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BERLINER MORGENPOST: Die Briten brauchen Zeit / Leitartikel von Gudrun Büscher zum Brexit

ID: 1687749


(ots) - Die Abgeordneten im britischen Unterhaus haben "No"
gesagt zum Brexit-Vertrag, den Premierministerin Theresa May mit der
Europäischen Union ausgehandelt hatte. Klar und eindeutig. Und
endlich hatten die Anti-EU- und die Pro-EU-Demonstranten auf der
Straße vor dem Parlament etwas gemeinsam - sie bejubelten die
krachende Niederlage, die May erlitten hatte. Nichts macht das
Dilemma, in dem sich Großbritannien befindet, deutlicher. Getrieben
von den Hardlinern und Lautsprechern, von Vorurteilen und
Ressentiments hat die Premierministerin das Land an den Rande des
Abgrunds geführt. Doch das Problem heißt jetzt nicht Theresa May -
auch wenn sie so ziemlich alles falsch gemacht hat, was falsch zu
machen war: Sie hat den Austrittsprozess (Artikel 50)
ausgelöst, ohne ein Konzept in der Schublade zu haben oder auch nur
eine Idee davon.

Vor allem aber war sie unfähig, den Brexit zu einer nationalen
Schicksalsfrage zu machen, die er zweifellos ist, auf die
parteiübergreifend Antworten gefunden werden müssen. Viel zu lange
dachte May, sie könne Brexiteers wie Boris Johnson zähmen, indem sie
sie einbindet - und hat dabei unendlich viel Zeit verloren.

May, das ist offensichtlich, war und ist nicht die richtige Frau
an der Spitze des Landes in diesen chaotischen Zeiten, auch wenn sie
es erst mal bleibt. Und man weiß nicht, ob man Mitleid haben oder sie
bewundern soll, wenn sie nach all den beispiellosen Niederlagen und
Demütigungen immer wieder aufsteht und zum Rednerpult schreitet.

Aber es geht längst um mehr als um das Schicksal der
Premierministerin. Großbritannien ist zutiefst gespalten. Gegner und
Anhänger der EU stehen sich in der Bevölkerung und quer durch alle
Parteien feindselig gegenüber. Selbst der schwarze britische Humor
hilft nicht mehr weiter. Abwarten und Tee trinken? Es wäre zu schön,




die Briten fänden zu Gelassenheit und Vernunft zurück. Doch wir leben
in Zeiten der Unvernunft, im "Ich"-Zeitalter, in dem Donald Trumps
"America first" Vorbildcharakter hat. Und es sieht eher danach aus,
als taumele Großbritannien - angetrieben von den Schlachtrufen aus
den politischen Grabenkämpfen - haltlos durch die Gegenwart.

In der globalisierten Welt ist autonomes Inselglück eine Illusion.
Doch nicht die Europäische Union ist am Zuge, eine Lösung zu finden,
sondern die Regierung in London selbst. Nicht Brüssel muss Vorschläge
unterbreiten, sondern die Briten müssen ihren Weg finden - wohl
wissend, dass ein harter Brexit auch für die Europäische Union
wirtschaftlich und politisch ein Desaster ist. Und die ehrliche
Antwort auf die Frage, warum es so weit gekommen ist, steht immer
noch aus.

Das Einzige, was Brüssel noch tun kann, ist, den Briten Zeit zu
geben, denn der Stichtag - 29. März - rückt immer näher. Und niemand
wird ernsthaft glauben, dass May einen "Plan B" in der Schublade hat,
der, wenn er denn existiert, eine Mehrheit finden kann. Es ist Zeit,
zur Besinnung zu kommen. Zeit, das Scheitern einzugestehen und erneut
das Volk zu befragen. Und Zeit für Europa selbst, sich auch nach
einer weiteren Volksbefragung auf einen harten Brexit vorzubereiten.



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Datum: 16.01.2019 - 21:26 Uhr
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