
industrielle Organisationen und Kostenträger zusammen, um neue
theoretische Erkenntnisse möglichst rasch und effizient für den
therapeutischen Fortschritt nutzen zu können.
Pressekontakt:
Dr. Ingolf Neunübel
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Datum: 24.01.2019 - 12:36 Uhr
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